Altkanzlerin Angela Merkel hat sich am Donnerstag vom Verhalten ihrer Partei im Bundestag distanziert. Die CDU hatte am Mittwoch einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik ins Parlament eingebracht, der nur Dank Zustimmung der AfD eine Mehrheit fand. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl stellt sich Merkel damit offen gegen den Kurs von CDU-Chef Friedrich Merz.
Merkel war 18 Jahre lang Vorsitzende der CDU. In einer „Erklärung“ verweist sie nun darauf, dass Merz noch am 13. November 2024 im Bundestag erklärt habe: „Für die wenigen verbleibenden Entscheidungen, die ohne Bundeshaushalt möglich sein könnten, will ich Ihnen hier einen Vorschlag machen: Wir sollten mit Ihnen, den Sozialdemokraten, und Ihnen, den Grünen, vereinbaren, dass wir nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit Ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben, sodass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt. Diese Verabredung möchte ich Ihnen ausdrücklich vorschlagen, meine Damen und Herren. Denn das hätten diese Damen und Herren von rechts außen doch gerne, dass sie plötzlich die Mehrheiten besorgen, und sei es mit Ihnen von den beiden Minderheitsfraktionen bei der Bestimmung der Tagesordnung. Wir wollen das nicht. Ich hoffe, Sie sehen das auch so, liebe Kolleginnen und Kollegen.“
Die ehemalige Kanzlerin kritisiert Merz dafür, sich nicht an seinen eigenen Vorschlag gehalten zu haben
Dieser Vorschlag von Merz und die mit ihm verbundene Haltung seien Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung gewesen, „die ich vollumfänglich unterstütze“, schreibt Merkel jetzt. „Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen.“
Stattdessen sei es jetzt erforderlich, dass alle demokratischen Parteien „gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg, nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts, alles tun, um so schreckliche Attentate wie zuletzt kurz vor Weihnachten in Magdeburg und vor wenigen Tagen in Aschaffenburg in Zukunft verhindern zu können“.
Der umstrittene Antrag enthält fünf Forderungen
Der Antrag der Unionsfraktion, der am Mittwoch im Bundestag eine Mehrheit fand, enthält die fünf Forderungen, die Merz nach der tödlichen Messerattacke in Aschaffenburg vor einer Woche aufgestellt hat. Dazu gehören dauerhafte Grenzkontrollen und die Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche illegaler Einreise. Die Union will „ein faktisches Einreiseverbot für Personen, die keine gültigen Einreisedokumente besitzen und die nicht unter die europäische Freizügigkeit fallen“.
Außerdem sollen Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, nicht mehr auf freiem Fuß sein dürfen. „Sie müssen unmittelbar in Haft genommen werden“, heißt es in dem Antrag. Ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder sollen künftig in einem zeitlich unbefristeten Ausreisearrest bleiben, bis sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren oder die Abschiebung vollzogen werden kann. „Aus diesem Arrest ist die freiwillige Ausreise ins Herkunftsland jederzeit möglich. Nicht mehr möglich darf hingegen eine Rückkehr nach Deutschland sein“, heißt es in dem Antrag.
Eine CDU-Abgeordnete votierte mit Nein, einige blieben der Abstimmung fern
An der Abstimmung über den Antrag beteiligten sich 702 der 733 Bundestagsabgeordneten. 348 stimmten mit Ja, 344 mit Nein. Zehn enthielten sich. Bei der Union stimmten 187 der 188 anwesenden Parlamentarier mit Ja, nur die CDU-Abgeordnete Antje Tillmann votierte mit Nein.
Marco Wanderwitz, der vehement für ein Verbot der AfD eintritt, nahm nicht an der Abstimmung teil, ebenso wie Frauen-Union-Chefin Annette Widmann-Mauz, Roderich Kiesewetter, Monika Grütters und Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas. Sie gelten als Kritiker des Vorgehens von Merz. Auch die Abgeordneten Thomas Heilmann, Sabine Weiss und Astrid Timmermann-Fechter fehlten bei der Abstimmung.
Lob von SPD und Grünen für Merkel
Die Grünen und die Sozialdemokraten lobten Merkel umgehend für ihre Stellungnahme. „Danke ANGELA MERKEL. Diese Worte und dass sie überhaupt von ihr jetzt gesagt werden (müssen) zeigen den Abgrund, auf den die Union sich zubewegt“, schrieb Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) auf der Plattform X. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärte: „Angela Merkel findet deutliche Worte zu Merz. Respekt.“ Grünen-Chef Felix Banaszak schrieb, Merkel habe „sich bislang jede Kritik an ihren Nachfolgern verkniffen. Wie klar und präzise sie nun Friedrich Merz auseinandernimmt, spricht Bände.“ Es sei „traurig, dass in der Unionsspitze der Wunsch nach Abgrenzung zu ihr größer zu sein scheint als gegenüber der AfD“.