Süddeutsche Zeitung

Bundestag:Wenn die Regierung kommt, beginnt das große Gähnen

Lesezeit: 2 min

Von Robert Roßmann, Berlin

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat in seiner letzten Rede vor dem Parlament am Dienstag nicht nur viel Grundsätzliches über die Demokratie gesagt, sondern auch konkrete Kritik an manchen Zuständen im Bundestag geübt. Lammert klagt schon lange über die geringe Wahrnehmung des Parlaments in der Öffentlichkeit. Schuld daran sind für ihn zwar auch die Medien. 2009 griff Lammert in seiner Rede zur Konstituierung des neuen Bundestags ARD und ZDF sogar direkt an, weil sie statt der Parlamentseröffnung die Komödie "Schaumküsse" und die 158. Folge der Serie "Alisa - Folge deinem Herzen" übertrugen. Doch der Bundestagspräsident weiß auch um die Schwächen des eigenen Betriebs. Die Sitzungen seien oft langweilig, es werde "zu viel geredet und zu wenig debattiert", sagte Lammert jetzt. Besonders schlimm findet er dabei die "Befragung der Bundesregierung". Deren Form sei sogar "unter den Mindestansprüchen, die ein selbstbewusstes Parlament für sich gelten lassen muss", klagte Lammert in seiner Abschiedsrede.

In der Praxis verdient die Befragung der Bundesregierung ihren Titel nicht

Im Bundestag steht in jeder Sitzungswoche eine "Befragung der Bundesregierung" auf der Tagesordnung. In der Praxis hat die Veranstaltung diesen Titel jedoch nicht verdient. Bis zu einem Wutausbruch Lammerts im September 2014 schickte die Regierung manchmal keinen einzigen Minister in die Befragung. Stattdessen stellten sich lediglich Staatssekretäre den Abgeordneten. Lammert kündigte damals an, er werde künftig jede Befragung, zu der kein Minister erscheine, sofort abbrechen. Ein beispielloser Vorgang. Seitdem schickt die Regierung zwar immer mindestens einen ihrer 15 Minister. Am Charakter der Veranstaltung hat dies aber kaum etwas geändert. Das liegt auch daran, dass die Regierung das Hauptthema der Befragung selbst vorgeben darf - und daran, dass die Befragung mit einem Eingangsreferat eines Regierungsmitglieds zu eben diesem Thema beginnt. Dass die Bundeskanzlerin sich in der ganzen Legislaturperiode kein einziges Mal bemüßigt gefühlt hat, sich der Befragung zu stellen, hat die Attraktivität auch nicht erhöht.

In anderen Ländern ist die Befragung des Regierungschefs im Parlament der Höhepunkt der ganzen Sitzungswoche. Die sogenannten Prime Minister's Questions im britischen Unterhaus sind regelmäßig ein Glanzstück der politischen Auseinandersetzung - und unterhaltsam obendrein. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat ergeben, dass in Großbritannien 92 Prozent aller Medienberichte über das Parlament von den Prime Minister's Questions handeln. In Deutschland haben nur zwei Prozent der Berichte aus dem Bundestag die Regierungsbefragung zum Gegenstand.

Antrag der Grünen auf eine Reform der Befragung

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat deshalb schon vor drei Jahren verlangt, sich die Prime Minister's Questions zum Vorbild zu nehmen und eine Kanzlerin-Befragung einzuführen. Doch die Unionsfraktion lehnte das ab. Die "Befragung der Bundesregierung" gilt vielen deshalb weiterhin als Schandfleck im deutschen Parlamentarismus. Nicht ganz zu Unrecht, wie auch die bisher letzte Befragung der Regierung zeigt. Dabei machte das Kabinett den nicht gerade im Mittelpunkt des Interesses stehenden "Bericht der Bundesregierung zur internationalen Kooperation in Bildung, Wissenschaft und Forschung 2014 - 2016" zum Hauptthema. Als einziges Regierungsmitglied stellte sich Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) den Fragen der Abgeordneten. 48 Minuten dauerte die Veranstaltung, am Ende kämpfte man mit dem Schlaf.

Die Grünen bemühen sich schon lange um ein Ende dieser Praxis. Deren parlamentarische Geschäftsführerin, Britta Haßelmann, hält es für ein Unding, dass sich die Kanzlerin zwar den Fragen der Journalisten in der Bundespressekonferenz stellt, nicht aber den Fragen der gewählten Abgeordneten im Parlament.

Die Grünen-Fraktion hat deshalb einen Antrag zur Reform der Befragung in den Bundestag eingebracht. "Wir brauchen endlich eine Regierungsbefragung, die diesen Namen auch verdient - und die Themen muss künftig selbstverständlich das Parlament setzen", sagt Haßelmann. Der Antrag der Grünen kann allerdings vor der Wahl nicht mehr behandelt werden. Und so bleibt im Bundestag, zumindest vorerst, alles beim Alten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3655787
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.09.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.