Bundestagswahl:Furcht vor der großen Koalition

Merkel und Steinbrück

Große Koalitionäre? Kanzlerin Merkel und Kanzlerkandidat Steinbrück (Archivfoto)

(Foto: dpa)

In Berlin werden derzeit alle möglichen Machtkonstellationen durchgespielt - nur jene nicht, die bei den Menschen am besten ankommt: die große Koalition. Den potenziellen Partnern SPD und Union ist ein solches Bündnis nicht geheuer.

Ein Kommentar von Stefan Braun

In Berlin ist herrlich was los dieser Tage: Die FDP schließt eine Ampel mit Rot und Grün aus. Die SPD lehnt ein Bündnis mit der Linkspartei ab. Die Grünen wollen überhaupt nur mit den Sozialdemokraten regieren. Die Union wirbt trotz vier schwerer Jahre für eine Neuauflage mit den Liberalen. Und die Linkspartei macht SPD und Grünen Avancen, um mit einer erhofften Absage bei ihren Wählern besonders zu punkten. Berlin macht, was Berlin besonders gerne tut - es spekuliert über künftige Machtkonstellationen. Interessant ist daran derzeit aber nur eines: dass alle möglichen Bündnisse gewogen werden, nur jenes nicht, das bei den Menschen am besten ankommt - ein Bündnis der Großen.

Nun könnte das daran liegen, dass die ungewöhnlichen Varianten beim Spekulieren halt den meisten Spaß bereiten. Wahrscheinlicher aber ist ein anderer Grund: dass SPD und Union mit diesem Bündnis die meisten Probleme haben. Aus Sicht der Sozialdemokraten ist das besonders verständlich. Als sie sich das letzte Mal auf eine Koalition mit der Union einließen, ernteten sie viel Lob für ihre seriöse Arbeit und stürzten gleichwohl ab auf den niedrigsten Stand der Nachkriegsgeschichte. Seither hat sich in vielen SPD-Köpfen die Überzeugung festgesetzt, dass für ein paar künftige Minister eine große Koalition schön und spannend, für die Partei aber lebensgefährlich werden könnte.

Mit Lafontaine ist ein zentrales Hindernis für Rot-Rot verschwunden

Deswegen wissen alle Sozialdemokraten in der Parteispitze, dass der SPD heftige Debatten drohen, sollte es nach der Wahl weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün reichen. Mindestens an der Parteibasis (und nicht nur dort) wird es um die Frage gehen, wann man eine linke Mehrheit mit der Linkspartei endlich nutzt, um Angela Merkels Amtszeit zu beenden. Sicher, vor allem in der Führung ist es noch immer Konsens, dass die Linkspartei nicht reif ist. um gerade auf internationaler Bühne mit ihr zu regieren. Aber seit Oskar Lafontaine in der Linkspartei keinen großen Einfluss mehr hat, ist für viele ein zentrales Hindernis abgeräumt worden.

Dass auch die Christdemokraten Ängste umtreiben, ist weniger offensichtlich - aber nicht weniger gewichtig. Sie ahnen längst, wie unangenehm und instabil es werden dürfte, mit einer SPD zu koalieren, die ohne Auflösung des Parlaments die Seite wechseln könnte. Mancher aus der CDU-Führung, darunter auch Angela Merkel, hat noch in lebhafter Erinnerung, wie eine ähnliche Konstellation in Mecklenburg-Vorpommern in den Neunzigerjahren zur Qual wurde; Merkel war damals Landesvorsitzende. Natürlich will sie weiter regieren. Aber der Preis könnte sehr schmerzlich sein. Dauerhafte Unsicherheit macht keine Koalition stärker - und deshalb überhaupt kein Vergnügen.

So wird in Berlin weiter über sehr viele Konstellationen geredet, aber über die wahrscheinlichste Variante geschwiegen. Wer redet in Wahlkampfzeiten schon gerne über seine Ängste. Dabei erzählen die Ängste, die eine Partei oder einen Menschen umtreiben, über sie oft am meisten.

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