Bundestag:Und die jetzt?

Bundestag

Im Bundestag, mit Schutzhandschuhen am Smartphone: Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) am Mittwoch.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Krisenzeiten sind Regierungszeiten, die Opposition hingegen wird kaum noch wahrgenommen - wie die vier Fraktionen versuchen, mitzuhalten.

Von Markus Balser, Daniel Brössler, Constanze von Bullion, Boris Herrmann und Jens Schneider, Berlin

Sie sind nicht von der Bildfläche verschwunden. Aber die Oppositionsfraktionen im Bundestag haben Mühe, sich noch Gehör zu verschaffen in einer Zeit, in der die Exekutive das Geschehen bestimmt und der Bundestag auf Notbetrieb heruntergefahren ist. Jede nimmt die neue Rolle auf ihre Art wahr.

AfD

Die mit 89 Sitzen größte Oppositionspartei erlebt eine schwierige Phase. In der Corona-Krise ist es für die AfD schwer, mit ihren Methoden - provozieren, spalten, Ängste schüren - Gehör zu finden. Das Thema Flüchtlinge lässt sich derzeit nicht instrumentalisieren, auch wenn sie davon nicht lassen und etwa Partei- Chef Jörg Meuthen vor Einreisen von Asylbewerbern warnt.

Die Regierung dominiert die Nachrichten, mit ihrem "Fünf-Punkte-Programm" gegen die Krise findet die AfD in der Debatte um Rettungskonzepte nicht statt. Am Mittwoch stimmte ihre Fraktion im Bundestag für die Rettungsbeschlüsse der Regierung oder enthielt sich. Doch aus ihren Reihen ist zu hören, dass einige ein schärferes Profil wollen. Ihre Spitzen suchen nach einer eigenen Linie: Es mache keinen Sinn, die Zahl der Corona-Infizierten auf Kosten möglicher Suizide zu senken, sagte Fraktionschef Alexander Gauland im Bundestag zu den Ausgangsbeschränkungen; Einreisekontrollen seien zu spät gekommen. Die Regierung habe keine Exit-Strategie für die Zeit nach dem Shutdown. Es brauche nun einen starken Nationalstaat.

Vor allem aber hat man gerade mit sich zu tun. Der Verfassungsschutz stufte den "Flügel" um Björn Höcke als rechtsextrem ein, die Umfragewerte sinken, sie sind nicht mehr alle zweistellig. Allerdings geht in der AfD auch Hoffnung auf eine noch stärkere Rückkehr um. Ihre Stunde werde schlagen, wenn die Unzufriedenheit wegen der Wirtschaftskrise wachse und es mehr Arbeitslose gebe, heißt es aus der Bundestagsfraktion.

FDP

Neulich hat auch Thomas Kemmerich wieder von sich hören lassen. Es sei nun Sache des "Gesetzgebers, Entschädigungen für von Betriebsschließungen infolge der Corona-Krise betroffene Unternehmen und Betriebe einzuführen", forderte der Fraktionsvorsitzende der FDP im Thüringer Landtag. Die Wortmeldung zeigt, wie viel sich auch für die Liberalen verändert hat. Wenn vor ein paar Wochen in der Partei von "Krise" die Rede war, dann war Kemmerich gemeint. Seine Wahl zum Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD hatte die Partei an den Rand des Abgrunds geführt; wovon nun keine Rede mehr ist.

In der Corona-Krise trägt die FDP ähnlich wie Grüne und Linke die Einschnitte im täglichen Leben ebenso mit wie die Milliardenprogramme zum Schutz von Wirtschaft und Arbeitnehmern. Man sei über "informelle Formate, Telefonkonferenzen und Gespräche" eingebunden, lobt Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann. Er betont, dass man durchaus eigene Akzente habe setzen können - etwa durch das Pochen auf Parlamentsrechte beim Infektionsschutzgesetz.

Es schlage nun "die Stunde des Staates", sagte FDP-Chef Christian Lindner im Bundestag, warnte aber auch davor, dass "irgendwann der ökonomische Schaden irreparabel sein könnte". Die FDP will jetzt zeigen, dass sie in der Krise ihrer "staatspolitischen Verantwortung" gerecht wird, wie es der FDP-Bundestagsabgeordnete Johannes Vogel formuliert. Sie müsse, sagt er, aber auch "im Blick haben, dass wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit gewahrt" bleibe. Aufgabe der FDP sei es, "auf die Bürgerrechte achten, auch in Krisenzeiten".

