Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahl:Die Grünen stehen zu nah beim konservativen Lager

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Der Wechsel der Landtagsabgeordneten Elke Twesten zur CDU weist auf ein Problem der Grünen. Für Wähler von links wird die Partei unattraktiver.

Kommentar von Christoph Hickmann, Berlin

Seit die Grünen-Landtagsabgeordnete Elke Twesten ihren Wechsel zur CDU verkündet und damit die rot-grüne Mehrheit in Hannover gekippt hat, ist viel vom Schaden für die SPD die Rede gewesen. Etwas aus dem Blickfeld geraten ist in dieser ersten Aufregung die Bedeutung der Causa für die Grünen selbst. Doch der Fall ist für sie mindestens so unangenehm wie für die Sozialdemokraten.

Möglich wurde das Ganze ja auch durch ein schlampiges Management der Landtags-Grünen. Wer eine mit Schwarz-Grün sympathisierende Abgeordnete, die parteiinterne Niederlagen hinter sich und keine politische Zukunft vor sich hat, angesichts einer Einstimmenmehrheit nicht an die Hand nimmt, ihr keine Perspektive bietet, dem ist nicht zu helfen. Doch der Schaden geht über diese handwerklichen Fehler hinaus. Denn Elke Twesten lenkt keine zwei Monate vor der Bundestagswahl den Blick auf die Zerrissenheit der Grünen.

Für die Partei geht es um die ewige Frage, ob man eine eher linke oder doch eher bürgerlich-konservative Gruppierung sein will - und, daraus folgend, welchem Lager man sich zurechnen lässt. Nach den Erfahrungen aus der klar links ausgerichteten Kampagne zur Bundestagswahl 2013 hatte das grüne Spitzenpersonal beschlossen, sich nicht noch einmal derart eindeutig an der Seite der SPD zu positionieren. Stattdessen wollte man sich unter dem Schlagwort der "Eigenständigkeit" möglichst lange alles offen halten.

Arithmetisch war das geradezu zwingend - schließlich speist sich nicht nur die Mitgliedschaft, sondern auch die Wählerschaft sowohl aus dem linken als auch dem konservativ-bürgerlichen Lager. Hätten sich die Grünen also bereits im Wahlkampf klar an die Seite der Union gestellt, wären sie von ihren linken Wählern für jede CSU-Äußerung zur Flüchtlingsobergrenze in Mithaftung genommen worden.

Bei einer klar linken Verortung hätte jedes Wagenknecht-Interview bürgerliche Sympathisanten verschreckt. Zudem zeigen die Autoskandale, dass die Parole von der Eigenständigkeit auch sachpolitisch berechtigt ist: Offenkundig braucht es die Grünen weiterhin dringend als ökologisches Korrektiv, für die Union genauso wie für die SPD.

Brüchige Fassade der Eigenständigkeit

Das Problem ist nur, dass die Äquidistanz kaum noch glaubwürdig wirkt, wenn man sich das tonangebende Personal anschaut. In Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir setzten sich zwei Spitzenkandidaten aus dem Realo-Lager durch. Der dritte Grüne mit Breitenwirkung, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, regiert mit der CDU.

Und jeder Facebook-Post des Tübinger Oberbürgermeisters und Ultra-Realos Boris Palmer generiert mehr Aufmerksamkeit als eine Grundsatzrede des linken Fraktionschefs Anton Hofreiter. Nun kommt noch die CDU-affine Elke Twesten hinzu.

Das beschädigt die ohnehin brüchige Fassade der Eigenständigkeit noch weiter. Potenzielle Grünen-Wähler aus dem linken Lager dürften es sich mittlerweile genau überlegen, ob sie nicht sicherheitshalber doch SPD oder Linke wählen sollten.

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Quelle:
SZ vom 07.08.2017
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