Bundestagswahl 2021:Chancen, Risiken und Nebenwirkungen

Digital fuer sichere Wahlen, ITZBund *** Digital for secure elections, ITZBund

In den TV-Duellen spielte die Digitalisierung bisher kaum eine Rolle - warum eigentlich?

(Foto: Peter Meißner /Imago)

Fast jede Partei hat eine Idee, wie die Digitalisierung helfen kann, ihre Vision von Deutschland umzusetzen. Aber wie wollen sie diese vorantreiben? Ein Blick in die Wahlprogramme.

Von Max Muth

Rund 270 000 Zeichen haben die sechs größten deutschen Parteien zu ihren digitalpolitischen Vorstellungen in ihre Wahlprogramme geschrieben. Das ergibt eine Analyse auf Basis des Wahlkompass Digitales des Alexander-von-Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft. Würde man die Vorschläge direkt in die SZ gießen, dann würden sie die ersten 18 Seiten der Zeitung füllen. Das ist einerseits eine erfreuliche Entwicklung. Es bedeutet, dass sich Parteien mittlerweile intensiv mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung auseinandersetzen, auch jenseits von Schlagworten wie Vorratsdatenspeicherung, Netzausbau oder Medienkompetenz. Im Bundestagswahlkampf 2021 hat fast jede Partei eine Idee, wie die Digitalisierung helfen kann, ihre Vision von Deutschland umzusetzen.

Andererseits macht es die schiere Menge an Text unmöglich, ausführlich auf alle Vorschläge der Parteien einzugehen. Deshalb soll dieser Text sich an der jeweiligen Vision der Parteien orientieren: Wie stellt sich die Partei ein digitalisiertes Deutschland vor?

Einiges scheint dabei unumstritten zu sein. So wollen alle sechs größeren Parteien den Breitbandausbau vorantreiben, die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) stärken, die Schule und die Verwaltung digitalisieren und das Bargeld behalten. Auch Datenschutz finden alle Parteien irgendwie wichtig.

AfD

Am wenigsten Worte über die Digitalisierung verliert die Alternative für Deutschland - exakt 22 324 Zeichen inklusive Leerzeichen. Sie will etwa die DSGVO wieder abschaffen und durch ein einfacheres Datenschutzrecht ersetzen. Das ist einerseits nicht ganz einfach, da es sich um Europarecht handelt. Für die AfD ist das aber einerlei, denn sie will nach Vorbild der Briten ohnehin aus der EU austreten. Ansonsten legt die AfD großen Wert auf die Meinungsfreiheit im Netz. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das die Plattformen zu schnellem Löschen zwingt, soll wieder abgeschafft werden. Die Entscheidung, was auf Facebook und Twitter als Hassrede gilt, soll einzig die Justiz fällen dürfen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll künftig nicht mehr per Rundfunkbeitrag, sondern über eine Steuer finanziert werden. Bezahlen sollen die nicht die Bürger, sondern die großen Social Media Plattformen.

SPD

Etwas überraschend mit rund 30 000 Zeichen auf dem vorletzten Platz liegt die SPD. Das hat auch mit der Gesamtlänge ihres Wahlprogramms zu tun, bei dem die SPD offenbar Papier sparen wollte. Das führt auch dazu, dass oft unklar bleibt, wie konkret die Partei ihre zahlreichen Pläne umsetzen will. Zum Glück finden sich viele Vorschläge detaillierter bei anderen Parteien, so etwa beim Homeoffice und digitalen Gewerkschaften. Oft kann man bei der Linken und den Grünen nachlesen, wie ein SPD-Plan gelingen könnte. Vieles, was in der Großen Koalition mit der Union gestartet wurde, soll verbessert oder weitergeführt werden, so etwa die Digitalisierung der Verwaltung, der Digitalpakt Schule, oder die Überlegungen für eine europaweite Medienplattform. Die SPD will die großen Digitalkonzerne "zähmen" und besteuern und Marktchancen für kleine Anbieter schaffen.

FDP

Im Mittelfeld bei der Länge ihres Digitalprogramms bewegt sich die FDP. Wenig überraschend finden sich bei der Partei viele Vorschläge, wie die Digitalisierung der Wirtschaft behilflich sein kann. Vieles soll schlanker und effektiver werden. Stellvertretend seien zwei Vorschläge erwähnt. Zum einen wollen die Liberalen Behörden, denen durch Digitalisierung Einsparungen gelingen, das gesparte Budget als "digitale Dividende" überlassen. Zum anderen sollen "Digitale Freiheitszonen" für Start-ups geschaffen werden, in denen weniger strenge Regeln gelten als in der freien Wirtschaft.

An vielen Stellen schimmert auch das Erbe einer liberalen Bürgerrechtspartei durch. So will die FDP automatisierte Gesichtserkennung verbieten und lehnt Überwachung von Verdächtigen per Staatstrojaner ab. Die FDP bekennt sich zur Netzneutralität und will das Urheberrecht um Fair-use-Regelungen nach US-Vorbild erweitern. International will sich die FDP für eine Rüstungskontrolle für Cyberwaffen stark machen. Um ihre Vorschläge umzusetzen, will die Partei ein Digitalministerium schaffen - ein Bestreben, das sich auch beim Wunschkoalitionspartner CDU/CSU findet.

