#Wahlfilter:Wie die AfD auf Facebook Wahlkampf macht

Nicht allen großen Parteien gelingt es, mögliche Wähler vor der Bundestagswahl auf Social Media zu erreichen. Die AfD ist auf Facebook aber besonders erfolgreich. Eine Analyse mit Daten.

Von Markus Hametner, Berit Kruse und Benedict Witzenberger

"Betonen Sie den Kampf 'David gegen Goliath'", "wecken Sie Neugier, "verwenden Sie Triggerwörter" wie "Kopftuch, Merkel, Masken-Skandal". Die AfD scheint sich bewusst zu sein, wie gut sich potenzielle Wählerinnen und Wähler auf Facebook ansprechen lassen. Und versucht das durch Tipps wie den genannten aus ihrem Wahlkampfleitfaden gezielt umzusetzen. Mit Erfolg, wie sich zeigt.

Eine Recherche unter mehr als 470 Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern hat ergeben, dass die Partei nicht nur sehr präsent auf Facebook ist, sondern ihre Zielgruppe auch sehr stark erreicht. Dessen ist sich die Partei bewusst. Auf Anfrage schreibt Frank Horns, Pressereferent der Bundesgeschäftsstelle: "Facebook ist für uns die wichtigste Plattform, da wir hier den größten Zuspruch erzielen." Zuletzt hat der #wahlfilter für Instagram von SZ und Algorithm Watch gezeigt, dass die AfD von der Logik des Instagram-Algorithmus profitiert.

Für das Projekt #wahlfilter für Facebook arbeitet die SZ mit dem US-amerikanischen Recherchekollektiv The Markup zusammen. The Markup hat mit dem Citizen Browser eine App entwickelt, die Daten aus den Feeds von Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern mit verschiedenen demografischen Hintergründen sammelt. Somit kann sichergestellt werden, dass in der gewählten Stichprobe alle politischen Richtungen in dem Anteil vertreten sind, in dem sie auch in der Bevölkerung vorkommen.

Anhand dieser Daten lässt sich ablesen, wie die Facebook-Accounts der großen deutschen Parteien ihre Anhängerinnen und Anhänger erreichen. Dafür werden Facebook-Seiten analysiert, die den Namen der Partei im Titel tragen. Das sind in der Regel die großen Seiten der Bundesparteien, aber auch lokale Ableger oder einzelne Kandidierende.

Über 200 Facebook-Seiten der AfD wurden den Nutzerinnen und Nutzern unseres Panels angezeigt. Das sind mehr als die anderen Parteien. Betrachtet man die Mitgliederzahlen, ist die AfD die kleinste der beobachteten Parteien - und doch sind offenbar besonders viele Kreisverbände, Politikerinnen und Politiker auf dem sozialen Netzwerk aktiv. "Die regionalen Accounts werden von ihren Betreibern in Eigenregie geführt", erklärt Frank Horns. Dennoch wirken die Posts einheitlich, orientieren sich oft am Account der AfD auf Bundesebene.

In ihrem Wahlkampfleitfaden rät die Partei den Kandidierenden zu öffentlichen Politikerseiten, zu emotionaler, persönlicher Ansprache. "Facebook ist noch immer am geeignetsten, unsere übliche Zielgruppe zu erreichen", heißt es in dem öffentlichen Dokument. Diese Art der Ansprache gelingt der Partei, wie der folgende Post zeigt - der nicht nur viele wütende Reaktionen hervorgerufen hat, sondern auch besonders oft geteilt wurde.

Erhalten Beiträge viele Reaktionen und Kommentare, kann das dazu führen, dass sie häufiger in den Timelines von Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern angezeigt werden, dessen ist sich Frank Horns bewusst. "Viele Menschen mit bürgerlich-konservativer und patriotischer Einstellung sind politisch stark interessiert", sagt er. Wenn diese AfD-Beiträge kommentierten und teilten, reagiere der Algorithmus eben darauf.

Tatsächlich werden Beiträge der AfD im #wahlfilter-Panel besonders häufig angezeigt: insgesamt über 3200-mal. Das ist etwa viermal so viel wie bei der Union. Sie liegt auf dem zweiten Platz, obwohl mehr Anhänger von CDU und CSU Teil der Stichprobe waren.

Die AfD erreicht ihre Anhänger viel besser als andere Parteien

Die Daten zeigen: Der AfD gelingt es besonders gut, ihr eigenes Publikum anzusprechen. Knapp die Hälfte derer, die angegeben haben, der AfD zuzuneigen, haben auch Posts der Partei in ihrem Facebook-Feed angezeigt bekommen. Die Linke erreicht etwa ein Viertel ihrer Anhängerinnen und Anhänger mit ihren Posts auf Facebook, die Grünen weniger als jeden zehnten.

