Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahl:"Präsident Schulz" versucht es in Sizilien mit Hoffnung

  • SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist auf Auslandsreise durch Italien. Dort spricht er vor allem über die Flüchtlingspolitik.
  • Das System der Hoffnungslosigkeit müsse durch ein System der Hoffnung ersetzt werden, fordert Schulz.
  • Länder wie Italien dürften nicht alleine gelassen werden. Mehrfach pocht er auf die europäische Solidarität.

Von Christoph Hickmann, Catania

Ob Martin Schulz die Anrede vermisst hat? Zumindest ein kleines bisschen? Schließlich ist er seit einiger Zeit nicht mehr Präsident des Europäischen Parlaments, sondern Kanzlerkandidat der SPD, was in Deutschland nicht immer dazu führt, dass man übermäßig respektvoll behandelt wird. Doch hier, auf Sizilien, wird Schulz noch immer als "Herr Präsident" oder "Präsident Schulz" angesprochen. Das liegt zwar nicht daran, dass man hier nichts von seiner beruflichen Veränderung mitbekommen hätte - stattdessen bezieht sich die Anrede offenbar darauf, dass er er mittlerweile eben auch Vorsitzender, also presidente, der SPD ist. Ob bei ihm trotzdem ein bisschen Wehmut hochkommt?

Wenn ja, dann lässt Schulz sie sich an diesem Donnerstagnachmittag nicht anmerken. Er ist in der Hafenstadt Catania unterwegs, zuvor war er in Rom beim italienischen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni. An beiden Orten sollte es um dasselbe Thema gehen: die Flüchtlingspolitik.

Schulz ist nicht das erste Mal auf Sizilien - das betont er

Schulz selbst hatte das Thema am vergangenen Wochenende in den Fokus gerückt, indem er vor einer Wiederholung der Flüchtlingskrise von 2015 warnte - schließlich kämen derzeit Tausende über das Mittelmeer in Italien an. Und er hatte Angela Merkel kritisiert, die damals, 2015, "die Grenzen nach Österreich" geöffnet habe. Dies sei "aus gut gemeinten humanitären Gründen, aber leider ohne Absprache mit unseren Partnern in Europa" geschehen.

Danach musste er sich den Vorwurf anhören, er betreibe das Spiel der AfD - während seine Parteifreunde ihn in Schutz nahmen: Es könne nicht angehen, wichtige Themen im Wahlkampf totzuschweigen. Nun also ist er auf Sizilien und damit an einem jener Orte, an denen sich entscheiden könnte, ob sich Dramen wie die von 2015 wiederholen. Denn hier liegt für so viele Flüchtlinge aus Afrika die Küste der Hoffnung - auf ein anderes, besseres Leben.

Erste Station: ein Schiff der italienischen Küstenwache. Den kommandierenden Admiral kennt Schulz bereits von mehreren Treffen. Das betont er an diesem Tag mehrfach - auch um den Vorwurf zu kontern, er wolle mit dem Thema rasch ein paar Punkte im Wahlkampf einfahren. Nein, Schulz erzählt immer wieder, dass er schon öfter in Catania war, dass er sich mit dem Thema Migration seit Jahren auseinandersetze. Warum er heute hier ist? Er sagt: "Das ist für mich ein extrem wichtiger Besuch und ein extrem wichtiger Tag." Er wolle "Informationen bekommen", über die Arbeit der Küstenwache und der Stadt Catania. Sich ein Bild davon machen, wie ernst die Lage ist. Ob die Strukturen schon ächzen oder ob Italien noch fertig wird mit dem Andrang.

System der Hoffnung muss System der Hoffnungslosigkeit ersetzen

Noch schaffen sie es hier, so wird eine Erkenntnis des Tages lauten - aber wie lange? Und was wird, wenn die Zahl der Migranten doch noch einmal sprunghaft steigt, über das ohnehin erwartete Maß hinaus?

"Es können in Europa nicht nur ganz wenige Staaten die Migrationsfrage lösen", sagt Schulz. Es brauche eine faire, solidarische Verteilung der Flüchtlinge, einen "europäischen Solidarpakt". Und es brauche ein System der legalen Einwanderung nach Europa.

"Wir haben heute ein System der Hoffnungslosigkeit, das wir ersetzen sollten durch ein System der Hoffnung." Das sagt er mehrmals an diesem Tag. Fragt sich bloß, wie er diejenigen Länder dazu bringen will, die sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sperren. Auch da hat Schulz kürzlich eine Idee formuliert: Über den EU-Haushalt will er hier Anreize setzen, positive wie negative.

Nächste Station, eine Flüchtlingseinrichtung. Dort ist Schulz mit Italiens Innenminister Marco Minniti verabredet. Nur lässt der ihn erst mal warten. Dann kommt er doch noch, die beiden besichtigen das Haus. Schulz geht durch die Zimmer, schaut sich kurz den Gemüsegarten an, dann stellt er sich vor der Presse auf. Wieder geht es um das System der Hoffnung, die europäische Solidarität. Doch die Kritik an der Kanzlerin wiederholt er nicht, auch nicht auf Nachfrage. Das Äußerste, was er sich zu diesem Thema entlocken lässt: Seit 2015 habe man viel Zeit verloren.

Keine einfache Lösung in der Flüchtlingsfrage

Auch das lässt sich als Kritik an der Regierungschefin lesen - allerdings mit einem deutlich anderen Zungenschlag als am vergangenen Wochenende. Die Kritik an der "Grenzöffnung" hört man an diesem Tag nicht noch einmal von ihm - was allerdings auch etwas mit der Gepflogenheit zu tun haben könnte, dass man derlei Attacken auf Auslandsreisen nicht reitet.

Schulz weiß, dass es die eine, einfache Lösung in der Flüchtlingsfrage nicht gibt. Früher am Tag ist der französische Präsident Emmanuel Macron mit seinem Vorschlag für Hot Spots in Libyen vorgeprescht, zum Erstaunen der EU-Partner. Der Vorstoß warf zahlreiche neue Fragen auf, rechtlicher wie praktischer Natur. Statt darauf einzugehen, wiederholt Schulz seine Forderung nach einem "Solidarpakt".

Die große Lösung hat eben auch er nicht. Doch eines wird hier in Catania deutlich: Er hat nicht vor, das Thema wieder fallen zu lassen, weil es zu heikel oder zu komplex für den Wahlkampf wäre. Man darf davon ausgehen, dass man in den nächsten Wochen von ihm noch einiges dazu hören wird.

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