Bundestagswahl am Sonntag:Die Wahl der Qual

Wahlplakate zur Bundestagswahl

Schwarz-Gelb oder große Koalition? Wahlplakate der SPD, CDU und FDP in Hamburg

(Foto: dpa)

Die FDP zittert, die Grünen bangen - und die SPD hofft bis zuletzt. Und wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Angela Merkel und Gregor Gysi nun so einiges gemeinsam haben? Union und Linke können als Einzige dem Resultat am Sonntag ziemlich entspannt entgegensehen. Selten war der Ausgang einer Bundestagswahl so offen wie diesmal.

Von Nico Fried, Berlin

Mit 45 Jahren soll Schluss sein mit der Politik. So hat es Philipp Rösler mal für sich angekündigt. Das wollte damals keiner recht glauben, weil es sich vor allem in Berlin bei Politikern und Journalisten in den meisten Fällen um Süchtige handelt, die sich einen freiwilligen Verzicht auf echte oder eingebildete Bedeutsamkeit nur sehr schwer vorstellen können.

Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Möglicherweise. Denn an diesem Sonntag könnte das politische Dasein des FDP-Vorsitzenden, Bundeswirtschaftsministers und Vizekanzlers enden. Und zwar schon mit 40.

Das Abschneiden der FDP ist eine der spannendsten Fragen dieser Bundestagswahl. Und Rösler, dem im richtigen Leben nur ein paar Fahrten im Notarztwagen fehlten, um einen Schein als Rettungssanitäter zu bekommen, droht nun zusätzlich der politische Lizenzentzug. Es geht nicht mehr nur um die Wiederwahl einer schwarz-gelben Regierung, sondern um den Verbleib der FDP im Bundestag, sprich: um ihre politische Existenz.

Das ist nicht das erste Mal in der mehr als 60 Jahre währenden parlamentarischen Geschichte der FDP. Und auch in dieser Legislaturperiode ist die Angst ums Überleben nichts Neues für die Liberalen. Zeitweise krebsten sie bei zwei bis drei Prozent herum. Es gibt einen Unterschied: An diesem Sonntag wird es wirklich ernst. Die letzte Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sieht die FDP nur knapp über fünf Prozent. Sicher ist da nur, dass nichts sicher ist.

Nach einem Jahr nimmt der Wahlkampf nun fast panikartige Züge an

Nimmt man die Nominierung von Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten der SPD im September 2012 als Stichtag, so hat das Land nun ziemlich genau ein Jahr Wahlkampf hinter sich. Stets war allen Strategen und jenen, die sich dafür halten, bewusst, dass die letzten Tage entscheidend sein würden, weil sich die stimmberechtigten Deutschen von Wahl zu Wahl später darauf festlegen, wem sie ihre Gunst erweisen. Tatsächlich hat der Wahlkampf in den vergangenen Tagen noch einmal fast panikartige Züge angenommen. Und interessanterweise hat das klare Ergebnis der Landtagswahl in Bayern die Verhältnisse im Bund eher verunklart.

Ausgerechnet Gregor Gysi und Angela Merkel haben an diesem Wochenende eine große Gemeinsamkeit: Sie können entspannt auf den Wahltag schauen. Gysi, Spitzenkandidat und Alleinunterhalter der Linken, liebäugelte am Donnerstagabend im Fernsehen sogar mit einem zweistelligen Ergebnis für seine Partei. Der Einzug in den Bundestag jedenfalls, der vor einigen Monaten noch zweifelhaft erschien, ist so gut wie sicher.

Merkel jedenfalls bewies eine gewisse Souveränität und verzichtete in der letzten Woche vor der Wahl auf ein Interview in der Bild-Zeitung, anders als ihr Herausforderer Peer Steinbrück, der gleich noch Helmut Schmidt und Gerhard Schröder mitbrachte, eine Dreier-Combo im Alter von zusammengerechnet 229 Jahren. Merkels wohltemperiertes "Tagesthemen"-Interview lief zudem in der ARD just zu dem Zeitpunkt, als eine sehr viel größere Fangemeinde gerade im ZDF dem Dortmunder Fußballtrainer Jürgen Klopp bei den Erklärungsversuchen für seinen jüngsten Tobsuchtsanfall im Champions-League-Spiel in Neapel lauschte.

Merkel kann gut lässig sein - sagt man so

Merkel hat gut lässig sein. Sie kann entweder mit der FDP weiter regieren oder in einer großen Koalition. Sagt man so. Es sei denn, es geschieht eine Wende und die SPD koaliert allen gegenteiligen Versprechungen zum Trotz mit der Linken. Oder es geschieht ein Wunder, und Rot-Grün holt allen gegenteiligen Umfragen zum Trotz eine Mehrheit.

