Bundestagswahl:Das Paradoxon der Briefwähler

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Wahlentscheidung aufgeschoben: In Leipzig hat weniger als die Hälfte der Briefwähler den Stimmzettel bereits zurückgeschickt. (Foto: imago images/Christian Grube)

Die Zahl der Menschen, die zu Hause wählen wollen, steigt stark - so eilig wie bei früheren Wahlen haben sie es aber nicht damit. Unentschlossenheit ist wohl nicht der Grund.

Von Kassian Stroh, München

München hat die 50-Prozent-Marke schon fast geknackt, in Hamburg haben 38 Prozent der Wahlberechtigten Briefwahlunterlagen angefordert, in Köln gut 41 Prozent. "Rekordwerte" heißt es überall in den Rathäusern: So viele Menschen wie nie zuvor wollen bei der Bundestagswahl per Brief abstimmen. Doch so rasant ihr Anteil steigt, gewählt haben die meisten von ihnen noch nicht. Im Gegenteil, der Anteil der zurückgeschickten Stimmzettel scheint sogar geringer zu sein als sonst.

Dass die Briefwahl immer beliebter wird, ist für die um Stimmen kämpfenden Parteien eine Herausforderung. Im Grunde gebe es somit "keinen Wahltag mehr, sondern Wahlwochen", sagt Peter Matuschek vom Meinungsforschungsinstitut Forsa. Doch gelaufen ist auch eineinhalb Wochen vor dem Wahlsonntag noch lange nichts, tatsächlich scheinen die meisten Briefwählerinnen und Briefwähler in diesem Jahr ihre Kreuze endgültig erst in den kommenden Tagen zu machen.

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Zwei Wochen vor der Bundestagswahl rufen die Parteien den Kampf um die Unentschlossenen aus. Viele haben sich bereits festgelegt oder per Brief gewählt. Überraschungen könnte es dennoch geben.

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Nach Schätzungen haben bundesweit nur etwa zehn Prozent der Wahlberechtigten bereits einen Stimmzettel ins Rathaus zurückgeschickt, in den Städten tendenziell mehr, wie Stichproben zeigen: In Hamburg etwa 14 Prozent, in Köln gut 16 Prozent, in der traditionellen Briefwahl-Hochburg München mehr als zwölf Prozent, in Leipzig elf Prozent.

Welche Rolle spielt Corona?

Leipzig ist einer der wenigen Orte, die den Rücklauf der Briefwahl tagesgenau mit der Bundestagswahl 2017 vergleichen. In der sächsischen Stadt ergibt sich das interessante Bild, dass zu diesem Zeitpunkt vor vier Jahren bereits die Hälfte der Briefwahlunterlagen ausgefüllt war. Diesmal sind es etwa zehn Prozentpunkte weniger. Das deute darauf hin, "dass die große Zahl derer, die schwankt, doch größer ist", sagt der Berliner Politologe Gero Neugebauer.

Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen sieht hingegen einen anderen Grund: Üblicherweise wolle jemand per Briefwahl abstimmen, wenn er am Wahlsonntag nicht da sei, etwa im Urlaub. Da liege es nahe, dass er den Zettel früh ausfülle und abschicke, da er dann ja weg sei. Diesmal aber wollten viele Menschen wegen Corona nicht ins Wahllokal, sagt Jung. "Die können das problemlos wochenlang rumliegen lassen" und ihre Meinung auch spät noch ändern, nicht anders als die sogenannten Urnenwähler.

Insbesondere SPD und Grüne hatten ihre Wahlkampagne zuletzt sehr auf mögliche Briefwähler ausgerichtet. Ihre Hoffnung: Höhere Zustimmungswerte in den Umfragen im August schlagen auf diese Weise direkt auf das Wahlergebnis durch. Doch angesichts der derzeitigen Rücklaufzahlen dürfte dieser Effekt nicht allzu groß ausfallen. Wahlforscher Jung sagt: "Dass die finale Entscheidung bei einem Großteil der Wähler um Wochen vorgezogen" worden sei, erwarte er nicht.

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