Bundestagswahl:Warum Merkel noch immer schwer zu schlagen ist

German Chancellor Merkel attends the weekly cabinet meeting in Berlin

Die Bundestagswahl in diesem Jahr steht unter der Überschrift. Alle gegen Angela Merkel.

(Foto: REUTERS)

Zwist mit der CSU, starker Zulauf für die AfD: Die Kanzlerin steht im Wahljahr 2017 unter großem Druck. Doch sie wird womöglich auch Stimmen von Bürgern bekommen, die sich früher eher die Hand abgehackt hätten, als ihr Kreuz bei der Union zu machen.

Von Nico Fried, Berlin

So viel Einsamkeit war selten: Angela Merkel will 2017 noch einmal für vier Jahre Bundeskanzlerin werden. Sagt sie zumindest. Und wer will das sonst noch? Selbst in ihrer CDU haben sich viele nur in einer Mischung aus brüchiger Geschlossenheit und unterdrückter Verdrossenheit hinter Merkel gestellt. Das war's dann aber auch. Schon die nächsten Verwandten aus der CSU haben sich bisher nicht überwinden können, die Kanzlerin auch als ihre Kandidatin zu küren. Wenn es Horst Seehofer am Ende doch noch machen sollte, wird er viel zu erklären haben - vor allem, warum er den Deutschen für weitere vier Jahre eine Frau zumuten will, die nach Auffassung der CSU mit ihrer Flüchtlingspolitik die Kontrolle verloren, das Recht gebrochen und Europa gespalten hat.

Das Wahljahr 2017 beginnt somit in einer ungewöhnlichen Konstellation. Die Hauptfrage lautet: Merkel oder nicht mehr Merkel? Natürlich ging es auch in den vergangenen Bundestagswahlen immer um den Regierungschef, respektive die Chefin. Doch entweder trat mit dem Kanzler oder der Kanzlerin eine amtierende Koalition als mehr oder weniger geschlossene Einheit zur Wiederwahl an wie 1994 und 1998 Helmut Kohls Union und die FDP, 2002 Rot-Grün mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer oder auch 2013 Schwarz-Gelb. Oder die Wähler hatten zumindest eine klare Alternative wie 2005 und - im zweiten Anlauf - 2009 mit Union und FDP.

Beides ist in diesem Jahr einstweilen nicht erkennbar: 2017 tritt keine Koalition dafür an, wieder gewählt zu werden. Im Gegenteil: Mindestens der sozialdemokratische Teil der Bundesregierung könnte zwar nach dem derzeitigen Stand der Umfragen froh sein, sich erneut in eine große Koalition zu retten, kann aber niemals mit diesem Anspruch antreten. Eine eindeutige Alternative wie am Ende der ersten großen Koalition unter Merkel 2009 gibt es aber auch nicht. Damals stärkten die unzufriedenen Union-Wähler die FDP und hoben sie in die Regierung. 2017 stärken viele von ihnen möglicherweise die AfD. Und mit der will niemand regieren.

So stehen die Bundestagswahlen, Stand Jahresanfang 2017, unter der Überschrift: Alle gegen eine - aber jeder für sich. Das erste ist ein Problem für Merkel, das zweite ihr größter Vorteil. Denn einerseits wissen bislang nicht einmal die Unionsparteien, ob sie noch einmal miteinander koalieren wollen. Der Streit um die Obergrenze für Flüchtlinge trennt Angela Merkel und Horst Seehofer. Zugleich ist er nur eine Chiffre für den tiefen persönlichen Vertrauensschwund zwischen Kanzlerin und CSU-Chef. Dieser Zwist zwischen den Vorsitzenden ist deutlich größer ist als der in ihrem Gefolge, wie nun das Scheitern eines Kompromisspapiers zeigte, das ein CDU- und ein CSU-Abgeordneter zum Thema Obergrenze vorgelegt hatten. Ein Versöhnungstreffen der Parteispitzen im Februar steht auf der Kippe.

Andererseits führt die Union in den Umfragen mit großem und derzeit wieder wachsendem Vorsprung, eine Regierung gegen sie könnten derzeit rechnerisch selbst SPD, Grüne, Linke und FDP gemeinsam kaum bilden - zumal noch immer nicht klar ist, wer an ihrer Spitze stehen sollte. Die für spätestens Ende Januar anberaumte Entscheidung über den Kanzlerkandidaten der SPD wird fast zwangsläufig zu neuen Friktionen führen. Tritt Parteichef Sigmar Gabriel an, wird er Mühe haben, auch jene hinter sich zu versammeln, die lieber Martin Schulz oder Olaf Scholz gehabt hätten. Verzichtet er, muss er auch auf den Parteivorsitz verzichten, die SPD stünde wenige Monate vor der Wahl vor einem Neuanfang.

Viele Koalitionen sind denkbar, kaum eine ist aber kalkulierbar. Wer zum Beispiel die Grünen wählt, kann eine schwarz-grüne, eine Ampel-Koalition oder eine rot-rot-grüne Koalition bekommen, anders gesagt: Er oder sie kann Regierungen ins Amt verhelfen, in denen von Horst Seehofer über Christian Lindner bis Sahra Wagenknecht alles denkbar ist.

Sympathien bis ins linke Lager

An den politischen Rändern sind die Botschaften klar. Linke und AfD leben von der Devise: Merkel muss weg. Die AfD bezeichnete die Opfer des Terroranschlags in Berlin als Merkels Tote. Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht äußerte sich nun in die gleiche Richtung, wenn auch differenzierter: "Es gibt eine Mitverantwortung, aber sie ist vielschichtiger", sagte sie dem Stern, und nannte als Ursachen die "unkontrollierte Grenzöffnung", die "kaputtgesparte Polizei" und die Außenpolitik.

Bei der Wahl aber läge in der hochgradigen Personalisierung und der so tiefen persönlichen Abneigung ihrer Gegner auch eine Chance zur Mobilisierung für Merkel. Nicht nur die ungewisse außenpolitische Lage könnte viele Wähler bewegen, auf das Bekannte zu setzen, weil sie nur Merkel zutrauen, im Umgang mit Donald Trump oder Wladimir Putin überhaupt ernst genommen zu werden. Mehr noch als 2013 wären womöglich auch Bürgerinnen und Bürger bereit, die Kanzlerin zu wählen, die sich früher eher die Hand abgehackt hätten, als ihr Kreuz bei der Union zu machen.

Ihre Flüchtlingspolitik hat Merkel bis ins linke Lager hinein Sympathien eingebracht. Ihre Popularität liegt noch immer deutlich über allen potenziellen Herausforderern. Vor allem SPD, Grüne und FDP müssen deshalb fürchten, in einer sich aufschaukelnden Auseinandersetzung zwischen Merkel-Befürwortern und Merkel-Hassern unterzugehen.

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