Die Linke

Vieles von dem, was im Bundestag gerade im Eilverfahren beschlossen wurde, klingt nach einem Auszug aus dem kühnsten Wunschzettel der Linkspartei: Abkehr von der schwarzen Null, Milliardenhilfen für Krankenhäuser, Kündigungsverbot aufgrund von Mietschulden, Rettungspaket für Solo-Selbstständige, die Aussetzung der Vermögensprüfung bei Hartz-IV-Empfängern, mögliche Beteiligungen des Bundes an Firmen in existenzieller Schieflage.

So viel starker Staat war selten. Bei den Linken versuchen sie, sich jetzt keine unangemessene Genugtuung oder gar Besserwisserei anmerken zu lassen. Aber Fraktionschef Dietmar Bartsch sagt schon: "Ich nehme erstaunt zur Kenntnis, dass politisch plötzlich Dinge möglich sind, die wir lange fordern und für die wir vor wenigen Wochen noch als die unseriösen Linken, die nur Geld ausgeben wollen, abgetan worden wären."

Bartsch stellt aber auch fest, dass sich die Umsetzung linker Positionen bislang nicht in den Umfragewerten seiner Partei widerspiegelt. Im Gegenteil. Erstmals seit geraumer Zeit liegt die Linke wieder deutlich unter der Zehn-Prozent-Marke. Das sei aber keine Überraschung, heißt es in der Fraktion. Das Land befinde sich "in einer kurzen administrativen Welle", von der selbstverständlich die Kanzlerin profitiere. Mit der Bundestagswahl 2021 habe das aber nichts zu tun, da werde Merkel ja nicht mehr antreten.

Spätestens wenn die Personaldebatte um den CDU-Vorsitz wieder losgeht, so das Kalkül im linken Lager, dürften sich auch die Umfragewerte der Union "wieder normalisieren". Bartsch sagt: "Die Aufgaben der Opposition werden nicht kleiner sein nach diesem außerordentlichen Kraftakt."

Die Grünen

Bis vor Kurzem konnten sie sich vor Aufmerksamkeit kaum retten; nun sind die Grünen über Nacht - gefühlt - im Abseits gelandet. Stärkste Kraft zu werden in Deutschland, womöglich ins Kanzleramt zu gelangen, solche Hoffnungen wirken mit einem Mal weit weg und seltsam irrelevant. Auch die Lieblingsthemen der Partei, etwa die Erderhitzung, sind vorerst vom Tisch. Ähnlich sieht es mit den Milliarden aus, die die Grünen im Haushalt lockermachen wollten für den ökologischen Umbau. Das Geld ist zwar vorhanden und plötzlich auch verfügbar - nur eben für Dinge, die jetzt wichtiger sind: die Rettung von Leben und Existenzen. Dass die Mittel in absehbarer Zeit in die Klimawende investiert werden können, darf bezweifelt werden.

Irrelevant sei die grüne Agenda deshalb nicht, heißt es in der Partei. Die Grünen, ohnehin längst staatstragende Partei, sehen ihre Rolle vorerst an der Seite der Regierung. Es sei nicht die Zeit der Konkurrenz, sondern der Kooperation, sagte die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt im Bundestag. Und wo das Thema Klimaschutz vorerst entfällt, wird jetzt eben stärker das Soziale betont. Die Grünen, die sonst gern als privilegierter Haufen gelten, wollen die Zusammenhaltepartei werden in schwerer Zeit.

Man habe sich erfolgreich dafür eingesetzt, neben Kulturschaffenden und Solo-Selbständigen auch die Sozialverbände unter den Rettungsschirm der Bundesregierung zu nehmen, heißt es. Auf der Agenda in der Coronakrise stünden auch noch Hilfe für Hartz-IV-Familien, die Grundrente sowie Prämien für Mitarbeiter in Gesundheitswesen und Einzelhandel. Um das Thema Flüchtlingshilfe hingegen ist es eher noch stiller geworden als bisher schon. Hier verspricht die Partei sich offenbar wenig Zuspruch.

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