Bundestag:Keine Zeit für Freundlichkeiten

Bundestag: Hier steht eine Bundeskanzlerin, die kämpft – um den Erhalt der Regierung, um ihr Amt, um ihre Vorstellungen von Europa.

Hier steht eine Bundeskanzlerin, die kämpft – um den Erhalt der Regierung, um ihr Amt, um ihre Vorstellungen von Europa.

(Foto: Markus Schreiber/AP)

Kanzlerin Merkel will in ihrer Regierungserklärung den Eindruck widerlegen, es sei in der Flüchtlingskrise nichts erreicht worden. Die CSU-Abgeordneten lässt das kalt.

Von Stefan Braun, Berlin

Heute also trägt die Kanzlerin giftgrün. Das passt zur Lage. Als Angela Merkel zu ihrer vielleicht letzten Regierungserklärung vor der ganz großen Krise auftritt, beginnt sie nicht mit Freundlichkeiten. Sie spricht über eine geänderte Sicherheitslage, über Truppenaufstellungen und neue Kommandostrukturen, es geht um die eigene Verteidigungsbereitschaft und um den festen Willen, sich veränderten Situationen entschlossen anzupassen.

Passende Vokabeln sind das, ganz besonders für die Lage der Kanzlerin in diesen Tagen. Und man ist kurz geneigt, all diese Begriffe auf den aktuell überragenden Konflikt mit der CSU anzuwenden. In einer Situation, in der alle vom Streit und manche schon vom Krieg reden, in der engste Bündnisse in Gefahr sind und die andere Seite mit Ultimaten agiert.

Und doch: In den ersten fünf Minuten spricht Angela Merkel nicht über Flüchtlinge, nicht über Horst Seehofer und den Streit der Unionsparteien. Sie redet über die Nato und die komplizierte Weltlage. Und weil sie dabei anfänglich leise, fast müde und furchtbar nüchtern klingt, wird man den Verdacht nicht los, dass auch die Kanzlerin noch etwas benommen ist von der deutschen WM-Niederlage in Russland. Nach ein paar Minuten allerdings zeigt sich, dass Merkel sich schlicht und einfach warmreden musste. Um zum Streitthema dieser Tage zu kommen: den Flüchtlingen, der Krise und ihrem Festhalten an einer europäischen Lösung. Und obwohl ihr FDP-Chef Christian Lindner später vorwerfen wird, sie argumentiere wieder einmal nur mit technischen Formulierungen, tut sie genau das nicht. Sie streitet für ihre Sicht auf die Ereignisse der letzten drei Jahre. Und versucht dabei, den Eindruck zu widerlegen, es sei nichts geschehen und nichts erreicht worden.

In fünf von sieben Bereichen habe sich die EU schon verständigt, dazu gebe es höchste Einigkeit bei der Frage, dass man die Außengrenzen entschlossener schützen und das Handeln der Schlepper bekämpfen müsse. Niemand, so die Kanzlerin, könne behaupten, es sei nichts erreicht worden. "Das stimmt so nicht", sagt Merkel. "Auf der Ägäis sind die Flüchtlingszahlen um 97 Prozent gesunken, auf der Mittelmeerroute um 77 Prozent zurückgegangen." Als Gründe nennt Merkel vor allem das Abkommen mit der Türkei - und die Leistungen der Türken, die mehr als drei Millionen Flüchtlinge beherbergen würden. Dieses Lob nutzt sie überdies, um zu betonen, dass ähnliche Abkommen auch mit anderen Ländern dringend nötig seien. "Hier herrscht absolute Einigkeit", sagt sie - und weiß genau, dass ihr das kaum jemand abnehmen wird, wenn es beim Brüsseler Gipfel in den nächsten 48 Stunden nicht deutlich zutage treten wird.

Wer Merkel reden hört und dabei sieht, dass die CSU-Abgeordneten für sie keine Hand zum Applaus heben, wird den Verdacht nicht los, dass diese Art der Verteidigung schlicht zu spät kommen könnte. Zumal sie zwar der These widerspricht, dass man in der EU nichts erreichen könne, aber einräumen muss, dass das nicht in den nächsten zwei Tagen gelingen dürfte. "Wir sind, das will ich wirklich ganz offen sagen, noch nicht da, wo wir sein sollten."

Das passt natürlich auch auf den Konflikt mit der CSU und dem Bundesinnenminister. Horst Seehofer, der am Abend lange im Fernsehen war, aber an diesem Morgen nicht auf der Regierungsbank sitzt, verpasst dabei, dass Merkel noch einmal vehement für seine Ankerzentren plädiert und ihm auch sonst jedes Recht zuspricht, auf dramatische Ereignisse wie die Ermordung der jungen Susanna F. mit neuen Vorschlägen zu reagieren. Ja, Merkel betont sogar, dass die so genannte Sekundärmigration, also das Wandern der Flüchtlinge zwischen den einzelnen EU-Staaten, dringend unterbunden werden müsse. Allein an einer Überzeugung hält sie fest: Man müsse das mit den Partnern beschließen, nicht alleine erzwingen. In welcher Atmosphäre dieser Tag im Bundestag vor dem EU-Gipfel stattfindet, zeigt sich noch stärker bei den nächsten Rednern.

Den Anfang macht AfD-Chef Alexander Gauland. Er hält den Multilateralismus nur noch für eine "schöne Sehnsucht" und Merkels Bemühungen für eine naive Anstrengung. Andrea Nahles, die SPD-Vorsitzende, hingegen will den nationalen Alleingängern vom Schlage Gauland "nicht kleine beigeben", sondern zum großen europäischen Wurf ausholen: "Werden Sie endlich ihrer nationalen und internationalen Verantwortung gerecht - bevor es zu spät ist."

Und obwohl die SPD-Vorsitzende und der FDP-Chef so wahnsinnig viel nicht gemeinsam haben - an der Stelle sprechen sie die gleiche Sprache. Lindner erinnert daran, wie krisenhaft die Welt derzeit und wie absurd der Berliner Streit angesichts dessen aussieht. "In dieser Lage wäre eine stabile Regierung ein Wert an sich", sagt der Liberale.

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