Junge Wählerinnen und Wähler:„Wenn die jetzt regieren, wird es komplett schlimm“

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(Foto: Lina Moreno/SZ; Imago)

Erst ging die Jugend fürs Klima auf die Straße, dann überraschte sie mit hohen Werten für die AfD. Was beschäftigt junge Menschen jenseits von Klischees vor der Bundestagswahl? Eine Analyse mit Daten.

Von Vivien Götz und Kathrin Müller-Lancé

Für Roman Armbruster ist es dieses Jahr die erste Bundestagswahl. Er interessiere sich durchaus für Politik, sagt der 19-jährige Abiturient aus Biberach im Schwarzwald. In der Schule hat er den Leistungskurs Wirtschaft gewählt, mit seiner Mutter, die für die CDU im Gemeinderat sitzt, diskutiert er regelmäßig, zum Beispiel über die Zukunft des Rentensystems und die Politik der Grünen. Wem er am 23. Februar seine zwei Stimmen geben will, weiß er trotzdem noch nicht. „Die Situation ist aktuell halt auch keine einfache.“

Immer wieder überraschten die jungen Wählerinnen und Wähler zuletzt mit ihrem Abstimmungsverhalten. Bei der Bundestagswahl 2021 stimmten die meisten unter 25-Jährigen für die Grünen und die FDP. Bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im vergangenen Sommer war die AfD bei den jungen Leuten die beliebteste Partei. Wie könnte es diesmal ausgehen? Zur politischen Stimmung der jungen Wählerkohorte gibt es kurz vor der Bundestagswahl kaum belastbare Zahlen, weil die Sonntagsfrage der großen Umfrageinstitute nicht nach Altersgruppen aufgeschlüsselt wird.

Wichtig sind den Jungwählern vor allem die Themen Migration, Integration und Klimaschutz

Die Süddeutsche Zeitung hat deshalb Daten einer Online-Erhebung der Universitäten Potsdam, Darmstadt und Erlangen-Nürnberg aus dem Sommer 2024 ausgewertet, die vor der Europawahl gemacht wurde. Aus einem Pool von über 50 000 Teilnehmern wurde anhand soziodemografischer Merkmale eine gewichtete, annähernd repräsentative Stichprobe aus 5000 Befragten gezogen. Weil die Daten schon mehr als ein halbes Jahr alt sind, eignen sie sich nicht, um Voraussagen über das Wahlverhalten zu treffen. Die Einstellungen zu bestimmten Themen und deren Wichtigkeit sind aber stabiler und können deshalb besser interpretiert werden.

Wichtig waren den Befragten unter 30 Jahren im Sommer 2024 vor allem die Themen Migration und Asyl, Integration und Klimaschutz. Bei den Älteren kommt dem Themenkomplex Sicherheit eine viel größere Bedeutung zu, während den jungen Befragten staatliche Umverteilung wichtiger ist.

Es gibt aber nicht nur Unterschiede zwischen den Alterskohorten. Beim Umgang mit dem Thema Klimaschutz gehen die Meinungen auch innerhalb der jungen Menschen auseinander. Die Frage, ob konsequenter Umweltschutz zulasten der Wirtschaft gehen sollte, beantworten junge Menschen gegenüber der Uni Potsdam unterschiedlich. Während Unterstützer von Linken, Grünen und auch der SPD ganz klar dem Umweltschutz den Vorzug geben, tendieren potenzielle AfD-Wähler zur Wirtschaft. Das BSW, die Union und die FDP liegen eher in der Mitte.

Roman Armbruster aus Biberach sagt, das Thema Klima sei ihm auf jeden Fall wichtig, mit 14 sei er auch mal bei einer Demo von „Fridays for Future“ mitgelaufen, wie alle seine Freunde. Heute findet er: „Es bringt halt nichts, wenn wir so schnell wie möglich klimaneutral werden und dafür die Wirtschaft gegen die Wand fahren.“

„Eigentlich müsste man das Label von ‚den jungen Leuten‘ verbieten“, sagt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der FU Berlin. Davon zu sprechen, dass die Jugend pauschal nach rechts oder links rutsche, sei angesichts der unterschiedlichen Einstellungen von jungen Menschen nicht gerechtfertigt.

Die Daten der Uni Potsdam zeigen auch, dass sich junge Befragte abhängig von der Parteipräferenz unterschiedlich gut repräsentiert fühlen. Besonders zufrieden sind potenzielle Grünen- und SPD-Wähler. Nur wenige Befragte haben das Gefühl, dass die Regierungspolitik sich nicht an den Interessen der Mehrheit orientiert.

Bei den Befragten, die sich jeweils vorstellen können, die Union, Linke oder FDP zu wählen, gibt es dagegen einen deutlichen Anteil, der die Wünsche der Mehrheit durch die Politik der Regierung nicht angemessen repräsentiert sieht. Viele sehen das aber auch anders.

Anhänger von BSW und AfD sind dagegen überwiegend der Meinung, dass an den Wünschen der Mehrheit vorbei regiert werde.

„Ich bin mit der jetzigen Regierung überhaupt nicht zufrieden“, sagt Philipp, 26, aus München. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen, weil er immer wieder Anfeindungen erlebe, wenn er offen sage, welche Partei er wähle. Schon bei der Bundestagswahl 2021 hat er für die AfD gestimmt, auch diesmal will er das wieder tun. „In meinen Augen ist es so, dass Deutschland früher ein deutlich sichereres Land war als es heute ist.“ Durch eine strengere Migrationspolitik könnte Leid verhindert werden, findet Philipp, Anschläge wie in Solingen oder Aschaffenburg. „Ich will jetzt einfach mal Taten sehen“, sagt er.

