Süddeutsche Zeitung

Vor der Bundestagswahl:Die SPD strebt vom Maschinenraum aufs Sonnendeck

  • Am Sonntag will die SPD in Dortmund ihr Regierungsprogramm beschließen.
  • Danach besteht die Koalition mit CDU/CSU nur noch formal - auch wenn beide Partner bis zuletzt eisern zusammenhielten.
  • Für ihren Wahlkampf brauchen die Sozialdemokraten den Wettstreit: Allzu fest und sicher steht Merkel bislang da.

Von Nico Fried

Die SPD hat einen neuen Mann an der Spitze. Einige Zeit ist die Stimmung gut, doch dann macht der Parteichef erste Fehler. Die Kanzlerin profiliert sich derweil vor allem in der Außenpolitik. Da entwickelt der SPD-Generalsekretär eine Kampfformel: "Wir wollen keine Koalition, wo die SPD mit harten Themen im Maschinenraum schwitzt, die Union dagegen vom Sonnendeck winkt", sagt Hubertus Heil im Januar 2006.

Es ist ein Satz aus der Anfangszeit der ersten großen Koalition unter Führung von Angela Merkel und - damals - Matthias Platzeck. Er beschreibt eine Idee der SPD von sich selbst als der treibenden Kraft bei den Volksparteien, der die Union nur die Kanzlerin entgegenzusetzen habe. Es ist eine Idee, die zwischen Stolz, Selbsterhaltung und Minderwertigkeitskomplex changiert. Und wenn die SPD an diesem Sonntag in Dortmund ihr Regierungsprogramm beschließt, den Wahlkampf einläutet und faktisch die Koalition mit der Union aufkündigt, wird dieser Geist wieder durch die Westfalenhalle wehen.

Merkel beim G7-Gipfel, beim Papst, beim EU-Gipfel

Denn drei Legislaturperioden und acht Jahre große Koalition später ist nicht nur Hubertus Heil als Generalsekretär zurück. Auch der Gedanke von 2006 wird wieder herausgestellt - diesmal unter Wahlkampfbedingungen. Konzept um Konzept hat die SPD unter ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz im Maschinenraum erarbeitet: innere Sicherheit, Rente, Steuern. Und die Union? Merkel auf dem G-7-Gipfel, Merkel beim Papst, Merkel beim EU-Gipfel. Ohne Ende Sonnendeck.

Die SPD wird nicht müde, auf dieses von ihr empfundene Ungleichgewicht hinzuweisen und von CDU und CSU innenpolitische Vorschläge einzufordern. "Wir freuen uns auf den Wettstreit um die besseren Konzepte", sagte Heil am Freitag. Das sei "wichtig für die Demokratie". Doch die SPD braucht den Wettstreit nicht deswegen. Sie braucht ihn vor allem, damit das Publikum nicht der Eindruck lähmt, die Wahl sei entschieden, bevor der Wahlkampf richtig angefangen hat.

Im jüngsten Politbarometer hat die Union in der Sonntagsfrage 14 Prozentpunkte Vorsprung. In der Kanzlerfrage führt Merkel mit 58:31 gegen Schulz. Die Werte sind bereits seit einigen Wochen nahezu unverändert. Die Arbeit der Bundesregierung finden 73 Prozent der Befragten gut. Selbst Wähler von Linken, Grünen und FDP kommen mehrheitlich zu diesem Ergebnis. Doch profitieren kann nur Merkel: Dass sie einen guten Job mache, finden 78 Prozent der Wahlberechtigten, unter ihnen auch eine Mehrheit der SPD-Wähler.

Cum-Ex, NSA, BND, NSU: Die GroKo hielt eisern zusammen

Eine Sitzungswoche liegt noch vor dem Bundestag. Diszipliniert bringt die große Koalition letzte Projekte zu Ende. Am Freitag zeichnete sich sogar eine Einigung über das umstrittene Gesetz ab, mit dem Justizminister Heiko Maas (SPD) die Betreiber sozialer Netzwerke verpflichten will, härter gegen Hass-Kommentare vorzugehen. In vier Untersuchungsausschüssen, die derzeit ihre Abschlussberichte vorlegen, haben Union und SPD eisern zusammengehalten, egal ob es um politische Fehler bei Cum-Ex-Geschäften, den Dieselskandal, die Abhörpraktiken von NSA und BND oder die NSU-Morde ging.

Damit soll nun Schluss sein. Etwas mehr als 90 Tage bleiben der SPD noch, den Rückstand aufzuholen. Gleich zweimal stellten sich die Kanzlerin und Herausforderer in dieser Woche hintereinander demselben Publikum. Auf dem Verbrauchertag wurde Schulz' Rede neunmal von Applaus unterbrochen, Merkels nur viermal. Vor den Vertretern der deutschen Industrie erhielt die Kanzlerin hingegen 16-mal Zwischenapplaus, der Herausforderer, bei kürzerer Redezeit, neunmal.

Gerhard Schröder steht für die Maschinenraum-Wiederbelebung

Der Wille, in die Attacke zu reiten, war bei Schulz deutlich erkennbar, während Merkel sich weiter vor allem als Regierungschefin präsentierte. Schulz sprach meistens in der Ich-Form, Merkel blieb beim vagen Wir, mit dem meistens ihre Regierung, manchmal Deutschland als Ganzes und nur selten die Union gemeint war. Namentlich erwähnten sich beide nicht. Merkel sprach in Details, sie beschrieb, was die Regierung gemacht habe, was noch zu tun und worauf besonders geachtet werden müsse. Schulz ging häufiger ins Grundsätzliche, gerne ins Europäische und besonders gerne in die Konfrontation: Immer wieder stellte er "den politischen Mitbewerber" als programmatischen Verweigerer dar, geißelte "das Kanzleramt" für Blockaden und den Koalitionspartner für politische Trägheit. Maschinenraum und Sonnendeck.

Am Sonntag spricht vor Schulz der vielleicht erfolgreichste Wahlkämpfer der jüngeren SPD-Geschichte: Gerhard Schröder. Das passt gewiss nicht jedem Delegierten - aber es passt zur Wiederbelebung der Maschinenraum-Mentalität. Denn Schröder ist unübertroffen darin, in Abgrenzung von der Union Erfolge der SPD herauszustellen. Seine Lieblingsformel dafür beginnt stets mit den Worten: "Wir sind es doch gewesen ..."

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SZ vom 24.06.2017/ees
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