Süddeutsche Zeitung

Sondierungen:"Lust auf mehr"

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Nach ersten Gesprächen in verschiedenen Zweierkonstellationen bemühen sich vor allem die Liberalen, ihre Präferenzen nicht zu deutlich zu machen. Die Union gibt sich sehr zuversichtlich. Vor allem will keiner zu viel verraten.

Von Daniel Brössler, Robert Roßmann und Mike Szymanski, Berlin

Eigentlich hat sich die SPD heute ganz schön ins Zeug gelegt, der FDP entgegenzukommen. Bei den Gesprächen über die Bildung einer neuen Regierung haben nicht die Grünen den ersten Termin des Tages bekommen, sondern die Liberalen. Der Treffpunkt dürfte FDP-Chef Christian Lindner auch gefallen. Es sind die Räume einer Denkfabrik aus dem Gesundheitssektor. Daneben befinden sich gleich die Edison-Höfe. Dort wurden in einer Fabrik früher die ersten elektrischen Glühlampen in Deutschland zusammengeschraubt, es gab ein neues Licht für die Stadt. "Aus dem Funken waren Flammen geschlagen", heißt es auf einer Schautafel. Wenn das kein Umfeld ist, wo auch Deutschlands erste Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP entstehen könnte.

Aber um kurz vor 18 Uhr am Sonntagabend gibt es allenfalls einen Funken.

Die Generalsekretäre von SPD und FDP, Lars Klingbeil und Volker Wissing treten vor die Presse. Klingbeil spricht von konstruktiven Gesprächen, Wissing auch, aber genauso von Klippen.

Klingbeil sagt, nach 16 Jahren Merkel-Regierung bestehe großer Veränderungsbedarf. Das ist schon deshalb ein bemerkenswerter Satz, weil die SPD die meiste Zeit an der Seite von Merkel mitregiert hat. Geht es nach der SPD, dann hätte der heutige Tag schon Klarheit gebracht, ob weiter über eine Ampel verhandelt wird. Aber so weit geht Wissing nicht. Wissing sagt, SPD und FDP lägen "in wesentlichen Punkten" noch auseinander. Dieses Treffen sei lediglich der Auftakt, "rauszufinden", ob man zusammenarbeiten wolle.

Seine Zurückhaltung dürfte auch damit zusammenhängen, dass die Liberalen an diesem Abend noch einen anderen Termin haben. Sie treffen sich kurz darauf mit der Union, um über ein mögliches Jamaika-Bündnis zu reden. Auch Klingbeil muss gleich wieder zurück in den Konferenzraum. Auf ihn wartet schon die zehnköpfige Delegation der Grünen.

So ist das eine Woche nach der Bundestagswahl. Auf den Wahlsonntag folgt der Sondierungssonntag - wer mit wem?

Die SPD, die als stärkste Kraft aus der Abstimmung hervorgegangen ist, steigt nun erstmals in die Gespräche mit möglichen Partnern ein. In den vergangenen Tagen hatten sich Grüne und Liberale schon zweimal getroffen. Ob in einer Ampel oder in einem Jamaika-Bündnis - die beiden kleineren Parteien werden dafür gebraucht. Sie wollten sich untereinander abstimmen, bevor sie sich auf die Treffen mit der SPD und der Union einlassen. Nach dem zweiten Treffen gingen die Parteichefs sogar schon selbst vor die Presse. Da war immerhin von "Hoffnung" die Rede, von historischen "Momenten" und sogar schon einem "Erneuerungsversprechen".

Bloß nicht leichtfertig wirken

Das ist ein großer Unterschied zu diesem Sonntag, als nach dem Gespräch mit der FDP die Generalsekretäre vorgeschickt werden. Das ist auch schon ein Statement für sich, das klarmachen soll: Hier gibt es nichts Feierliches zu verkünden, wir sind an der Arbeit. "Wir haben im konstruktiven Miteinander ernste Themen besprochen", sagt der FDP-General Wissing. Offenbar findet das auch Wissing selbst dann doch ein bisschen zu nüchtern. Man habe aber den "Anspruch eine Reformregierung zu bilden". Eine Ampel - das offen zu sagen, wäre jedenfalls vor allem aus Sicht der FDP zu früh.

Die Liberalen waren zwar ohne Koalitionsaussage in die Bundestagswahl gegangen, arbeiteten aber doch offenkundig auf eine Koalition mit der Union hin. Einen Schwenk hin zur SPD müsste Parteichef Lindner daher geschickt ins Werk setzen. Keinesfalls soll es so aussehen, als steige die FDP leichtfertig und vor allem übereilt zu SPD und Grünen ins Boot. "Die abschließende Bewertung dieser Gespräche können wir und werden wir erst vornehmen, wenn wir alle bilateralen Gespräche durchgeführt haben", wiegelt Wissing ab. Weil die FDP ja am Abend noch den Termin mit der Union hat, wäre das eigentlich schon am Montag so weit - zumal die Gremien der Partei ohnehin am Vormittag tagen.

