Bundestagsdebatte:"Das ist nicht christlich, das ist nicht sozial. Das ist komplett absurd"

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  • Nach einer teils erbitterten Debatte hat der Bundestag dem Gesetzentwurf von Unionsparteien und SPD zum Familiennachzug zugestimmt.
  • Bis zum 31. Juli soll der Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus ausgesetzt bleiben, dann soll er auf 1000 Menschen pro Monat begrenzt werden.
  • Die Regierungskoalition spricht von einem akzeptablen Kompromiss, die Opposition von einem "Trauerspiel zulasten der Menschlichkeit".

Von Markus C. Schulte von Drach

"Es geht um Humanität und Verantwortung", betonte Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Und darum, einen Kompromiss zu akzeptieren, der den Beteiligten einiges abverlangt hätte. Das hat die Mehrheit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag nun getan. Sie haben dem Gesetzentwurf zum Familiennachzug von Flüchtlingen zugestimmt, den die Unionsparteien und die SPD gemeinsam eingebracht hatten.

Für den von der Unionsfraktion eingebrachten Gesetzentwurf stimmten 376 Abgeordnete. Dagegen stimmten 298 Bundestagsmitglieder. Vier enthielten sich. CDU, CSU und SPD haben zusammen im Bundestag 399 Sitze.

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Große Worte waren während der Debatte gefallen, teils wurde bitter gestritten. Schließlich ging es um ein stark mit Emotionen besetztes Thema: Familien, die durch Krieg und Flucht zerrissen, Kinder, die von ihren Eltern getrennt wurden, Ehepartner, die sich für Monate und Jahre nicht sehen. Um solche Zustände zu ändern, hatte Deutschland 2015 Flüchtlingen, die kein Asyl, aber sogenannten subsidiären Schutz erhielten, Familiennachzug ermöglicht. Betroffen waren vor allem Syrer. Doch nachdem die Zahl der Flüchtlinge stark angestiegen war, hatte die Regierung die Maßnahme im März 2016 für zwei Jahre ausgesetzt.

Mit dem jetzt verabschiedeten Gesetzentwurf soll dieser Zustand nun bis zum 31. Juli 2018 verlängert werden. Danach soll ein neues Gesetz regeln, dass jeden Monat bis zu 1000 Familienangehörige zu subsidiär Schutzberechtigten nachziehen können. Die bisher schon geltende Härtefallregel, durch die einige Betroffene doch mit Kindern oder Partnern wieder vereint werden konnten, soll weiterhin gelten.

"Ein bisschen Barmherzigkeit"

Insbesondere den Umgang mit den Härtefällen verteidigte de Maizière mit dem Hinweis darauf, man bräuchte auch ein bisschen Großzügigkeit, oder als Christenmensch ein bisschen Barmherzigkeit. Die Härtefallregelung allerdings hätte eine solche Verteidigung im Bundestag wohl am wenigsten nötig gehabt. Und bisher haben nur wenige Menschen von ihr profitiert. So konnten 2017 nur wenige subsidiär Schutzberechtigte kranke, behinderte oder besonders junge Angehörige nachholen. Umstritten war vielmehr die Begrenzung auf ein monatliches Kontingent von 1000 Menschen.

Nach de Maizière sprach die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl. Ein Gesetz wie das der noch regierenden großen Koalition sei "ein Gradmesser dafür, wie ernst wir es meinen mit der Menschenwürde und dem Schutz der Familie". Högl erinnerte an die UN-Kinderrechtskonvention und an die Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus am Vortag und zitierte aus der Rede der Holocaust-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch: "Für uns haben sich die Grenzen damals hermetisch geschlossen, und nicht, wie hier, geöffnet." Aber, so betonte Högl, zur Wahrheit gehöre auch, dass nicht alle Menschen, die verfolgt sind oder keine Perspektive haben, in Deutschland Schutz und Sicherheit bekommen könnten.

Damit nahm sie das Argument vorweg, mit dem später die fraktionslose frühere AfD-Vorsitzende Frauke Petry ihre Ablehnung jeden weiteren Familiennachzugs begründete. Der Kompromiss zwischen den Unionsparteien und der SPD steht Högl zufolge aber für den Versuch, Familien legal und geordnet zusammenzuführen. Der Begrenzung zuzustimmen, sei ihrer Partei sehr schwer gefallen, aber es sei ein "akzeptabler Kompromiss" und dass es ab dem 1. August wieder zum Familiennachzug kommen könne, sei eine "gute Botschaft".

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Harsche Kritik kam von der Linken, die einen eigenen Gesetzentwurf vorlegte, der den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte wieder völlig öffnen sollte. "Was wir erlebt haben, war ein Trauerspiel zulasten der Menschlichkeit", warf Dietmar Bartsch, einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei, seinen Vorrednern vor. Statt, wie de Maizière es getan hatte, dem Bundestag zu erklären, was das Wort "Kompromiss" laut Wikipedia bedeutet, hätte der Innenminister lieber unter "fauler Kompromiss" nachlesen sollen. Schließlich würden die in dem Gesetz vorgesehenen 1000 Fälle lediglich den Ermessensspielraum darstellen. Das würden schon die Worte "bis zu" und "können" zeigen, die diese Zahl flankierten.

