Bundestagspräsident:Lammerts letzter Tag

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Bundestagspräsident Norbert Lammert verlässt nach seiner letzten Sitzung als Leiter des Bundestags den Plenarsaal in Berlin. (Foto: dpa)

Der scheidende Bundestagspräsident liest dem Parlament zum Abschied in einer Grundsatzrede über die Demokratie die Leviten. Und bekommt Fürsprache aus ungewöhnlicher Richtung.

Von Robert Roßmann, Berlin

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Norbert Lammert auch ein guter Bundespräsident wäre, dann hat er ihn am Dienstag erbracht. Um neun Uhr kam der Bundestag zu seiner letzten Sitzung vor der Wahl zusammen. Es war auch Lammerts letzter Tag im Parlament, er zieht sich freiwillig aus der Politik zurück. Aber der Bundestagspräsident nutzte die Gelegenheit nicht nur für persönliche Abschiedsworte, sondern auch für eine Grundsatzrede über den Parlamentarismus und die Demokratie, wie sie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier noch nicht gelungen ist.

Dabei warnte Lammert vor einem "Ausbluten" der Demokratie. Und er las dem Parlament die Leviten. Der Bundestag sei "nicht immer so gut, wie er sein könnte und auch sein sollte", klagte Lammert. So sei der Eifer bei der Kontrolle der Regierung mitunter zu wenig ausgeprägt, außerdem werde "noch immer zu viel geredet und zu wenig debattiert".

Länger Bundestagspräsident als Merkel Kanzlerin

Lammerts Auftritt war das würdige Ende einer eindrucksvollen Karriere. Der CDU-Politiker wurde 1980 das erste Mal in den Bundestag gewählt. 1983 stimmte er in einer Sondersitzung der Unionsfraktion als einziger Abgeordneter gegen ein Amnestiegesetz, das Helmut Kohl während der Flick-Affäre durchpeitschen wollte. 1989 bis zur Abwahl Kohls 1998 war Lammert Staatssekretär. Am 18. Oktober 2005 wurde er Präsident des Bundestags. Er ist damit länger Bundestagspräsident als Angela Merkel Kanzlerin.

In diesem Frühjahr hätte Lammert sogar Bundespräsident werden können, aber er wollte nicht. Auch deshalb sitzt jetzt Steinmeier im Schloss Bellevue. Der Bundestagspräsident ist seit 46 Jahren mit Gertrud Lammert verheiratet. Die Frau ist pensionierte Lehrerin, gilt als bodenständig und frei von jeder Sehnsucht, Teil der High Society zu werden. Spekulationen, er sei nur wegen des Unwillens seiner Frau nicht zu einer Präsidentschaftskandidatur bereit gewesen, weist Lammert jedoch zurück. Richtig sei, "dass sie genauso wenig in dieses Amt, das für sie ja eher eine Aufgabe ohne Amt gewesen wäre, wollte wie ich".

Dass Lammert nicht nur für die Union wählbar gewesen wäre, zeigte am Dienstag Gregor Gysi. Der Linke pries Lammerts Einsatz für die Minderheitenrechte und seine Unabhängigkeit von der Regierung. In seiner ganzen Amtszeit sei Lammert "nie parteiisch und nie der verlängerte Arm irgendeiner Koalition" gewesen.

Lammerts ungewöhnlichster Auftritt im Parlament hatte aber nichts mit Minderheitenrechten zu tun. Im Juni 2013 erschien der Bundestagspräsident in Trainingshose und Sport-Shirt im Plenarsaal. Die Fraktionen hatten Abgeordnete herbeitelefoniert, weil die Beschlussfähigkeit des Parlaments angezweifelt worden war. Lammert erwischten sie auf dem Rad, er drehte gerade eine Runde durch Berlin. Um keine Zeit zu verlieren, eilte er in Sportsachen in den Bundestag - allerdings vergeblich. Es kamen zu wenig Abgeordnete, die Sitzung musste beendet werden.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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