Wenn nach der Wahl der Prozess der Regierungsbildung beginnt, wird es sein wie immer: Um den Zuschnitt der Ministerien wird erbittert gerungen, die Koalitionsarithmetik spielt dabei eine Rolle, die innerparteiliche Machtbalance bei den künftigen Partnern, persönliche Wünsche der jeweiligen Alphatiere und natürlich auch die politische Agenda der neuen Regierung. Am Ende werden Abteilungen oder ganze Bereiche hin- und hergeschoben, die einen werden gestärkt, die anderen geschwächt. Manchmal passiert in einem Ressort auch beides zugleich und das Ministerium heißt dann anders als vorher, weil es neu zusammengewürfelt wurde.
Nach dieser Wahl werden vor allem zwei politische Megathemen die Statik der neuen Regierung bestimmen: der Klimaschutz und der gewaltige Rückstand des Landes bei der Digitalisierung, der durch die Corona-Pandemie gnadenlos offengelegt worden ist. Die Grünen fordern im Falle einer Regierungsbeteiligung ein Klimaschutzministerium, das nicht nur mit umfassenden Kompetenzen, sondern sogar mit einem Vetorecht ausgestattet werden soll.
Ein Risiko im Superministerium: Grabenkriege
Und sollte die FDP zum Regieren gebraucht werden, wird eine Idee wieder auf den Verhandlungstisch kommen, mit der die Liberalen bei den Jamaika-Verhandlungen vor vier Jahren noch abgeblitzt waren: ein Digitalisierungsministerium, natürlich ebenfalls mit umfassenden Kompetenzen. Zwei Superministerien sozusagen, die auf nahezu allen Politikfeldern nicht nur mitzureden, sondern auch mitzuentscheiden haben.
Aber sind Megaressorts wirklich der richtige Weg? Die Geschichte bisheriger Superministerien zeigt: eher nicht. Denn die sind nach kurzer Zeit wieder zerlegt worden. Lässt man die zumindest dem Türschild nach imposant klingende Superminister-Zeit von Jürgen Rüttgers als Minister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie im letzten Kabinett von Helmut Kohl mal außer Acht, hat es vor allem zwei Minister gegeben, die dieses Prädikat verdient haben. Und einen dritten, der noch vor Amtsantritt die Flucht ergriffen hat, woraufhin auch aus seinem Superministerium nichts geworden ist.
Grüne:Der Strohhalm, an den sich die Grünen klammern
Die Grünen präsentieren ein "Sofortprogramm" für mehr Klimaschutz und geben sich darin noch kompromissloser als bisher. Vor allem aber treibt die Parteispitze eins: Sie will raus aus der Defensive.
In der sozialliberalen Koalition war nach dem Rücktritt des SPD-Finanzministers Alex Möller im Frühjahr 1971 Wirtschaftsminister Karl Schiller, in jenen Jahren der wirtschaftspolitische Star der SPD, gut ein Jahr lang Superminister für Wirtschaft und Finanzen. Weil die eigene Partei seinen Sparkurs nicht mittragen wollte, trat Schiller entnervt zurück, danach übernahm Helmut Schmidt kommissarisch beide Ämter, ehe sie nach der Wahl 1972 wieder getrennt wurden. Schmidt blieb Finanzminister, das Wirtschaftsressort ging an die FDP. Es ist seither allerdings ein amputiertes Ressort, denn Schmidt hat damals die wichtige Abteilung "Geld und Kredit" ins Finanzministerium mitgenommen.
Das Wirtschaftsministerium hat seine alte Bedeutung danach nie mehr zurückgewonnen - von einer dreijährigen Blütezeit abgesehen. Im Jahr 2002 entschloss sich Kanzler Gerhard Schröder zu einer radikalen Kabinettsreform und verpflanzte Teile des Arbeitsministeriums ins Wirtschaftsressort. Wolfgang Clement wurde einflussreicher Superminister für Wirtschaft und Arbeit. Zwar kam es in diesen drei Jahren zu umfangreichen Reformen wie dem gesamten Hartz-Paket, gelockertem Ladenschluss und einer Handwerksnovelle, die den Meisterzwang in vielen Berufen abschaffte. Trotzdem wurden beide Bereiche nach der Bundestagswahl 2005 gegen den heftigen Protest Clements, für den kein Platz im neuen Kabinett mehr war, wieder getrennt.
Maßgeblich geschah dies auf Betreiben des damaligen CSU-Chefs Edmund Stoiber, der drei Jahre zuvor als Unionskanzlerkandidat eine solche Fusion noch selber angestrebt hatte. Doch nun befand Stoiber: "Die Strukturen beider Bereiche sind so gegensätzlich, dass das nicht funktioniert". Stoiber, der lange gezaudert hatte, ob er nach dem Wahlsieg Angela Merkels nach Berlin wechseln sollte, wäre gerne der dritte Superminister geworden - als Chef eines ganz anders zugeschnittenen Wirtschaftsressorts, das eher ein Innovationsministerium hätte werden sollen.