Facebook sortiert die Feeds der Nutzerinnen und Nutzer mit einem komplizierten Algorithmus. Wer in einem Beitrag verlinkt ist oder der Zeitpunkt des Beitrags können Einfluss darauf haben, ob ein Post angezeigt wird oder nicht, genauso wie die Häufigkeit, mit der User bislang mit den Posts einer Partei interagiert haben. Im Detail sind die Einflussfaktoren nicht bekannt. Es scheint aber, als könne die AfD besonders gut mit der Logik des Algorithmus umgehen - denn im Ergebnis werden die Posts dieser Partei besonders vielen Anhängerinnen und Anhängern angezeigt. Knapp 2500-mal wurden die Posts der AfD in den Feeds der Personen, die ihnen zuneigen, angezeigt.

Die AfD nutzt Corona, um Aufmerksamkeit auf Facebook zu generieren

Keine Partei postet so häufig über das Coronavirus wie die AfD. Über 280-mal stießen Nutzer in unserem Panel auf über 100 verschiedene Variationen von Corona-Posts. Das ist mehr als zehnmal so viel wie bei der zweitplatzierten Partei, der SPD. Dass die AfD häufig über Corona postet, um Aufmerksamkeit zu generieren, dementiert ein AfD-Sprecher. Das sei notwendig, bevor Gesellschaft, Wirtschaft und Staat Schaden durch die Corona-Politik nähmen.

Dennoch passt es zur Strategie der Partei: Tagesaktuelle Nachrichten über das Virus können emotional aufbereitet werden, Kritik an der Regierung folgt der "David gegen Goliath"-Logik.

Beiträge wie diesen, in denen Corona oder Impfungen thematisiert werden, versieht Facebook automatisch mit einem Hinweis auf weitere Informationen. Das heißt allerdings nicht, dass die markierten Posts zwingend Falschinformationen beinhalten. Handelt ein Facebook-Post von dem Coronavirus, wird dieser automatisch mit einem Link zu dem sogenannten "Covid-19-Informationszentrum" versehen, einer Facebook-Seite, die Nutzerinnen und Nutzer mit zuverlässigen Informationen über das Coronavirus versorgt. Erst wenn unabhängige Faktenchecker die Inhalte als falsch einstufen, wird die Reichweite dieser Posts eingeschränkt.

Querdenker-Gruppen erreichen nur Anhänger mancher Parteien

Um unter anderem gegen Falschinformationen vorzugehen, hat Facebook vergangene Woche 150 Accounts aus der rechtspopulistischen Querdenker-Szene gelöscht, darunter die Seite "Querdenken-711" aus Stuttgart. Diese erreichte auch acht der Benutzer, die der SZ ihre Daten zur Verfügung stellen. Das sind in absoluten Zahlen nicht viele. Doch die Unterschiede ihrer Parteipräferenzen sind interessant.

Anhängerinnen von AfD, Linken, SPD und FDP bekamen Posts der Gruppen zu sehen. Die Anhänger der Linken wurden zwar nur über Facebook-Vorschläge erreicht, sahen aber sogar mehr Posts als die AfD-nahen Personen. Eine einzelne Person, die der SPD zugeneigt ist, bekam sogar am meisten Querdenker-Posts zu sehen.

AfD-Anhängerinnen und -Anhänger wurden sowohl durch Querdenken-Posts erreicht, weil sie Mitglieder einer Gruppe waren, als auch, weil der Facebook-Algorithmus ihnen diese Gruppen vorgeschlagen hat. Diese Schnittmenge zwischen Querdenkern und AfD ist wenig überraschend: Mehrere Abgeordnete der Partei waren auf den Querdenken-Demonstrationen anwesend, der Bundestagsabgeordnete Steffen Kotré hatte die Querdenken-Bewegung sogar für einen Demokratiepreis nominiert - und danach auch fälschlicherweise suggeriert, dass sie diesen auch erhalten hatte.

Auf SZ-Anfrage distanziert sich die AfD nicht von der Gruppierung. "Man kann von den Querdenkern halten, was man will - ganze Gruppen und einer Vielzahl von Konten zu löschen, ohne das offenkundige Verstöße gegen Gesetze vorliegen, ist ein schwerer Übergriff", erklärt Bundesvorstandsmitglied Joachim Paul schriftlich. In einem Blogeintrag begründet ein Facebook-Manager die Löschung der Querdenken-Gruppen mit der Veröffentlichung von Hassrede, Falschinformationen und Anstiftung zur Gewalt - und weist darauf hin, dass die Gruppe auch in Deutschland schon reale Gewalt gegen Menschen ausgeübt hat.

Korrektur am 23.9.: Ursprünglich stand in diesem Artikel, dass Falschnachrichten auf Facebook nur gelöscht werden, wenn sie rechtswidrig sind. Tatsächlich werden sie auch dann gelöscht, wenn sie gegen die Facebook-Gemeinschaftsstandards verstoßen. Laut Facebook zählen dazu gesundheitsgefährdende Falschinformationen über Covid-19 oder etwa Falschinformationen zum Wahlprozess, die Menschen von der Stimmabgabe abhalten könnten. Wir bedauern den Fehler. Zudem haben wir die Funktionbezeichnung von Frank Horns verbessert.

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