Und was ist mit Schwarz-Grün? Seit vielen Jahren nicht mehr sind die kulturellen Unterschiede zwischen Union und Grünen so deutlich geworden wie in der letzten Woche vor der Wahl. Die Diskussion um die Rolle pädophiler Interessengruppen in der Gründungsphase der Grünen und die Verwicklung des heutigen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin hat Gräben zwischen beiden Lagern aufgerissen, die selbst der Wille zur Macht schwer wieder füllen könnte.

Rücktrittsforderungen, Schmutzkampagnenvorwürfe und öffentliche Briefwechsel, in denen die Tolerierung der Pädophilie auf der einen Seite mit der Weigerung auf der anderen Seite aufgerechnet wurde, Vergewaltigung in der Ehe zu verbieten, machen eine Koalition aus Merkel, Trittin, Kauder und Göring-Eckardt unvorstellbar.

Die FDP muss sich wieder so klein machen wie 1994

Für die Grünen war zudem das Ergebnis in Bayern wenig ermutigend. Am härtesten aber hat es da die FDP getroffen. Ihr Ergebnis war so schlecht, dass die Liberalen nicht nur unter die Fünf-Prozent-Hürde fielen - manchem Zuschauer dürfte auch die Kinnlade heruntergefallen sein, als er Röslers furchterregende Schreierei am Wahlabend im TV verfolgte. Nun versucht es die FDP mit einer Zweitstimmenkampagne.

"Nur mit der Faust in der Tasche", so ließ sich 1998 der damalige Generalsekretär Guido Westerwelle zitieren, habe er 1994 den Slogan ertragen: "FDP wählen, damit Helmut Kohl Kanzler bleibt." Er wolle nicht, so Westerwelle damals, "dass sich die FDP je wieder so klein machen muss". Doch in der letzten Wahlkampfwoche 2013 war es wieder so weit: "Wer Merkel haben will, wählt auch FDP", verkündete Spitzenkandidat Rainer Brüderle.

Ein Erfolg der AfD macht eine große Koalition wahrscheinlich

Für die SPD geht es am Sonntag darum, auf welchem Niveau die Partei mögliche Verhandlungen über eine große Koalition mit Merkels Union aufnehmen würde. Dieses bei den Bürgern gern gesehene, unter den Beteiligten aber weniger geschätzte Bündnis würde vor allem dann fast unausweichlich, wenn die Alternative für Deutschland (AfD) in den Bundestag einzieht, die ihre Kampagne fast ausschließlich auf dem Widerstand gegen die möglichen Kosten der Euro-Rettung gestützt hat. Paradoxerweise würde also ein Erfolg der AfD eine Regierung aus den Parteien fördern, die klar für die Rettung des Euro stehen - und im Zweifel auch dafür, dass Deutschland höhere Kosten trägt.

2005, nach dem Ende von Rot-Grün, sprachen Union und SPD auf politischer Augenhöhe miteinander, weil nur wenige Zehntelpunkte zwischen den Wahlergebnissen lagen. 2013 landet die SPD - aller Voraussicht nach - umgerechnet irgendwo auf der Höhe zwischen Hals und Bauchnabel der Kanzlerin.

Für die Spitze der Sozialdemokraten kein leichtes Unterfangen, den eigenen Leuten schmackhaft zu machen, sich noch einmal in Merkels Joch zu fügen. Am Donnerstagabend in einer letzten Fernsehrunde von Spitzenleuten der im Bundestag vertretenen Parteien in ARD und ZDF wirkte freilich SPD-Chef Sigmar Gabriel schon nicht mehr besonders angriffslustig, sondern mit einem Plädoyer für breiten Konsens bei Sozialreformen fast schon großkoalitionär gestimmt.

Peer Steinbrück hat wissen lassen, er werde an Gesprächen mit der Union mitwirken, obwohl er nicht mehr als Minister unter Merkel dienen will. Wie zementiert dieses Nein zu einem Platz im Kabinett ist, wird sich noch weisen. Nicht nur Stefan Raab als Moderator des Fernsehduells, sondern in dieser Woche auch die Altkanzler Schmidt und Schröder haben die Klugheit dieser Festlegung öffentlich infrage gestellt.

Zumal von den starken Ministern aus der Zeit der bisher letzten großen Koalition bei der SPD diesmal auch Franz Müntefering und Olaf Scholz fehlen würden - und wohl auch Frank-Walter Steinmeier, der allem Anschein nach lieber Fraktionschef bleiben möchte. Sollte Steinbrück sich nicht überreden lassen, an die Seite Merkels zu ziehen, wird die SPD wohl hinterfragen, warum der gescheiterte Kandidat noch Verhandlungen führen soll, wenn er deren Ergebnis gar nicht vertreten will.

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