So geht es offenbar auch anderen jungen AfD-Wählern. Laut den Daten der Uni Potsdam sind die Themen Asyl, Migration und Integration für junge Befragte, die mit der AfD sympathisieren, deutlich wichtiger als für alle anderen. Themen wie Umweltschutz oder die LGBTQ-Rechte sind AfD-Unterstützern dagegen viel weniger wichtig.

Doch nicht nur bei der Gewichtung der Themen gibt es Unterschiede. Während junge Befragte, die SPD, Grüne oder Linke wählen würden, eine liberale Einwanderungspolitik befürworten, sind befragte AfD-Unterstützter für maximal restriktive Einwanderungsgesetze. Junge Befragte, die die FDP oder die Union wählen würden, sind zwar auch eher für eine restriktive Einwanderungspolitik, in ihren Positionen aber gemäßigter als die AfD.

Philipp aus München sagt, er habe prinzipiell nichts gegen Ausländer. Auch ihm täten Flüchtlinge leid, die darunter leiden müssten, „dass sich ihre Landsmänner teilweise unter aller Sau benehmen“. Er sei selbst mit einem Mann zusammen, der als Kind mit seiner Familie aus Bosnien geflüchtet sei. Empfindet er es als homosexueller Mann nicht als Widerspruch, eine Partei zu wählen, für die sich Familienpolitik am „Bild der Familie aus Vater, Mutter und Kindern“ orientiert? Er identifiziere sich nicht mit der queeren Szene, sagt Philipp, außerdem sei die Vorsitzende der Partei, Alice Weidel, ja selbst mit einer Frau aus Sri Lanka verheiratet.

Und was ist mit der Tatsache, dass der Verfassungsschutz inzwischen mehrere Landesverbände der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft? Er halte nicht viel vom Verfassungsschutz, sagt Philipp, der stehe auf der Seite der regierenden Parteien. Auch wenn es teilweise Mitglieder in der Partei gebe, die „rechtsextreme Züge“ hätten, dürfe man das nicht der ganzen Partei unterstellen.

Auch Marina Araya, 26, Juristin aus München, sagt, sie fühle sich in Deutschland nicht mehr richtig sicher. Seit 2015 habe sie den Eindruck, dass sich die Stimmung verändert habe. Seitdem werde sie häufiger auf der Straße komisch angeguckt oder beleidigt, der Platz in der U-Bahn neben ihr bleibe öfters leer. Marina Araya ist in München geboren, sie ist Muslima und trägt Kopftuch.

Laut den Daten der Uni Potsdam aus dem vergangenen Sommer treibt das Thema Sicherheit junge Menschen zwar um, ist älteren Befragten aber vergleichsweise wichtiger. Befragten unter 30 ist der Schutz ihrer Freiheitsrechte tendenziell wichtiger, während viele der über 30-Jährigen für maximale Sicherheit auf Kosten individueller Rechte sind.

Über Parteigrenzen hinweg sind sich junge Befragte bei diesem Thema vergleichsweise einig. Im Schnitt ist Sicherheit für keine Gruppe deutlich wichtiger als die eigenen Freiheitsrechte. Selbst potenzielle AfD-Wähler, die sich bei anderen Themen durch extreme Randpositionen auszeichnen, liegen hier eher in der Mitte.

Für Marina Araya ist diese Bundestagswahl die dritte, bei der sie mitstimmt. Bei den vergangenen Wahlen hätte sie mit den meisten Parteien als Wahlsieger gut leben können, das sei jetzt nicht so. Jetzt denke sie sich sowohl bei der CDU als auch der AfD: „Oh Gott, wenn die jetzt regieren, wird es komplett schlimm.“ Araya findet, Deutschland würde sich einen Gefallen tun, wenn es anerkennen würde, dass es ein Einwanderungsland sei. Man sehe ja zum Beispiel in den Krankenhäusern, wie wichtig ausländische Fachkräfte seien.

Wie die Gesellschaft in Deutschland mit dem Thema Einwanderung umgehen sollte, ist für jüngere und ältere Befragte ein wichtiges Thema. Bei den Befragten über 30 würden viele eine Gesellschaft bevorzugen, in der sich Migranten sehr stark anpassen. Bei den Jüngeren gibt es dagegen Ausschläge an beiden Enden des Spektrums: Junge Menschen bevorzugen entweder eine möglichst multikulturelle Gesellschaft oder sind für sehr starke Anpassung.

Das zeigt sich auch bei der Aufschlüsselung der Einstellungen junger Befragter nach Parteipräferenzen. Die Frage, wie stark sich Migranten in Deutschland anpassen sollten, polarisiert fast so sehr wie die Einwanderungspolitik. Auch hier liegen Unterstützter von Union und AfD am konservativen Ende des Spektrums, während junge Befragte, die mit der Linken sympathisieren, eine multikulturelle Gesellschaft bevorzugen.

Marina Araya hat bisher immer die Linke gewählt. Dieses Jahr will sie aus strategischen Gründen für die SPD stimmen. Sie wünscht sich eine große Koalition. Je stabiler das Bündnis, so hofft sie, desto niedriger die Wahrscheinlichkeit, dass die Regierung bald wieder scheitere – und bei Neuwahlen die AfD noch stärker werde.

Wollen Sie wissen, wie Ihre eigenen Positionen mit denen der Parteien übereinstimmen? Machen Sie hier den wissenschaftlichen Test der Universitäten Potsdam, Greifswald, Mannheim und der TU Darmstadt unter party-check.org.

Wenn Sie selbst an einer wissenschaftlichen Befragung der Universität Potsdam zur Bundestagswahl teilnehmen möchten, können Sie sich dafür hier registrieren.

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