Linke

Bei der Linken klingt es oft eher danach, als sei die Digitalisierung eine Naturkatastrophe, deren Folgen es abzumildern gilt. Sie macht aber viele konkrete und sinnvolle Vorschläge, die Katastrophe als Chance zu begreifen: Die Linke fordert Admins und schnelles Internet für Schulen und einen Laptop für jedes Kind. Zugang zum Internet soll Teil der staatlichen Grundversorgung werden, Hartz-IV-Empfänger sollen deshalb für die digitale Grundausstattung höhere Regelsätze und Einmalzahlungen bekommen. Homeoffice soll möglich sein, wo es Arbeitnehmern hilft. Gewerkschaften sollen die Arbeitsbedingungen in der Plattform- und Gig-Economy verbessern.

Die Linke will auch eigene Online-Plattformen schaffen, so etwa eine Art Anti-AirBnB für den sozialen Wohnungstausch und ein Netzwerk für selbstständige Pflegekräfte, über das sich diese sozialversichern können sollen. Die bestehenden großen Plattformen will die Linke zerschlagen, wo sie zu Monopolen geworden sind. Die Übrigen sollen stärker besteuert werden. Softwareherstellern dürfte bei einer Regierungsbeteiligung Angst und Bange werden, die Linke fordert nämlich nicht nur, Open-Source zu fördern. Die Partei will auch die digitalen Produktionsmittel sozialisieren und Firmen verpflichten, jeden Code zu veröffentlichen.

Grüne

Am meisten Text zu digitalen Themen haben die Grünen und die Union produziert. Während bei vielen anderen Parteien die Forderungen überwiegen, wird es bei den Grünen prosaischer, es wird beschrieben und analysiert. Die Klima-Partei sieht die Digitalisierung durch die grüne Brille. So sollen intelligente Stromnetze helfen, alternative Energie zu verteilen. Auch die Grünen denken an Start-ups. Wo die FDP aber weniger Regeln will, wollen die Grünen eher mehr Welche Start-ups gefördert werden, soll davon abhängen, was der soziale und ökologische Impact des Unternehmens wäre.

Die Grünen wollen Schadenersatz bei schlechtem Internet, Behördengänge per Smartphone, humanitäres Völkerrecht im Cyberraum und Asyl für Whistleblower wie Edward Snowden. In Bürgerrechtsfragen könnten die Grünen sich leicht mit der FDP und der Linken arrangieren: Überwachung soll genauso verboten sein, wie der Export digitaler Überwachungstools an autoritäre Staaten.

Union

Die Union hat noch mehr als die SPD das Problem, dass sie irgendwie erklären muss, warum die Digitalisierung 16 Jahre unmöglich war, jetzt aber durch die Wahl der Union besser als durch irgendwen sonst zu bekommen sei. Jetzt soll es unter anderem ein eigenes Digitalministerium richten. Vermutlich hofft die Union auch hier insgeheim auf eine Koalition mit der FDP, derzeit drängt sich bei CDU/CSU niemand für die Rolle einer Chefdigitalisiererin oder eines Chefdigitalisierers auf.

Ansonsten setzt man auf Alleinstellungsmerkmale: Während andere Parteien digitale Bürgerrechte betonen, zeigt sich die Union als Law-and-Order-Partei des Internets: Sie will die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen, die Cyber-Einheiten der Bundeswehr und Europas stärken, sie will ein System, wie Nachrichtendienste Schwachstellen in IT-Systemen offenhalten und nutzen können, statt sie zu melden. Sie will künstliche Intelligenz militärisch nutzen, die Außengrenzen elektronisch überwachen und bei der Einreise von Flüchtenden deren Handys auslesen lassen.

Ein bisschen modern zeigt sich die Union auch, wenn sie "Smart Farming" in der Landwirtschaft, Co-Working-Spaces im ländlichen Raum und mehr Blockchain-Technologie in Deutschland fordert.

Wer kann mit wem?

Zwar betonen die Parteien mittlerweile durch die Bank die Wichtigkeit der Digitalisierung, ein Scheitern von Koalitionen an digitalpolitischen Vorstellungen ist aber extrem unwahrscheinlich. Gäbe es ausschließlich Digitalpolitik, dann dürfte es die Union am schwersten haben einen Koalitionspartner zu finden, zu stark abweichend von den anderen Parteien sind ihre Vorstellungen und digitalen Bürgerrechten. Am ehesten böte sich der Union hier ein Bündnis mit der FDP an. Grüne, Liberale und Linke haben sehr viele Berührungspunkte, die SPD dürfte auch mit dem meisten Ideen von Dunkelrot, Gelb und Grün leben können. Die AfD wäre bis auf ein paar exotische Vorschläge digitalpolitisch auch koalitionsfähig, allerdings haben alle anderen Parteien ein Bündnis mit der AfD bereits ausgeschlossen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: