Bundestagswahl:Merkel absorbiert Schulz

***BESTPIX*** Merkel Hosts Open-House Day At Chancellery

Angela Merkel in der Menge der Schaulustigen am Tag der offenen Tür am Bundeskanzleramt. Das Fernsehduell zwischen Merkel und Schulz interessiert die Masse.

(Foto: Sean Gallup)

Kanzlerin Merkel und ihr Herausforderer Schulz treten in ARD und ZDF im Fernduell gegeneinander an. Der SPD-Chef greift an, doch seine Attacken perlen an der CDU-Vorsitzenden ab.

Von Lars Langenau

Es wird ja immer wieder geklagt, dass es dem aktuellen Bundestags-Wahlkampf an zündenden Themen fehle. Klar, Trump, Terror, Nordkorea - und vielleicht noch die Flüchtlinge. Aber so richtig polarisieren? Nichts in Sicht. Es verbleiben noch vier Wochen. Dann wird ausgezählt.

Kommende Woche gibt es das einzige direkte TV-Duell zwischen Amtsinhaberin Angela Merkel und ihrem Herausforderer Martin Schulz. Einen Vorgeschmack gibt am frühen Sonntagabend ein Fernduell zwischen der CDU-Chefin und dem SPD-Vorsitzenden. Offenbar geht man im öffentlich-rechltichen Fernsehen davon aus, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer nur bei 20 Minuten liegt.

Zunächst spricht Schulz in der ARD auf einem windigen Balkon des Hauptstadtstudios mit Studioleiterin Tina Hassel und ihrem Stellvertreter Thomas Baumann. Merkel sitzt dann drinnen im ZDF allein mit Bettina Schausten.

Schulz: Klare Kante gegen Erdoğan

Pünktlich um 18.30 Uhr geht Schulz in die Offensive. Zunächst geht es um die aktuellen Spannungen mit der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wirft Schulz eine "Willkürherrschaft" vor, und es gehe nicht, dass er sich so in den deutschen Wahlkampf einmische. Merkel reagiere auf die Provokationen aus Ankara zu zögerlich. Er hingegen sei für eine "harte Kante": "Wie lange wollen wir tatenlos zusehen, dass Herr Erdoğan uns an der Nase herumführt?", fragt Schulz. "Können wir weiter akzeptieren, dass deutsche Bundesbürger in den Knästen der Türkei schmoren?" Er fordert ein Ultimatum: Sollten die Deutschen nicht freikommen, müsse Berlin eben dafür sorgen, dass die Verhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei über eine Ausweitung der Zollunion abgebrochen werden.

Darauf angesprochen, dass in Deutschland auch 1,2 Millionen Wahlberichtigte mit türkischen Wurzeln lebten, die bislang eher zur SPD neigten, sagt er: "Sie müssen sich daran gewöhnen, dass ich Prinzipien habe." Deshalb werde es mit ihm keine wahltaktischen Manöver geben.

In diesem Zusammenhang stärkt Schulz seinem Parteifreund und Vorgänger im Amt des SPD-Chefs, Außenminister Sigmar Gabriel, ausdrücklich den Rücken. "Gabriel macht kluge deutsche Außenpolitik." Täglich würde er sich mit ihm absprechen - im Gegensatz zu Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer, die sogar unterschiedliche Wahlprogramme haben.

Einigkeit bei Verbrennungsmotoren

Nach fünf Minuten wechselt das Thema zu der Debatte um Fahrverbote für Diesel-Autos. Verbrennungsmotoren werde es noch auf absehbare Zeit geben, deshalb halte er nichts von Zeitvorgaben. Anstatt die Technologie in Bausch und Bogen zu verdammen, wäre es besser, jetzt in die Optimierung der Diesel-Technologie zu investieren. "Angela Merkel hat keinen Plan", sagt Schulz und: "Wir müssen Fahrverbote vermeiden". Umrüstungen müssten die Hersteller bezahlen. Notfalls müsse der Staat die Automobilfirmen gesetzlich dazu zwingen, diese Kosten zu übernehmen.

Um 19.10 Uhr dann folgt Angela Merkel im ZDF und lehnt wie Schulz Fahrverbote ab. Diesel und Benziner seinen noch unersetzlich: "Diese Brückentechnologie werden wir nicht Jahre brauchen, sondern Jahrzehnte." Thema nach wenigen Minuten beendet.

Den Vorwurf, abgehoben zu sein, weist sie lächelnd zurück. Entrückt? Sie habe den Eid geleistet, dem Wohle des deutschen Volkes zu dienen. Außerdem sei sie noch neugierig, übe den Job gerne aus und bewerbe sich mit einer Mischung aus Erfahrung und Gestaltungswillen noch einmal um das Amt. Wieder weicht sie Schulz aus und lobt stattdessen das Ehrenamt, Zusammenhalt, Wohlstand und Sicherheit.

Laut Befragungen der Wähler ist das wichtigste Thema für die neue Regierung der Umgang mit der Einwanderung. Bei Schulz in der ARD bleibt es völlig ausgeklammert, im ZDF werden Integration, Libyen und die Praktikabilität von Auffanglagern vor Ort in afrikanischen Staaten immerhin ganz zum Schluss angesprochen. Merkel antwortet staatsmännisch, verweist auf die Partnerschaft der G-20-Staaten mit Afrika. Thema beendet.

Nächster Aufschlag: Bildungspolitik

Erst hinter der dem Komplex zu Flüchtlingen und Einwanderung nennen die Befragten das Thema, mit dem Schulz jetzt noch zu punkten hofft: die Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich. Also nächster Aufschlag Schulz: Er werde am Montag mit sieben SPD-Ministerpräsidenten den Plan einer "Nationalen Bildungsallianz" vorstellen. Dafür sollen im Fall eines SPD-Wahlsiegs bereits in der kommenden Legislaturperiode zwölf Milliarden Euro aus Bundesmitteln in mehr Plätze für Ganztagsschulen fließen und in moderne und gut ausgestattete Schulen investiert werden. Zudem soll die Betreuung in der Kita kostenfrei werden und es soll viel mehr Plätze geben. Die fehlende Chancengleichheit in Deutschland gehöre auf die Tagesordnung. Vielleicht das Thema für diesen Wahlkampf?

Doch Merkel macht es wie immer: Sie übernimmt einfach die Forderungen des politischen Gegners. Auch sie meint, dass sich die Bundesländer auf gemeinsame Standards bei den Schulabschlüssen einigen müssten. Der Bildungsföderalismus in Deutschland sei an seine Grenzen gekommen, kritisiert Schulz in der ARD - und Merkel stimmt etwas später im ZDF zu. Sie finde es richtig, dass alle Parteien Bildung zum Thema machen. Doch bereits vor neun Jahren habe sie Deutschland zum Bildungsland erhoben, erinnert sie Schausten. Es sei schon viel geschehen, aber es gebe noch viel zu machen, sagt die Kanzlerin. Thema beendet.

Es ist - gerade in einem Fernduell als Erster - nicht leicht, sich gegen eine CDU-Chefin zu behaupten, aus deren Wahlkampf sich gerade so gar keine Aussage außer "Stabilität" einprägen will - und an der jede Kritik abperlt wie an Teflon. Und nach der jetzt auch noch syrische Flüchtlinge ihre Kinder nennen. Schulz bemüht sich redlich, aber das große Thema dieses Wahlkampfes fehlt. Und es gibt berechtige Zweifel, ob es nun die Bildung wird, so wünschenswert das auch ist. So sehr er auch rackert und klagt, dass Merkel selbst versucht, ihr einziges direktes TV-Duell zu beeinflussen. "Besser ein Duell, als kein Duell", sagt die Moderatorin.

Jeder zweite Wähler ist noch unentschlossen

Wahlkampf SPD Sachsen-Anhalt mit Kanzlerkandidat Martin Schulz

Martin Schulz: "Habe Prinzipien."

(Foto: dpa)

Zwar legte Schulz in der vergangenen Woche laut zwei Umfragen in seiner persönlichen Beliebtheit wieder zu. Doch das ändert nichts daran, dass er meilenweit von Merkels Werten entfernt ist. Von der SPD ganz zu schweigen, die gerade bei 22 Prozentpunkten umherdümpelt und droht, ein noch schlechteres Ergebnis als das von Frank-Walter Steinmeier vor acht Jahren zu erreichen.

Klar, dass Schulz die Wahl noch nicht verloren gibt - dann wäre er auch ein schlechter Kandidat, aber es wirkt inzwischen ein wenig wie Selbstsuggestion: Er wolle die große Koalition nicht fortsetzen, höchstens mit der CDU als Juniorpartner darüber reden. "Wer nach der Wahl mit uns koalieren will, soll auf uns zukommen." Schulz verfolgt das Prinzip Hoffnung: "Jeder zweite Wähler ist noch unentschlossen. An die Unentschiedenen will ich ran."

Doch es wird eng mit der Wechselstimmung, die so gar nicht am Himmel des SPD-Chefs auftauchen will. Nichts, aber auch gar nichts sieht im Moment danach aus, als könne sich die Stimmung noch drehen. Als würden die Deutschen Merkels nach zwölf Jahren überdrüssig, wie einst Helmut Kohls nach 16. Nur eins ist sicher: Die SPD wäre dumm, würde sie nicht mit Schulz in die Opposition gehen und es in vier Jahren noch einmal mit ihm versuchen. Vielleicht zündet ja das Thema der Überdrüssigkeit.

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