Deutschland steht nach der Wahl des Bundestags vor einem Regierungswechsel. CDU und CSU werden die mit Abstand stärkste Fraktion im neu gewählten Parlament bilden. Die Unionsparteien gewinnen mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz nach dem vorläufigen amtlichen Wahlergebnis 28,5 Prozent der Wählerstimmen und liegen damit deutlich vor der AfD. Die Rechtsaußenpartei verdoppelt allerdings ihren Stimmenanteil gegenüber 2021 auf 20,8 Prozent und stellt erstmals die zweitstärkste Fraktion im Bundestag.
Merz sprach vor Parteifreunden von einem „historischen Wahlabend“ und kündigte an, möglichst bis Ostern eine handlungsfähige Regierung zu bilden. „Die Welt da draußen wartet nicht auf uns“, sagte er, sie warte auch „nicht auf langatmige Koalitionsgespräche und Verhandlungen“. Es müsse schnell klar werden: „Deutschland wird wieder zuverlässig regiert.“
Eine desaströse Niederlage erleiden die SPD und ihr Bundeskanzler Olaf Scholz. 2021 noch stärkste Partei, verlieren die Sozialdemokraten mehr als jeden dritten Wähler und fahren mit 16,4 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis auf nationaler Ebene ein, seit sie sich SPD nennen – also seit 1890. Scholz sprach von einem „bitteren Wahlergebnis“. Er trage dafür die Verantwortung, werde aber sein Amt bis zum letzten Tag ausführen, sagte er. An möglichen Verhandlungen der SPD mit der Union werde er nicht teilnehmen, sagte er in ARD und ZDF. Verteidigungsminister Boris Pistorius nannte das Abschneiden seiner SPD „ein niederschmetterndes, katastrophales Ergebnis“.
Auch die Grünen verlieren mit 11,6 Prozent Wähleranteile, aber bei Weitem nicht so stark wie ihr sozialdemokratischer Ampel-Partner. Ihr Spitzenkandidat Robert Habeck bot dem Wahlsieger Merz an, sich an einer Regierung zu beteiligen, wenn die Grünen dafür gebraucht würden. „Wir sind auch bereiten, Verantwortung zu übernehmen“, sagte der Vizekanzler auf der Wahlparty seiner Partei. Allerdings gehe er „nicht davon aus“, dass es dazu kommen werde.
Die FDP verpasst den Einzug ins Parlament
Die Linke überspringt mit 8,8 Prozent der Wählerstimmen die Fünf-Prozent-Hürde überraschend sicher und wird mit einem deutlichen Stimmenzugewinn wieder in den Bundestag einziehen. Wie schwierig es für Merz wird, eine stabile Regierung zu bilden, blieb am Wahlabend allerdings lange unklar. Denn die Hochrechnungen der Forschungsgruppe Wahlen ließen lange offen, wie viele Parteien im künftigen Bundestag vertreten sein werden.
Die FDP, deren Chef Christian Lindner die Ampelkoalition im Herbst platzen ließ und so die vorgezogenen Neuwahlen provozierte, wird mit 4,3 Prozent den Wiedereinzug ins Parlament verpassen. Lindner kündigte noch am späten Wahlabend seinen Rückzug als Parteichef an: „Nun scheide ich aus der aktiven Politik aus“, schrieb er auf der Plattform X.
Auch das BSW, von seiner Namensgeberin Sahra Wagenknecht erst vor gut einem Jahr von der Linken abgespalten, scheitert nach Auszählung aller Wahlkreise mit 4,97 Prozent äußerst knapp an der Fünf-Prozent-Hürde und wird nicht im Bundestag vertreten sein. Weil das BSW unter fünf Prozent bleibt, hat eine mögliche Zweier-Koalition aus den Unionsparteien und der SPD rechnerisch eine Mehrheit im Bundestag. Für ein Zweierbündnis von Union und Grünen würde es nicht reichen.
Bundestagswahl 2025:Union und SPD wollen Milliarden-Kredite ermöglichen und die Schuldenbremse lockern
Für die Instandsetzung der Infrastruktur soll ein Sondervermögen mit 500 Milliarden Euro geschaffen werden, für Investitionen in die Verteidigung soll die Schuldenbremse gelockert werden, teilen die Parteien mit.
„Es wird nicht ganz einfach werden“, sagte CSU-Chef Markus Söder am Wahlabend mit Blick auf Koalitionsgespräche. Den Spielraum für Verhandlungen unter den Parteien der demokratischen Mitte hatte er jedoch selbst stark eingeschränkt und eine Koalition mit den Grünen strikt abgelehnt.
Eine Zusammenarbeit mit der AfD lehnt Merz strikt ab
Am Wahlabend versah der bayerische Ministerpräsident diese Absage mit einer Einschränkung: „Mit den Grünen zu regieren – aus meiner Sicht ein echtes No-Go, wenn es irgendwie geht.“
Ein Angebot von AfD-Chefin Alice Weidel schlug Merz vehement aus. Die AfD sei bereit zur Zusammenarbeit mit der Union, sagte Weidel: „Unsere Hand wird immer ausgestreckt sein für eine Regierungsbeteiligung, um den Willen des Volkes umzusetzen.“ Eine solche Zusammenarbeit mit der AfD, in seinen Worten „eine rechtsradikale Partei“, hatte Merz jedoch schon im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen. In der Elefantenrunde von ARD und ZDF sagte Merz zu Weidel: „Sie wollen das Gegenteil von dem, was wir wollen. Und deshalb wird es eine Zusammenarbeit nicht geben.“
Am Sonntag zeichnete sich mit 83 Prozent eine viel höhere Wahlbeteiligung als 2021 ab. Damals hatten 76,4 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben.
Bei dieser Bundestagswahl kam erstmals das neue Wahlrecht zur Anwendung, das SPD, Grüne und FDP in der vergangenen Legislaturperiode durchgesetzt haben. Es begrenzt die Größe des Parlaments auf 630 Abgeordnete, indem es die sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandate abschafft. Die Überhangmandate entstanden bisher, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate in den Wahlkreisen holte, als ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis Sitze zustanden. Diese Mandate durfte sie behalten. Die anderen Parteien erhielten dafür Ausgleichsmandate, was in der Summe den 2021 gewählten Bundestag auf 736 Abgeordnete anschwellen ließ.
Die neuen Regeln bedeuten: Nicht jeder Direktkandidat, der seinen Wahlkreis gewinnt, hat seinen Parlamentssitz sicher. Erhält eine Partei nun mehr Direktmandate, als ihr laut Zweitstimmenergebnis zustehen, gehen ihre Wahlkreissieger mit den schlechtesten Erststimmenresultaten leer aus.
Erhalten blieb dagegen die Grundmandatsklausel, die einer Partei bei Gewinn von mindestens drei Wahlkreisen den Einzug ins Parlament in voller Zweitstimmenstärke erlaubt, auch wenn sie unter fünf Prozent bleibt. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Streichung der Klausel aufgehoben, weil es dadurch die nur in Bayern antretende CSU benachteiligt sah. Zuletzt hatte 2021 die Linke von dieser Regel profitiert: Dank drei direkt gewonnener Wahlkreise kam sie mit 4,9 Prozent der Zweitstimmen in Fraktionsstärke ins Parlament.