Bundestagswahl:Dreikampf um Laschets Heimat

Einst herrschte in Aachen Karl der Große, irgendwann die CDU. Doch mittlerweile sind die Grünen dran.

Vor Ewigkeiten herrschte in Aachen Karl der Große, irgendwann die CDU. Doch mittlerweile sind die Grünen dran.

(Foto: Hans-Jürgen Serwe/Imago)

Kanzlerkandidat Laschet wollte in Aachen nicht selbst antreten. Nun hoffen Grüne und SPD, seiner CDU das Direktmandat in der einstigen Unionshochburg abzujagen - gerade seinetwegen.

Von Christian Wernicke, Aachen

Burtscheid, das ist für Oliver Krischer ein Heimspiel. Der grüne Bundestagskandidat trägt sein dunkles Sakko an zwei Fingern über der Schulter, während er durch den Aachener Stadtteil schlendert. Drüben am Markt winkt ihm ein stadtbekannter Braunkohle-Gegner vom Fahrrad zu. Und der Chef des feinen Cafés in der Fußgängerzone, auf dessen Terrasse fünf ältere Damen gerade Kaffee und Gebäck genießen, gilt ebenfalls als Grüner.

So geht es weiter. In Fenstern am Wegesrand rufen Plakate wenige Tage vor der Bundestagswahl zum "Klimastreik" auf, und während Krischer eine Reihe schmucker Einfamilienhäuser passiert, grüßen Anwohner: "Ich hab Sie gewählt", ruft die Hausfrau aus dem Vorgarten, während sie Blumen zupft. "Meine Stimme haben Sie", sagt der Herr mit Schirmmütze und steigt in seinen blauen Tesla. Krischer dankt artig, auf der Koppel gegenüber grasen Kühe in der Sonne.

Burtscheid zählt zur Aachener Innenstadt, schon Kelten und Römer siedelten nahe der Thermalquelle. Dieser zutiefst gutbürgerliche Stadtteil ruht in sich: Der Rasen im Kurpark ist frisch gemäht, die Glocke von St. Michael schlägt. Oberhalb vom Gillesbach treffen sich die Schützenbrüder, gegenüber die Kleingärtner. Und auf einem sanften Hügel wohnt, bescheiden wie behaglich, der derzeit berühmteste Sohn der Kaiserstadt: Armin Laschet, der Kanzlerkandidat der Union, besitzt hier sein Reihenhaus.

Rein politisch jedoch hat Laschet seine Heimat verloren. Seit der Kommunalwahl vor einem Jahr regiert in Aachen eine grüne Oberbürgermeisterin, für Burtscheid zog eine 19-jährige Maschinenbau-Studentin in den Stadtrat ein. "Diese Ergebnisse zeigen, dass Laschets Politik in Aachen nicht ankommt", glaubt Oliver Krischer, Energie-Experte und Vize-Fraktionschef der Grünen im Bundestag.

Lange war Aachen eine feste Burg der CDU. Doch die Stadt hat sich verändert

Der 52-Jährige will nun am Sonntag das Aachener Direktmandat erobern. Krischer wuchs in der nahen Eifel auf, in Aachen hat er Biologie studiert. Er meint zu wissen, warum Laschet, sonst glühender Lokalpatriot, im heimischen Wahlkreis nicht mal antritt: "Herr Laschet blinkt manchmal grün, aber er macht schwarze Politik. Die Leute durchschauen das." Beim Konflikt um den Hambacher Forst oder um die von Braunkohle-Baggern bedrohten Dörfer am Rande des Tagebaus Garzweiler II habe sich sogar seine katholische Kirche gegen den Landesvater gestellt.

So dürfte Aachen am Wahlsonntag bis tief in die Nacht einen Dreikampf erleben. Ende offen: Die Grünen sammeln Stimmen in der Innenstadt, die CDU umwirbt die Eigenheimbesitzer in den Außenbezirken. Und sogar die geschundene SPD, wiederauferstanden dank des Scholz-Hypes, rechnet sich plötzlich wieder Chancen aus auf jenes Direktmandat, das Laschet ausschlug.

Statt Laschet wirbt nun wieder Rudolf Henke um lokale Stimmen für die CDU. In Eilendorf, einem Stadtteil im Aachener Osten, eilt der 67-jährige Mediziner von Tür zu Tür. Rasen und Hecken vor den neuen Reihenhäusern sind akkurat geschnitten, unter Fenstern sprießen rote Geranien. Henke klingelt, steckt einen CDU-Flyer samt Kuli und Visitenkarte in Briefkästen - und sagt, wo immer sich ihm eine Tür öffnet, seinen Satz auf: "Ich bin Ihr Bundestagsabgeordneter, und ich möchte es gerne bleiben."