Angesichts von bis zu 60 000 betroffenen Flüchtlingen wäre der Umgang mit den betroffenen Familien nur ein "Lottospiel". Bartsch wies die Unionsparteien auf das C in ihrem Namen hin und erinnerte daran, dass selbst hohe Kirchenvertreter wie Prälat Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe - Katholisches Büro in Berlin, und Bischof Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der EKD, auf die Bedeutung der Familie für die Flüchtlinge hingewiesen haben.

Ungehalten reagierte Bartsch auf eine Zwischenfrage aus den Reihen der AfD. "Für meine Fraktion, die Linke, ist eines ganz klar: Wir wollen für Bedingungen sorgen, dass jedes Kind dort, wo es geboren wird, aufwachsen kann." Deshalb müssten die Fluchtursachen bekämpft werden.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, appellierte emotional an die Abgeordneten, sich zu überlegen, was wäre, wenn es um ihre eigenen Kinder ginge. "Selbst Sie mit Ihren menschenverachtenden Parolen würden doch sagen, ich tue alles für dieses Kind", wandte sie sich an die AfD-Abgeordneten. In Richtung CSU rätselte sie, wie es sein könne, dass eine Partei, die sich christlich und sozial nenne, es zur Gretchenfrage für Deutschland machen könne, dass Kinder nicht hierher und Familien nicht zusammenkommen sollen. "Das ist nicht christlich, das ist nicht sozial. Das ist komplett absurd."

Während das Grundgesetz Ehe und Familie unter besonderen Schutz stelle, führe die große Koalition mit dem begrenzten Kontingent und den Härtefallregeln ein "Gnadenrecht" ein. "Wie klein will sich die SPD eigentlich noch machen", wandte sie sich schließlich an die Abgeordneten der Sozialdemokraten - und löste damit bei der Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles erboste Reaktionen aus.

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Für die FDP erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae, wieso seine Partei den Familiennachzug weiter ausgesetzt sehen will. Den Liberaldemokraten zufolge sollten Härtefälle geprüft werden - und vor allem jene, die sich gut integriert und eine Arbeit haben, sollten ihre Familie nachholen können, wenn sie diese selbst versorgen könnten.

Ein bedrohliches Bild einer Masseneinwanderung malte Christian Wirth von der AfD an die Wand. Seine Partei lehnt den Familiennachzug völlig ab. Die Betroffenen sollten nicht in Deutschland, sondern in Schutzzonen zusammengeführt werden - sogar in Syrien, das Wirth zufolge größtenteils befriedet sei. Dafür zu sorgen, sei die Aufgabe der Vereinten Nationen, nicht die Deutschlands. Der Regierung warf Wirth vor, mit einer Politik der Rechtsbrüche Garanten einer neuen Völkerwanderung nach Deutschland zu sein. Von den Rednern, die auf Wirth folgten, hielt es keiner für notwendig, auf seine Ausführungen einzugehen. Heftige Reaktionen erhielt dagegen Wirths Parteikollege Jürgen Braun, der Katrin Göring-Eckardt als "Bundestagsküken" und "armselig" bezeichnete, weil sie während ihres Beitrags keine Zwischenfragen der AfD zugelassen hatte.

Heftig umstritten war zwischen den Abgeordneten der geschäftsführenden großen Koalition und der Opposition die Frage, ob Deutschland durch einen Familiennachzug überhaupt besonders belastet werde. So rechtfertigte Burkhard Lischka für die SPD, dass das neue Gesetz ein Kompromiss sei, über den bis zum Ende der Wahlperiode immerhin etwa 40 000 von 60 000 betroffenen Kindern und Ehefrauen von Flüchtlingen auf geregelte Weise nach Deutschland kommen würden. Das allerdings, so Annalena Baerbock von den Grünen, würde bedeuten, dass Tausende Kinder für weitere Jahre vom Vater getrennt bleiben, und jeden Tag in Kriegsgebieten von einer Bombe getötet werden könnten.

Was während der Debatte darüber hinaus klar wurde: Bisher waren monatlich jeweils 500 Flüchtlinge im Rahmen eines sogenannten Relocation-Verfahrens der EU aus Griechenland und Italien nach Deutschland gekommen. Das Programm endet jedoch, sodass durch einen Nachzug von 1000 Familienmitgliedern pro Monat nicht mehr Flüchtlinge kommen als bisher. Wie abzusehen war, konnte der Kompromiss, der schon den Unionsparteien und der SPD schwergefallen ist, weder die linke noch die rechte Opposition überzeugen.

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