Wahlkampf:Wohl dem, der Mitarbeiter hat

München:

Mehr als eine Viertelmillion Euro darf jeder Parlamentarier im Jahr für eigene Mitarbeiter ausgeben.

(Foto: Stefanie Preuin/Süddeutsche Zeitung)

Es gibt Abgeordnete, die ihre Bundestagsmitarbeiter auch für Parteiangelegenheiten einsetzen. Das Verfassungsgericht hat das kritisiert. Nun gibt es neue Regeln - doch zwei wichtige Fragen bleiben offen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Wahlkämpfe sind eine aufwendige Angelegenheit. Egal, ob es um Infostände, Hausbesuche, Telefonaktionen, ums Plakatieren oder um die Organisation von Veranstaltungen geht - für all das brauchen Politiker Unterstützung. Wohl denen, die dabei nicht nur auf Ehrenamtliche, sondern auch auf eigenes Personal zurückgreifen können. Sie sind im Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Und genau deshalb geht es in dieser Geschichte nicht nur um viel Geld, sondern auch um die Chancengleichheit in der Demokratie.

Die Bundestagsabgeordneten haben Anspruch auf eigene Mitarbeiter. Mehr als eine Viertelmillion Euro darf jeder Parlamentarier im Jahr dafür verwenden. Das addiert sich zu einer gewaltigen Summe. In diesem Jahr stehen für die Mitarbeiter 253,7 Millionen Euro im Haushalt. Laut Auskunft der Bundestagsverwaltung beschäftigen die Abgeordneten 5336 Mitarbeiter, etwas mehr als die Hälfte von ihnen arbeitet in den Bundestagsbüros, der Rest in den Wahlkreisen.

Die Abgeordneten dürfen die Mitarbeiter zwar nur zur Unterstützung bei der Erledigung ihrer parlamentarischen Arbeit einsetzen, so steht es im Gesetz. Vor allem in Wahlkampfzeiten hält sich aber nicht jeder an diese Vorschrift. Wie selbstverständlich manche die Grenze verwischen, hat schon 2013 eine Reportage des ARD-Magazins "Report Mainz" gezeigt. Der SPD-Abgeordnete Martin Burkert gestand darin völlig unbedarft ein: "Während des Wahlkampfes zieht man seine Mitarbeiter, die ja sonst im Betreuungswahlkreis, im Wahlkreisbüro und in Berlin sind, schon zusammen. Die helfen alle mit." Und Steffen Bockhahn, damals für die Linken im Bundestag, sagte: "Wer seinen Wahlkampf ohne seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgreich machen kann, der hat entweder verdammt viele finanzielle Ressourcen, um sich einen parallelen Stab anzuschaffen, oder er hat den Wert seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verstanden." Es hat dann aber noch bis September 2017 gedauert, bis das Bundesverfassungsgericht die Zustände moniert hat. Die Karlsruher Richter forderten den Bundestag damals auf, "zur Wahrung der Chancengleichheit der Parteien" durch "ergänzende Regelungen" dafür zu sorgen, dass "der Verwendung von Abgeordnetenmitarbeitern im Wahlkampf verstärkt entgegengewirkt wird". In seiner Entscheidung ging das Bundesverfassungsgericht auch auf die "Report Mainz"-Reportage ein.

Der Beschluss des Zweiten Senats war eine Klatsche für den Bundestag. Aber wer dachte, das Parlament würde den Missstand jetzt umgehend beheben, wurde enttäuscht. Erst ein Jahr später lud die zuständige Kommission des Ältestenrats zu einem ersten - und nicht einmal öffentlichen - Expertengespräch. Es sei aber klar, dass alle Beteiligten "konstruktiv daran arbeiten, um zeitnah zu einem Ergebnis zu kommen", sagte anschließend ein Sprecher der SPD-Fraktion. Doch "zeitnah" ist auch dann nichts passiert.

Die zuständige Kommission traf sich zwar mehrmals. Aber es dauerte noch einmal ein Jahr, bis sich alle Beteiligten auf ein erstes Ergebnis verständigen konnten. Der Süddeutschen Zeitung liegt jetzt ein Brief von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble an alle Abgeordneten vor, in dem er ihnen die Ergebnisse mitteilt.

Der Ältestenrat habe sich darauf verständigt, die Ausführungsbestimmungen zum Abgeordnetengesetz zu ergänzen, schreibt Schäuble. Dort heiße es jetzt: "Ausgeschlossen ist die Erstattung für Tätigkeiten der Mitarbeiter, die nicht der Unterstützung bei der Erledigung der parlamentarischen Arbeit dienen." Außerdem habe der Ältestenrat den Entwurf einer "Negativliste" gebilligt. Auch diese "nicht abschließende Liste von Beispielen für Tätigkeiten, die regelmäßig keinen hinreichenden Mandatsbezug aufweisen", wird jetzt Bestandteil der Ausführungsbestimmungen. Zu diesen unzulässigen Tätigkeiten gehören nach Ansicht des Ältestenrates unter anderem die Betreuung von Wahlkampfständen oder das Aufhängen von Wahlplakaten, aber auch Tätigkeiten aus der Parteiarbeit - wie die Übernahme von Funktionen einer Parteigeschäftsstelle.