Der Streit zwischen Stoiber ("Ich habe ein Organigramm dabei") und der designierten Bildungsministerin und Merkel-Freundin Annette Schavan um Kompetenzen, die Stoiber haben und Schavan nicht abgeben wollte, gehört zu den bizarrsten Episoden im Gerangel um Ressortzuschnitte. Er trug maßgeblich dazu bei, dass Stoiber völlig unerwartet die Flucht zurück nach München ergriff. Aus dem Innovationsministerium wurde dann natürlich nichts.
Nicht nur die Größe solcher Ministerien ist ein Problem
Warum zum Superministerium aufgeblasene Ressorts am Ende oft gar nicht so super sind, sondern eher ein Problem, hat mehrere Gründe. Einer davon ist die schiere Größe. Als Superminister war Wolfgang Clement einschließlich der nachgeordneten Behörden seines Ressorts Chef von etwa 100 000 Beamten und Angestellten - ein Riesenapparat. "Die Leitung einer so großen Organisation wird schwieriger", sagt die Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp von der Freien Universität Berlin. Ein Superminister sei darauf angewiesen, dass er Staatssekretäre habe, die ein großes Haus operativ führen könnten.
Noch schwerer als die Größe wiegt, dass in einem Superministerium oft Bereiche zusammengeführt werden, die sowohl fachlich als auch von der politischen Couleur der Spitzenbeamten nicht harmonieren. "Die beiden unterschiedlichen Kulturen passten nicht zusammen", sagt Kropp etwa über Clements Superministerium.
Bei Verschmelzungen von Ressorts ist es ganz ähnlich wie bei Firmenfusionen. Wenn die Unternehmenskulturen sich unterscheiden, klappt es oft nicht. "Die Kultur ist in den Ministerien überraschend unterschiedlich", sagt Ulrich Wilhelm, der viele Jahre Regierungssprecher war, erst von Edmund Stoiber in München, später von Angela Merkel in Berlin. Dazwischen hat Wilhelm als Amtschef im bayerischen Wissenschaftsministerium selber Erfahrungen gemacht mit dem speziellen Korpsgeist, der in jedem Ressort herrscht. "Die Leute sind das erste Jahr nur mit dem Kulturwandel beschäftigt", sagt Wilhelm. Und ob der gelingt, ist am Ende völlig ungewiss. "Wenn man große Organisationen zusammenlegt, kann es sein, dass die sich wechselseitig abschotten", sagt die Expertin Sabine Kropp. Es gebe dann immer das "Problem der Segmentierung".
Was in der Superminister-Theorie also erst mal logisch klingt, stößt aus genannten Gründen in der Praxis oft auf immense Schwierigkeiten. Sachlich spräche etwa viel dafür, Landwirtschaft und Umwelt in einem Ressort zu bündeln, wie es sich die Grünen vorstellen können. Damit könnten die Zielkonflikte beider Bereiche von Anfang an austariert werden. Soweit die Theorie. In der Praxis würden Abteilungen zusammengespannt, deren Beamte die Dinge aus ganz unterschiedlicher Perspektive betrachten. Ein permanenter Grabenkrieg zwischen den Abteilungen wäre die Folge. Und wenn die politische Spitze die Sache dann nicht im Griff hat, kann sich ein Haus rasch selber lähmen.
"Ohne klare Agenda bringt das null"
Unerlässlich für die Schaffung von Ministerien mit Querschnittskompetenzen, mit denen sie anderen Ressorts in die Parade fahren können, ist auch, dass die gesamte Regierung hinter dem Projekt steht und nicht nur ein Koalitionspartner damit sein eigenes Kernanliegen durchsetzen will. "Man braucht eine ganz klare Agenda", sagt Ulrich Wilhelm. Wenn es die nicht gebe, "dann bringt das null".
Denn dann sind die Reibungsverluste innerhalb eines großen Hauses oft größer, als wenn zwei Minister oder Ministerinnen aus unterschiedlichen Parteien an einem Strang ziehen. Auch dafür gibt es ein historisches Vorbild. Die erfolgreichste Zeit des sozialdemokratischen Wirtschaftsministers Karl Schiller war die erste große Koalition von 1966 bis 1969, als er im Duett mit Finanzminister Franz Josef Strauß (CSU) die erste größere Wirtschaftskrise Deutschlands in den Griff bekam. Plisch und Plum wurden die beiden damals genannt, nach zwei Figuren von Wilhelm Busch. Als Plisch alles allein stemmen musste, hat es nicht mehr funktioniert.