Seit zwölf Jahren sitzt Henke, Gesundheitspolitiker und Ärztefunktionär, im Bundestag. Viele in Eilendorf kennen den Mann mit dem grauen Dreitagebart und der runden Brille. Hier lebt die Basis, die der Union noch geblieben ist. Henke räumt ein, dass seine Partei zu behäbig auf den Wandel in der Stadt reagiert habe: "Wir haben lange nicht auf die Signale gehört." So wie vor zwei Jahren, als 38 000 Aachener per Bürgerentscheid mehr Vorfahrt für Radfahrer erzwangen. Das waren 13 000 Stimmen mehr, als die CDU danach bei der Ratswahl ergatterte.

Armin Laschets Plakat

Armin Laschets Plakate hängen hier zwar. Aber den Kampf ums Direktmandat überlässt er einem anderen.

(Foto: privat)

Aachen, die stolze Bürgerstadt, hat sich verändert. Bis vor 35 Jahren war die Stadt eine feste Burg der Christdemokraten, die mit Kirche, Rotarier-Club und Handelskammer herrschten. Die Gebrüder Malangré, Vater und Onkel von Laschets Ehefrau Susanne, galten als Pfeiler dieser Ordnung. Das ist lange her. Tuchgewerbe und Industrie gingen nieder, heute ist die Stadt mit ihren 250 000 Einwohnern vor allem Wissenschaftsstandort: 60 000 junge Leute studieren an den Fachhochschulen und an der renommierten RWTH, der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule. Hinzu kommen rund 20 000 Angestellte an Uni-Klinik und Hochschule. Der Campus ist ein Job-Motor, Start-ups schaffen jedes Jahr 800 neue Arbeitsplätze. In den Kneipen zwischen Dom und Rathaus sitzen Studierende abends in Shorts beim Bier und fachsimpeln über Klimaschutz, E-Mobilität oder Kreislaufwirtschaft.

Auf dem Wochenmarkt lautet das Duell: Grüne gegen SPD

Rudolf Henke von der CDU weiß all das. Genauso wie er zu wissen glaubt, warum Laschet in Aachen nicht kandieren wollte: "Als Kanzlerkandidat kann er das Pensum, das ich hier absolviere, gar nicht schaffen." Aber Henke hat auch erfahren, wie unzufrieden selbst Aachener Stammwähler sind mit dem Unionsaspiranten aus Burtscheid: Bei einem Gespräch in einem Café fuhr ihn neulich ein CDU-Wähler an, ob man "wirklich keinen Besseren" habe finden können als diesen Spitzenkandidaten. "Manche Aachener", so fürchtet ein CDU-Grande, "haben inzwischen Sorge, dass Armins Image auf ihre Stadt abfärbt."

Wer weiß, vielleicht trägt diese Stimmung am Ende sogar Ye-One Rhie in den Bundestag. "Ich profitiere von Laschet", sagt die 34-jährige SPD-Politikerin, "ich kenne viele Aachener, die gegen ihn stimmen wollen." Rhie, eine Tochter koreanischer Einwanderer, die einst zum Studium nach Aachen kamen und blieben, präsentiert sich im Wahlkampf ganz und gar als "Öcherin" - als Kind Aachens. Sie arbeitet in einem Forschungsinstitut auf dem Uni-Campus, sitzt im Stadtrat. Und als politische Patin steht ihr Ulla Schmidt zur Seite, die frühere SPD-Gesundheitsministerin und Abgeordnete, die nicht wieder kandidiert.

Auf dem Wochenmarkt in Richterich, einem Bezirk im Aachener Norden, steht Rhie im Nieselregen. Roter Anorak, rote Corona-Maske, obendrein rote Rosen für die Passanten. Biobrot, französischer Käse, italienische Nudeln - das Angebot der Händler zielt auf eine Kundschaft mit Geschmack und Geldbeutel.

Rhie kommt mit dem Pasta-Händler ins Gespräch. Mit der Zweitstimme will der Mann die Grünen wählen, so viel steht fest. Da Olivier Krischer, der grüne Direktkandidat, aber eh über die Landesliste der Öko-Partei abgesichert sei, schwankt der Händler noch bei der Erststimme. "Warum hält euer Olaf Scholz am Kohleausstieg erst im Jahr 2038 fest?", will er wissen, "dann kann ich ja gleich den Laschet wählen." Prompt outet sich Rhie als Rot-Grüne. Sie selbst wolle ein früheres Ende der Braunkohle - "je schneller, desto besser." Ob das reicht? Der Wähler hinterm Nudel-Tresen lässt es offen.

Aachen rüstet sich für den Endspurt. Am Freitag ist grüner Klimastreik, am Samstag kehrt Laschet dann heim. Er wird seine allerletzte Kundgebung in diesem Wahlkampf zelebrieren: Kandidat und Kanzlerin, Armin und Angela vereint - selbstverständlich in Burtscheid.

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