Als in der vergangenen Woche die Mitglieder des Untersuchungsausschusses zum dramatischen Ende des Afghanistan-Einsatzes zur ersten Sitzung zusammenkamen, hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) das erste Wort. Sie erinnerte alle im Ausschuss daran, dass sie eine sehr "verantwortungsvolle Aufgabe" vor sich hätten. Geheiminformationen, sagte Bas, dürften diese Runde keineswegs verlassen.
Die Bundestagspräsidentin hatte ihre Gründe, dies noch einmal ausdrücklich zu betonen. Denn in jüngster Zeit waren aus internen Ausschusssitzungen des Bundestags offenbar immer wieder Informationen an die Öffentlichkeit gelangt, die als vertrauliche Verschlusssachen eingestuft waren. Nach SZ-Informationen geht es um mindestens sieben Verdachtsfälle des "Geheimnisverrats".
Im Fokus steht vor allem der Verteidigungsausschuss. Dessen Vorsitzende, die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hat insgesamt vier Verdachtsfälle an Bundestagspräsidentin Bas gemeldet. Das bestätigte ein Sprecher der Bundestagsverwaltung auf SZ-Anfrage. Über die Ermittlungen, die das ausgelöst hat, berichtete am Freitag zuerst das Nachrichtenportal The Pioneer.
Laut der Bundestagsverwaltung hat Bas wegen des "Verdachts des Geheimnisverrats gem. § 35 b Abs. 4 StGB die erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt" und die Generalstaatsanwaltschaft Berlin um Prüfung der zugrundeliegenden Sachverhalte gebeten.
Heikle Ermittlungen: Es geht auch um Immunität und Pressefreiheit
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin bestätigte auf SZ-Anfrage die Existenz von Verfahren, in denen die Bundestagsverwaltung an die Staatsanwaltschaft herangetreten sei. Eine Sprecherin wollte sich aber weder zur genauen Zahl der Verfahren noch zu etwaigen Inhalten äußern.
Nach SZ-Informationen geht es etwa um einen Bericht im "Heute-Journal" des ZDF vom 19. Juni, in dem ein Protokoll des Verteidigungsausschusses zu sehen war und wörtlich daraus zitiert wurde. In einem anderen Fall, den Strack- Zimmermann anführt, seien in einem Spiegel-Bericht offenbar Informationen aus "diversen Geheimbriefings des Bundesnachrichtendienstes" zu lesen gewesen. In dem Artikel wurden genaue Stückzahlen von Waffen aufgelistet, die an die Ukraine geliefert worden seien. Zu dem damaligen Zeitpunkt galten diese Informationen ebenfalls noch als geheim, später hat die Bundesregierung ihre Informationspraxis in dieser Frage geändert und diese Angaben öffentlich zur Verfügung gestellt.
In einem weiteren Medienbericht ging es um die abgehörte Kommunikation russischer Soldaten, die sich über Gräueltaten austauschen. Die Quelle für diese Informationen vermutet die Ausschussvorsitzende ebenfalls in einer vertraulichen Sitzung. In ihren Meldungen an die Bundestagspräsidentin führte sie jedes Mal den Teilnehmerkreis auf. Demnach müssen es nicht zwingend Abgeordnete sein, die mutmaßlich Geheiminformationen durchgestochen haben. Auch Regierungsvertreter und Mitarbeiter der Abgeordneten erhalten mitunter die Protokolle der Sitzungen.
Die durch Medienberichte ausgelösten Ermittlungsverfahren sind naturgemäß heikel und umstritten, denn sie berühren sensible Bereiche wie die Pressefreiheit, den Informantenschutz und die Immunität der Abgeordneten. Strack-Zimmermann sagte der SZ, sie sei als Ausschussvorsitzende verpflichtet, Fällen von mutmaßlichem Geheimnisverrat nachzugehen, wenn sie davon erfahre. Auch der FDP-Obmann im Verteidigungsausschuss, Alexander Müller, findet es "vollkommen korrekt, dass die Weitergabe geheimer Informationen geahndet werden muss".
Von einer "erstaunlichen Häufung" ist die Rede
Auch der SPD-Politiker Wolfgang Hellmich, der vor Strack-Zimmermann den Verteidigungsausschuss geleitet hatte, verteidigte das Vorgehen. Hellmich sagte, er habe in solchen Fällen genauso gehandelt. Er könne sich aber lediglich an zwei Verdachtsfälle erinnern, in denen er um eine Untersuchung gebeten habe - in sechs Jahren.
Nun ist aber von einer "erstaunlichen Häufung" die Rede. Seit Beginn der 20. Wahlperiode habe die Präsidentin des Deutschen Bundestages in weiteren drei Verdachtsfällen ihre Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt, teilte die Bundestagsverwaltung auf SZ-Anfrage mit: "Neben dem bereits erwähnten Verteidigungsausschuss (vier Fälle) handelte es sich um zwei Verdachtsfälle aus dem Wirecard-Untersuchungsausschuss (19. WP) und um einen Fall aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium."
Wenn nicht alles täuscht, dann werden der Bundestag und die Generalstaatsanwaltschaft noch eine Weile miteinander das Vergnügen haben.