"Intern" werde man die Gespräche auswerten, sagt Wissing. Man habe aber nicht geplant, "ein Statement dazu abzugeben". Natürlich nicht, denn die Grünen haben am Dienstag ihren Termin mit der Union. Wissing und Klingbeil geben sich noch die Hand, bevor sie auseinandergehen. Klingbeil nach rechts, Wissing nach links.

Derselbe Ort, gut zwei Stunden später. Klingbeil marschiert wieder zum Mikrofon, diesmal hat er die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck an seiner Seite. Ein Zeichen? Für weniger Tamtam, das vielleicht, in der Sache legen sich die beiden Vorsitzenden auch noch nicht auf die Ampel fest. Aber der Sound, der ist schon ein anderer. Baerbock erzählt, dass sie in der Runde über die "großen, großen Aufgaben unserer Zeit" gesprochen hätten, ohne natürlich konkret zu werden. Alle verabreden ja ständig, nicht zu viel zu verraten. Sie sagt dann noch, dass der Klimaschutz jetzt "unter Volldampf" zu passieren habe. Von Klippen spricht hier aber niemand. Habeck sagt, man habe nach "Dynamiken" gesucht, es gehe um die Bereitschaft, "in eine Bewegung zu kommen".

Immerhin kann man feststellen, dass weder die SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans noch der Kanzlerkandidat Scholz sich zu der Grünen-Spitze rausbewegt hat. Ob das jetzt wiederum etwas heißen muss, nur mit Klingbeil hier zu stehen? "Wir nehmen es wie es kommt", sagt Habeck. Sie verlassen immerhin zusammen diesen Ort.

Die Union klingt nach dem Treffen mit der FDP beinahe begeistert

Auch Union und FDP wollen an diesem Tag schon mit der Wahl ihres Sondierungsorts ein Zeichen setzen. Sie treffen sich im Berliner "EUREF-Campus". EUREF steht für "Europäisches Energieforum", das Gelände soll ein "Modellquartier für die klimaneutrale, ressourcenschonende und intelligente Stadt von morgen" sein. Es nennt sich "Zukunftsort". Wenn das nicht zu der "Zukunftskoalition" passt die Armin Laschet jetzt am liebsten schmieden würde.

Die Generalsekretäre Paul Ziemiak (CDU) und Markus Blume (CSU) laufen gemeinsam in das Gebäude - es soll wohl auch ein Zeichen der Gemeinsamkeit sein, nachdem die beiden Schwesterparteien in den vergangenen Tagen durch wechselseitige Nickeligkeiten aufgefallen waren. Die drei Parteichefs marschieren hingegen getrennt ein. Erst Söder, dann Christian Lindner - und als Letzter Armin Laschet. Für die FDP und für die CDU sind jeweils zehn Unterhändler gekommen, für die CSU fünf.

Fast drei Stunden hört man von ihnen nichts mehr. Es scheint auch dieser Runde zu gelingen, die Vertraulichkeit der Sondierung zu wahren. Dann tauchen die Generalsekretäre Ziemiak und Blume wieder auf, um sich zusammen mit ihrem FDP-Kollegen Volker Wissing den Journalisten zu stellen.

Es habe eine "vertrauliche Atmosphäre und große Gemeinsamkeiten in der Sache" gegeben, sagt Ziemiak, Und dass man das "gemeinsame Verständnis" habe, dass etwas Neues entstehen müsse. Über Details habe man aber Vertraulichkeit vereinbart. Blume findet, dass es "ein guter Abend" war und "ein guter Start, der Lust auf mehr macht". Die wichtigste Aussage sei: In den wesentlichen inhaltlichen Punkten liege man "ganz eng zusammen".

Aber was sollen Ziemiak und Blume auch sagen: Sie brauchen die FDP, um noch eine Chance zu haben, an der Regierung zu bleiben. Und ihr Kollege Wissing von der FDP gibt sich zumindest an diesem Abend im EUREF-Campus tatsächlich sehr freundlich. Ob die Querelen in der Union und die Angriffe auf Laschet in der CDU die Sondierung nicht erschweren würden, wird Wissing gefragt. "Wir nehmen diese Dinge natürlich zur Kenntnis, aber sie belasten uns nicht", sagt Wissing. Er habe Verständnis dafür, "dass Parteien, wenn sie ihr Wahlziel nicht erreichen, diskutieren".

Aber wie geht es jetzt weiter? Ziemiak und Blume machen deutlich, dass sie gern Jamaika-Verhandlungen führen würden. Das geht Wissing dann doch ein bisschen schnell. Auch Vergleiche zu dem Sondierungsgespräch mit der SPD will er nicht ziehen. Das weitere Vorgehen müsse seine Partei nun noch besprechen, sagt er. Sicher sei aber: "Wir haben kein Interesse an irgendeiner Hängepartie." So lange wie 2017 dürfe es nicht dauern, versichert Wissing noch, das sei den Freien Demokraten klar. Ein paar Tage aber, das wird deutlich nach diesem Sonntag des politischen Abtastens, wird das Land noch warten müssen auf die Richtungsentscheidung der FDP.

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