Die Grünen:Habeck will Kanzlerkandidat werden

Lesezeit: 3 Min.

Vom Küchentisch aus macht Robert Habeck offiziell, was alle erwartet hatten: Er will Kanzlerkandidat von Bündnis 90/Die Grünen werden. (Foto: Elias Keilhauer/dpa)

Per Video vom Küchentisch kündigt der Wirtschaftsminister an, dass er sich als Spitzenkandidat der Grünen bewerben will. Nicht jeder in der Partei ist begeistert.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller, Berlin

Die Grünen ziehen trotz schwacher Umfragewerte mit einem eigenen Kanzlerkandidaten in eine vorgezogene Bundestagswahl. Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck will sich auf dem nahenden Parteitag in gut einer Woche zur Wahl zu stellen. Am Freitag gab Habeck seine Kandidatur in einem Video bekannt.

Dass Habeck Spitzenkandidat werden würde, ist bei den Grünen schon seit Monaten ein offenes Geheimnis. Er hat seit dem Rückzug seiner Konkurrentin Annalena Baerbock im Frühsommer freie Bahn. Beim noch laufenden Umbau der Parteispitze zieht er bereits mit die Fäden und gilt seit Monaten als die Führungsfigur der Partei schlechthin. Dennoch hatte er seine Kandidatur bislang nicht offiziell erklärt und nur angedeutet, dass er bereit sei, Verantwortung zu übernehmen. „Ich will nicht hinnehmen, dass Angst und Zorn uns aufzehren“, sagt Habeck in dem neun Minuten langen Video, aufgezeichnet an einem Küchentisch. „Deshalb habe ich mich entschieden. Deshalb kandidiere ich noch einmal.“

In einem inszenierten Schreibtischvideo ließen zuvor sich ebenfalls bereits Hinweise erkennen – etwa ein Armband Habecks mit dem Schriftzug „Kanzler era“ und ein rot markierter Kalendereintrag für diesen Freitag.

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Er biete seine Erfahrung und seine Kraft an, sagt Habeck nun. „Wenn Sie wollen, auch als Kanzler.“ Bisher war unklar, ob die Grünen angesichts einer Zustimmung von nur noch zehn bis elf Prozent der Wählerstimmen wirklich Anspruch auf den Einzug ins Kanzleramt anmelden würden – zumal die Hoffnungen angesichts des neuen und vorgezogenen Wahltermins im Frühjahr nun noch mehr schwinden, Prozentpunkte wiedergutzumachen.

Habecks „Übernahme“ missfällt einigen

Für die Grünen kommt das am Mittwochabend besiegelte Regierungsaus zur Unzeit. Denn eigentlich wollte die Partei sortiert und mit viel Vorlauf zur Bundestagswahl den eigenen Neuanfang starten. Ab Freitag in einer Woche soll der Parteitag der Grünen, die „Bundesdelegiertenkonferenz“, eine komplett neue Führungsspitze festlegen.

Dann sollen die Habeck-Vertraute Franziska Brantner und der Habeck-nahe Linke Felix Banaszak die Parteispitze von Omid Nouripour und Ricarda Lang übernehmen, die mit großen Teilen des Vorstands ihren Rückzug angekündigt hatten. Brantner kommt ebenfalls aus dem Realo-Lager, gilt genau wie der Vizekanzler als Pragmatikerin und als eine, die die Partei eher in der Mitte der Gesellschaft als am linken Rand verorten will. Banaszak gilt als gemäßigter Vertreter des linken Parteiflügels.

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Die neue Machtfülle Habecks löst bei den Grünen allerdings auch Diskussionen aus. Schon vor dem Rücktritt der Parteispitze sprach manch einer in der Grünen-Zentrale von einer „drohenden Übernahme“. Habeck habe für den Wahlkampf am liebsten zwei Dutzend Leute in die Parteizentrale entsenden wollen. Dort wehrte man sich dagegen, sah sich auch ohne Extra-Manpower aus dem Wirtschaftsministerium gut gerüstet. Nun wird die gesamte Partei auf ihn zugeschnitten.

Das Heizungsgesetz ist nicht vergessen

Habeck arbeitet damit auch an der Aufarbeitung des schmerzhaftesten Tages seiner politischen Laufbahn. So jedenfalls bezeichnete er im April 2021 jenen Tag, an dem er zugunsten Annalena Baerbocks auf die Kanzlerkandidatur verzichtete. „Ich bin nicht in der Position, auf die ich hingearbeitet habe“, sagte er seinerzeit in einem Interview mit der Zeit. Am Ende landete die Partei mit 14,7 Prozent hinter den eigenen Erwartungen. Die Schuld dafür suchten viele bei Wahlkampfpannen Baerbocks.

In der Folge brachte Habeck sich systematisch für die kommende Bundestagswahl in Stellung. Obwohl er nicht der Kanzlerkandidat war, sicherte er sich in der Ampelkoalition das Amt des Vizekanzlers – und damit eine herausgehobene Stellung innerhalb der Grünen-Minister. Als Wirtschaftsminister ließ er kaum eine Bühne aus und trimmte auch grüne Politik auf einen pragmatischen Kurs der Mitte. In der Energiekrise schwang er sich zum obersten Krisenmanager der Republik auf und warf dafür auch so manchen grünen Grundsatz über Bord – etwa, um möglichst schnell an Ersatz für russisches Gas zu gelangen. In den Umweltverbänden nehmen ihm das viele bis heute krumm. Gleichzeitig attestieren ihm auch Parteifreunde große Flexibilität, was nicht zwingend nur als Kompliment zu verstehen ist. Als Wahlkämpfer könne er durchaus wieder andere Akzente setzen.

Für Habeck beginnt mit der Kandidatur eine schwierige Mission. Denn nach Aufbruch sieht derzeit wenig aus bei den Grünen. Viermal hat die Partei dieses Jahr versucht, bei Wahlen aus dem Tief zu kommen – viermal ging das gründlich schief. Bei der Europawahl im Juni halbierten die Grünen ihr Ergebnis fast, von mehr als 20 auf 11,9 Prozent. Es folgten Landtagswahlen im Doppelpack. In Sachsen gelang den Grünen der Wiedereinzug in den Landtag mit gerade mal 5,1 Prozent. In Thüringen scheiterte die Partei dann deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde, bei 3,2 Prozent blieb der Balken am Ende des Abends stehen. In Brandenburg stürzten die Grünen von elf auf vier Prozent ab. Von Werten, die ins Kanzleramt führen, ist die Partei weit entfernt.

Die Hoffnung ist zwar in Teilen der Partei groß, dass Habeck mit seiner Popularität und Überzeugungskraft eine Wende gelingt. Millionen Deutsche schauen sich etwa seine Erklärvideos zu aktuellen Themen an. Doch nicht alle halten ihn für den besten Kandidaten. Manch einer findet es unfair, dass die Parteichefs gehen mussten, da die großen Fehler doch eigentlich im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck passiert seien. Schließlich gingen die Kurven vor allem nach dem unfertig an die Öffentlichkeit gelangten und kommunikativ vermasselten Heizungsgesetz von Robert Habeck nach unten. Mittlerweile hat sich im Land das Bild einer Partei verfestigt, die beim Klimaschutz buchstäblich durch die Kellerwand will – koste es, was es wolle.

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