BundestagKanzler im zweiten Anlauf

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Friedrich Merz ist die Erleichterung anzusehen, als Olaf Scholz seinem Nachfolger am Nachmittag gratuliert.
Friedrich Merz ist die Erleichterung anzusehen, als Olaf Scholz seinem Nachfolger am Nachmittag gratuliert. (Foto: Odd andersen/AFP)

Friedrich Merz verfehlt im ersten Wahlgang die nötige Mehrheit im Bundestag. Weil es das in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat, startet der CDU-Vorsitzende geschwächt ins Amt.

Von Markus Balser

Nach einer historischen Niederlage hat CDU-Chef Friedrich Merz im zweiten Anlauf den Einzug ins Kanzleramt geschafft. Am Nachmittag wurde der 69-Jährige vom Bundestag zum zehnten deutschen Bundeskanzler gewählt. Für Merz stimmten 325 Abgeordnete und damit die nötige absolute Mehrheit von mindestens 316 Parlamentariern. Begonnen hatte der Tag, der zum größten seiner politischen Karriere werden sollte, jedoch mit einem Debakel. Am Morgen hatte Merz im ersten Wahlgang nur 310 Stimmen bekommen und war damit durchgefallen. Einige Abgeordnete der schwarz-roten Koalition hatten den CDU-Chef in der geheimen Wahl auflaufen lassen. CDU/CSU und SPD stellen gemeinsam 328 Parlamentarierinnen und Parlamentarier.

Noch bei keiner der Kanzlerwahlen in der deutschen Nachkriegsgeschichte hatte es eine Niederlage gegeben. Bislang waren alle Kandidatinnen und Kandidaten im ersten Wahlgang gewählt worden. Unbekannt war, ob Abgeordnete aus der Union oder der SPD für die fehlenden Stimmen verantwortlich waren. In der Union hatte Merz’ abrupter Kurswechsel durch die Aufweichung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und ein milliardenschweres Sondervermögen für Infrastruktur Kritik ausgelöst. In der SPD hatte es grundsätzliche Vorbehalte gegen Merz gegeben, aber auch bei der Postenvergabe leer ausgegangene Abgeordnete könnten Merz die Stimmen entzogen haben.

Stundenlang war unsicher, wie es weitergeht

Die siegessichere schwarz-rote Koalition war auf den Fehlstart offenbar nicht vorbereitet. Über Stunden prüften Fraktionen und Juristen des Bundestags nach der Niederlage zunächst, wann ein weiterer Wahlgang frühestens einberufen werden konnte. Grüne und Linke ermöglichten schließlich durch ihre Zustimmung zu verkürzten Fristen einen zweiten Wahlgang am selben Nachmittag. Denn für die schnelle zweite Abstimmung war die Abweichung von der Geschäftsordnung des Bundestags mit Zweidrittelmehrheit nötig. Vor dem zweiten Wahlgang nahmen Union und SPD die eigenen Reihen dann noch einmal in die Pflicht und erhöhten den Druck.  „Ganz Europa, vielleicht sogar die ganze Welt, schaut auf diesen zweiten Wahlgang“, mahnte Fraktionschef Jens Spahn öffentlich. SPD-Chef Lars Klingbeil habe in einer Sondersitzung der Fraktion „eine klare Ansage gemacht“, hieß es in den Reihen der Sozialdemokraten.

Mit der Mehrheit im zweiten Anlauf ging schließlich eine sechsmonatige politische Hängepartie in Deutschland zu Ende. Exakt ein halbes Jahr zuvor war die Ampelkoalition des bisherigen Kanzlers Olaf Scholz zwischen SPD, Grünen und FDP an heftigem Streit zerbrochen und hatte damit vorgezogene Neuwahlen nötig gemacht. Merz hatte sich zum Ziel gesetzt, rasch eine neue und diesmal funktionierende Koalition zu präsentieren. Den misslungenen Start halten einige nun für eine schwere Hypothek. „Das bedeutet als Ausblick auf die neue Regierungszeit nichts Gutes“, sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. CSU-Chef Markus Söder warnte angesichts der „höhnischen Kommentare der AfD“: Die Gefahr eines Scheiterns der neuen Regierung „kann ein Vorbote von Weimar sein“. Die Folgen seien „unabsehbar“.

Neben den Abgeordneten war auch die frühere Merz-Rivalin und Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur geplanten Kanzlerwahl erschienen. Im Streit mit Merkel hatte Merz der Politik einst den Rücken gekehrt. Das neue schwarz-rote Regierungsbündnis ist bereits die fünfte Koalition aus Union und Sozialdemokraten. Bisher waren das allerdings jeweils große Koalitionen, also Bündnisse der beiden stärksten Fraktionen. Da die SPD bei der Bundestagswahl Ende Februar hinter der AfD landete, ist der Stimmenvorsprung diesmal dünn und liegt bei nur zwölf Stimmen. Das könnte sich auch bei künftigen Abstimmungen als problematisch erweisen.

Ein paar Stunden später als geplant: Friedrich Merz mit der Ernennungsurkunde, die ihm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreicht hat.
Ein paar Stunden später als geplant: Friedrich Merz mit der Ernennungsurkunde, die ihm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreicht hat. (Foto: Friedrich Bungert)

Kurz nach seiner Wahl erhielt Merz die Ernennungsurkunde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Erst mit dieser Übergabe geht die Amtsgewalt auf die neue Regierung über. Nach dem Termin im Schloss Bellevue musste der Kanzler zurück in den Bundestag, um den Amtseid abzulegen. Danach überreichte Steinmeier den 17 Ministerinnen und Ministern der neuen Bundesregierung die Ernennungsurkunden, anschließend leisteten auch sie im Bundestag ihre Amtseide.

Merz hatte angekündigt, bereits am Mittwoch als Kanzler Antrittsbesuche bei den wichtigen Nachbarländern in Paris und Warschau zu absolvieren. Am Freitag will sich Merz in Brüssel mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Nato-Generalsekretär Mark Rutte treffen. Europäische Verbündete warten angesichts des Kurswechsels in der US-Außenpolitik unter Präsident Donald Trump und der Bedrohungen durch Russland darauf, dass Deutschland als wichtigstes EU-Land wieder eine handlungsfähige Regierung hat.

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