Um Strafen zu ermöglichen, müsste jetzt auch noch das Gesetz geändert werden

Schäuble gesteht in seinem Brief jedoch ein, dass etwas Entscheidendes noch fehlt. Der Bundestagspräsident schreibt, der Ältestenrat habe den Fraktionen die "Einführung eines Sanktionssystems für den unrechtmäßigen Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern" samt "einer anlassbezogenen Kontrolle durch die Verwaltung des Deutschen Bundestages" empfohlen. Dazu sollte das Abgeordnetengesetz geändert werden, aber hierzu liege "noch kein Ergebnis vor". Ohne Strafen und Kontrollen dürfte sich jedoch in der Praxis nicht viel ändern.

Wie rechtfertigen die Fraktionen das? "Das Ziel der FDP-Fraktion ist es, so schnell wie möglich eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, dass Abgeordnete, die ihre Mitarbeiter missbräuchlich einsetzen, den Schaden für den Steuerzahler zu 100 Prozent aus ihrer privaten Tasche erstatten müssen", beteuert Marco Buschmann, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion.

Für die Grünen lobt deren parlamentarische Geschäftsführerin Britta Haßelmann zwar die neuen Ausführungsbestimmungen: Diese dienten "der Klarstellung", sie seien "wichtig und nötig für eine nachvollziehbarere Kontrolle". Jetzt seien aber alle "in der Pflicht, zeitnah auch die Einführung eines Sanktionssystems und einer Kontrolle rechtlich zu verankern".

Die SPD-Fraktion zeigt sich dagegen schon jetzt ziemlich zufrieden. Der Ältestenrat habe "eine Klarstellung zu den zulässigen Tätigkeiten für Mitarbeiter von Abgeordneten beschlossen", sagt ein Fraktionssprecher. Die "Mittel für die Beschäftigung von Mitarbeitern" seien "auf diesen Zweck begrenzt und werden direkt von der Bundestagsverwaltung abgerechnet" - "die Transparenz der Mittel" sei "insofern gegeben".

Und die Union? Deren parlamentarischer Geschäftsführer Patrick Schnieder sagt, er "rechne damit, dass wir uns noch vor Weihnachten auf die jetzt noch fehlende gesetzliche Grundlage für ein neues Ordnungsgeld in diesem Bereich verständigen werden".

Viel Zeit haben die Fraktionen dafür allerdings nicht mehr. Am Freitag geht der Bundestag in die Weihnachtspause.

Wie Karlsruhe die Kontrolle einforderte

Die Genese des Arbeitsauftrags des Verfassungsgerichts an den Bundestag ist kompliziert - auch daran dürfte es liegen, dass der Fall weniger Aufsehen erregt hat als vergleichbare Entscheidungen der Karlsruher Richter. Ausgangspunkt des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts war ein Einspruch des Verfassungsrechtlers Hans Herbert von Arnim gegen das Ergebnis der Bundestagswahl 2013. Von Arnim beanstandete unter anderem die "verschleierte Staats- und Wahlkampffinanzierung der Bundestagsparteien durch ihre Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und parteinahen Stiftungen". Durch diese angeblichen Verfassungsverstöße sei das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 erheblich beeinflusst und er in seinem "Grundrecht auf gleiche Wahl" verletzt worden, fand von Arnim. Der Bundestag lehnte diesen Einspruch im Juli 2014 ab, daraufhin wandte sich von Arnim mit einer Wahlprüfungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht. Im September 2017 wiesen die Karlsruher Richter die Beschwerde zurück. Einen Teil verwarfen sie als "unzulässig", den anderen als "offensichtlich unbegründet".

Doch weit hinten in dem Beschluss des Verfassungsgerichts, in den Randnummern 112 bis 114, versteckte sich doch noch ein Erfolg für von Arnim. Der Zweite Senat kam darin zu der Auffassung, dass es bei der Beschäftigung der Abgeordnetenmitarbeiter ein nicht hinnehmbares Kontrolldefizit gebe. Es sei "nicht von der Hand zu weisen, dass der Einsatz von Abgeordnetenmitarbeitern sich öffentlich weitgehend nicht nachvollziehen lässt", heißt es in dem Beschluss. Der "gebotenen Sicherstellung eines hinreichenden Mandatsbezugs bei der Tätigkeit der Abgeordnetenmitarbeiter" genüge "der gegenwärtige Regelungsbestand nicht". Das Gericht forderte den Bundestag deshalb auf, "zur Wahrung der Chancengleichheit der Parteien durch ergänzende Regelungen des Abgeordnetengesetzes oder anderer untergesetzlicher Vorschriften dafür Sorge zu tragen", dass "der Verwendung von Abgeordnetenmitarbeitern im Wahlkampf verstärkt entgegengewirkt wird" und die Einhaltung der Grenzen "nachvollziehbarer Kontrolle unterliegt". Der Beschluss stammt vom 19. September 2017. Es hat also mehr als zwei Jahre gedauert, bis der Bundestag jetzt erste Konsequenzen daraus gezogen hat. Robert Roßmann

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