Süddeutsche Zeitung

Bundestagsdebatte:"Wenn du was werden willst, musste in den Westen gehen"

  • Die Regierung warnt in ihrem "Bericht zum Stand der Deutschen Einheit", dass zunehmende Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland den ohnehin lahmenden wirtschaftlichen Aufholprozess und den gesellschaftlichen Frieden gefährdet.
  • Die Linke kritisiert im Bundestag, dass es auch ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung keine gleichwertigen Lebensverhältnisse im Osten gibt.
  • Die Union hält die Kritik für unbegründet: "Es gibt einen klaren Fahrplan zur Rente: Angleichung bis 2020", sagt der Unions-Abgeordnete Hauptmann.

Von Deniz Aykanat

Kurz vor Beginn der Feierlichkeiten zum Jahrestag der deutschen Einheit debattiert der Bundestag am Freitag über den Bericht zur Entwicklung in Ostdeutschland, den die Regierung vergangene Woche vorgelegt hat. Er hatte heftige Kontroversen ausgelöst, dennoch ist zur Debatte der Plenarsaal nur spärlich besetzt.

Der Bericht warnt vor zunehmender Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern, die den ohnehin lahmenden wirtschaftlichen Aufholprozess und den gesellschaftlichen Frieden gefährde. Mehrere ostdeutsche Ministerpräsidenten hatten die Darstellung kritisiert und entgegnet, Fremdenfeindlichkeit sei nicht allein ein Problem der neuen Bundesländer. Nun soll der Streit also im Bundestag fortgesetzt werden.

Den Anfang macht die Bundesbeauftragte für die neuen Länder, Iris Gleicke (SPD), und verteidigt den Bericht. "Da wird jetzt von einem neuen Osthass gesprochen", sagt sie. Die Zahlen seien aber eindeutig: In Ostdeutschland gebe es eine massive Zunahme an rechtsextremistischen Gewalttaten. Und die Zahl der Taten liege bezogen auf die Einwohnerzahl deutlich über dem Durchschnitt Deutschlands. "Sollen wir hoffen, dass sich das irgendwie löst? Sollen wir es machen wie die drei Affen, die nichts hören, nichts sehen, nichts sagen?"

"Der Osten ist arm, er ist alt und er ist rechts"

"Wenn du was werden willst, musste in den Westen gehen", beginnt Linken-Abgeordnete Susanna Karawanskij ihre Rede im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes, das vor der Einheit zu West-Berlin gehörte. Diesen Satz habe sie erst kürzlich wieder in ihrem Wahlkreis gehört.

Karawanskij macht die wirtschaftliche Situation der Menschen für die Fremdenfeindlichkeit verantwortlich. "Der Osten ist arm, er ist alt und er ist rechts. Das ist tatsächlich schlimm. Aber dieser Befund ist nicht neu oder überraschend." Es fehle an einer Zukunftsperspektive. Karawanskij wirft der Bundesregierung vor, dass sie es in einem Vierteljahrhundert nicht geschafft habe, eine Angleichung zwischen Ost und West zu erreichen.

"Die Menschen rackern und bringen sich ein und bekommen immer noch gesagt, dass sie weniger wert sind", sagt Karawanskij. "Wir haben keine Lust mehr, noch ein Vierteljahrhundert zu warten." Die Linke fordert deshalb eine steuerfinanzierte Angleichung der Renten.

Mark Hauptmann, von der Unionsfraktion, spricht gleich nach Karawanskij und weist die Kritik zurück. "Es gibt einen klaren Fahrplan zur Rente: Angleichung bis 2020. Was wir nicht brauchen, ist eine populistische Debatte, wie sie die Linke führt."

Vieles sei erreicht worden. Hauptmann nennt die Erhöhung der Lebenserwartung im Osten, die Start-up-Szene, international führende Unternehmen, Naturschutzgebiete. "Ich kann diese Jammerei der Linken nicht mehr hören. Ich bin stolz auf dieses Land."

"Es geht nicht dem ganzen Osten schlecht. Das ist Quatsch"

Bundestagspräsident Lammert unterbricht Hauptmanns Lobpreisung für eine Zwischenfrage aus der Linken-Fraktion: "Die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten in meinem Wahlkreis wird einmal in die Altersarmut abrutschen. Ist das dann auch Gejammere?" Hauptmann kontert mit Zahlen und Statistiken.

Auch Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt widerspricht der Linken: "Es geht nicht dem ganzen Osten schlecht. Das ist Quatsch." Aber es gehe eben nicht nur um eine Aufholjagd des Ostens gegenüber dem Westen.

Sie spricht die Sprengstoffanschläge auf eine Moschee und den Ort der Einheitsfeierlichkeiten in Dresden an. "Das ist nicht die deutsche Einheit, wie ich sie mir vorstelle." Göring-Eckardt mahnt zu Toleranz, Offenheit und Demokratie. "Der Osten hat viel bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus versäumt. War es denn nicht so, dass wir nur festgestellt haben, dass wir auf der richtigen Seite der Geschichte stehen?" Und sie betont den geringen Ausländeranteil in den neuen Bundesländern. "Fremdenfeindlichkeit ohne Fremde. Das muss man erst mal schaffen."

Nicht neu und überraschend seien die Befunde aus dem Osten, sagte Linken-Abgeordnete Karawanskij bei ihrem Vortrag. Und zumindest in diesem Punkt erntete sie keinen Widerspruch. So bleibt am Ende auch dieser Debatte ein Eindruck, den jede Debatte zur Deutsche Einheit Jahr für Jahr zu hinterlassen scheint: Beim Zusammenwachsen der Republik gibt es zwar Fortschritte. Doch so richtig zusammengefunden hat man noch nicht.

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