Bundestag:Alles, was man zum Wahlrecht wissen muss

Wahlplakate in Frankfurt am Main

Noch ist nicht klar, wer gewinnt. Abzusehen ist aber schon, dass der neue Bundestag wegen Überhang- und Ausgleichsmandaten wieder viel größer wird, als er sein sollte.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Welche Parteien können von den Ausnahmen bei der Fünf-Prozent-Hürde profitieren? Warum wird der Bundestag so groß? Welche Rolle spielt die CSU dabei? Ein Überblick über das deutsche Wahlrecht.

Von Robert Roßmann, Berlin

Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert hat einmal beklagt, das geltende Wahlrecht sei derart kompliziert, dass nicht einmal eine Handvoll Abgeordneter "unfallfrei" die Mandatsberechnung erklären könne. Lammert dürfte dabei etwas übertrieben haben. Schließlich gibt es 709 Bundestagsabgeordnete, da werden sich schon fünf Experten finden. Richtig ist aber, dass das Wahlrecht eine Vielzahl an Abweichungen von einer reinen Verhältniswahl vorsieht. Und dass das die Berechnung der Mandate im Bundestag erheblich verkompliziert. Hier ein Überblick über die Ausnahmen und ihre Folgen:

Erst- und Zweitstimme

Seit der Bundestagswahl 1953 haben alle Bürgerinnen und Bürger zwei Stimmen. Mit der Erststimme kann man im eigenen Wahlkreis einen Abgeordneten direkt in den Bundestag wählen. Mit der Zweitstimme wählt man die Landesliste einer Partei. Die wichtigere Stimme ist die Zweitstimme, denn sie entscheidet über die Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Im Prinzip soll gelten: Eine Partei, die x Prozent der Zweitstimmen bekommt, erhält auch x Prozent der Mandate im Bundestag. Doch so einfach ist es in der Praxis nicht.

Fünf-Prozent-Hürde

Bei der Europawahl gibt es keine Sperrklausel. Deshalb bekamen die Piraten, Volt und die Familienpartei beim letzten Mal je einen Abgeordneten, obwohl sie nur 0,7 Prozent der Stimmen erzielt hatten. Bei der Bundestagswahl gibt es aber eine Fünf-Prozent-Hürde. 2013 kam die FDP auf 4,8 Prozent der Zweitstimmen, die AfD auf 4,7. Wegen der Hürde durften die beiden Parteien trotzdem keine Abgeordneten in den Bundestag entsenden. Aber auch bei dieser Hürde gibt es wieder Sonderregelungen.

Ausnahmen von der Hürde

Direkt gewählte Abgeordnete dürfen immer in den Bundestag einziehen, auch wenn ihre Partei bundesweit an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist. Das ist zuletzt 2002 zwei Abgeordneten der damaligen PDS und späteren Linkspartei gelungen - unter ihnen die heutige Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Von der Hürde außerdem ausgenommen sind "Parteien nationaler Minderheiten". Das hilft dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW). Die Partei der dänischen Minderheit und der nationalen Friesen tritt zum ersten Mal seit 1961 wieder bei einer Bundestagswahl an. Der SSW setzt darauf, genug Zweitstimmen zu erhalten, um einen Abgeordneten ins Parlament schicken zu können. Diese Ausnahmeregelung dürfte die Freien Wähler frustrieren. Denn die Freien Wähler werden es aller Voraussicht nach nicht in den Bundestag schaffen, obwohl sie in den Umfragen bei drei Prozent liegen - und damit um ein Vielfaches höher taxiert werden als der SSW.

Grundmandatsklausel

Außerdem gibt es die sogenannte Grundmandatsklausel. Sie besagt, dass Parteien, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, trotzdem entsprechend ihrem Zweitstimmenergebnis mit Sitzen bedacht werden, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnen. Bei der Bundestagswahl 1994 kam die PDS nur auf 4,4 Prozent der Zweitstimmen. Da in vier Wahlkreisen PDS-Politiker das Direktmandat gewinnen konnten, durfte die Partei trotzdem mit 30 Abgeordneten in den Bundestag einziehen - und nicht nur mit den vier direkt gewählten. Die Grundmandatsklausel kann am Sonntag erneut eine Rolle spielen. Die Linken rangieren derzeit in den Umfragen nur bei etwa sechs Prozent, sie könnten noch unter die Fünf-Prozent-Marke fallen. Wenn die Partei mindestens drei ihrer zuletzt fünf Direktmandate verteidigt, muss sie die Fünf-Prozent-Hürde wegen der Grundmandatsklausel trotzdem nicht fürchten.

Sonderfall CSU

Die CSU könnte am Sonntag zum ersten Mal in ihrer Geschichte weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten. Bei der Bundestagswahl 2017 kamen die Christsozialen in Bayern auf 38,8 Prozent, auf das Bundesgebiet bezogen waren das lediglich 6,2 Prozent. Aktuell liegt die CSU in Bayern in den Umfragen bei 28 bis 29 Prozent - auf den Bund gerechnet sind das weniger als fünf Prozent. Doch die CSU muss sich trotzdem keine Sorgen machen. Bei der Wahl 2017 lagen die Kandidaten der CSU in allen 46 bayerischen Wahlkreisen vorne. Diesmal könnte die Partei zwar in München und Nürnberg ein paar Wahlkreise verlieren, gut 40 direkt gewählte CSU-Abgeordnete dürften es trotzdem werden. Die CSU erfüllt damit die Bedingung der Grundmandatsklausel locker. Außerdem ziehen direkt gewählte Abgeordnete ja immer in den Bundestag ein.

Überhangmandate

Am Beispiel der CSU lässt sich auch das Problem mit den Überhangmandaten gut erläutern. Mit ihrem Zweitstimmenergebnis von bayernweit 38,8 Prozent hätte die Partei 2017 nur Anspruch auf 39 Bundestagsmandate gehabt. Da aber alle 46 direkt gewählten CSU-Abgeordneten in den Bundestag einziehen durften, kam es wegen der CSU zu sieben Überhangmandaten. Damit die anderen Parteien nicht benachteiligt werden, wurden sie mit Ausgleichsmandaten bedacht. Dadurch wurde der Bundestag größer.

Übergroßer Bundestag

Derzeit gibt es 709 Abgeordnete, dabei liegt die Normgröße des Parlaments bei 598 Sitzen. Der nächste Bundestag könnte sogar aus mehr als 800 Abgeordneten bestehen. Das liegt maßgeblich an der CSU. Überhangmandate, die eine Partei in einem Bundesland erringt, können mit Listenmandaten, die die Partei in anderen Bundesländern gewinnt, verrechnet werden. Bei der CSU ist das aber nicht möglich, da sie nur in Bayern antritt. Überhangmandate der CSU vergrößern den Bundestag deshalb besonders stark. Jedes Überhangmandat der CSU führt zu etwa 18 Ausgleichsmandaten für die anderen Parteien.

Ausnahme bei den Überhangmandaten

Die große Koalition hat bei ihrer Reform des Wahlrechts beschlossen, dass drei Überhangmandate nicht ausgeglichen werden müssen. Faktisch läuft diese Regelung auf einen Bonus von bis zu drei Sitzen für die Partei hinaus, die am stärksten durch Überhangmandate überrepräsentiert ist. Das wird bei der Wahl am Sonntag mit großer Wahrscheinlichkeit die CSU sein.

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