Süddeutsche Zeitung

Holocaust-Gedenken im Bundestag:Friedländer: Fremdenhass überall auf der Welt auf dem Vormarsch

  • Der Holocaust-Überlebende Saul Friedländer hat im Bundestag dazu aufgerufen, sich gegen Nationalismus und Hass auf Minderheiten zu wehren.
  • Deutschland habe sich aus der Erfahrung der Nazi-Zeit zum starken Bollwerk gegen diese Gefahren entwickelt.
  • Bundestagspräsident Schäuble nannte es beschämend, dass Juden heute wieder mit dem Gedanken spielten auszuwandern.

Mit einer Gedenkstunde hat der Bundestag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Anlass ist der 74. Jahrestag der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz. Als Gedenkredner war der in Prag geborene israelische Historiker und Holocaust-Überlebende Saul Friedländer geladen. Seine Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Er selbst überlebte in einem Versteck.

Der 1932 geborene Friedländer rief die Deutschen auf, sich gegen Hass auf Minderheiten und gegen Nationalismus zu wehren. "Antisemitismus ist nur eine der Geißeln, von denen jetzt eine Nation nach der anderen schleichend befallen wird", sagte Friedländer. "Der Fremdenhass, die Verlockung autoritärer Herrschaftspraktiken und insbesondere ein sich immer weiter verschärfender Nationalismus sind überall auf der Welt in besorgniserregender Weise auf dem Vormarsch", sagte er.

Deutschland habe sich aus der Erfahrung der Nazi-Zeit zum starken Bollwerk gegen diese Gefahren entwickelt, sagte Friedländer. Er hoffe, dass Deutschland die moralische Standfestigkeit besitze, für Toleranz und Inklusivität, Menschlichkeit und Freiheit - "kurzum für die wahre Demokratie" - zu kämpfen, sagte der Holocaust-Forscher.

Friedländer, der 1948 nach Israel auswanderte, beklagte zunehmenden Antisemitismus in Form einer Infragestellung des Existenzrechts Israels aufseiten der extremen Rechten und Linken. "Für Juden wie mich und für Juden überall, die einen eigenen Staat brauchten und ersehnten, war dessen Erschaffung lebensnotwendig", sagte er. Das Existenzrecht des Staates zu verteidigen, sei eine grundsätzliche moralische Verpflichtung.

In seiner Eingangsrede hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble alle Bürger dazu aufgerufen, sich gegen Antisemitismus und Rassismus einzusetzen. Es gebe in der Gesellschaft noch immer "gefährliche Stereotype und Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung, Antisemitismus", sagte Schäuble am Donnerstag bei einer Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus. Beides, der "alte" und der "neue zugewanderte" Antisemitismus seien inakzeptabel, "erst recht in Deutschland".

Schäuble nannte es beschämend, dass Juden heute wieder mit dem Gedanken spielten auszuwandern, "weil sie sich in unserem Land nicht sicher fühlen", weil sie angefeindet oder gar tätlich angegriffen würden, weil ihre Kinder in der Schule angepöbelt oder gemobbt würden. "Aber Scham allein reicht nicht." Der Bundestagspräsident fügte hinzu, neben der Härte der Gesetze brauche es vor allem im Alltag "unsere Gegenwehr gegen Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung aller Art".

Der Bundestag gedenkt traditionell zum Holocaust-Gedenktag der Millionen Opfer des Nazi-Regimes. Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee das Vernichtungslager Auschwitz. Allein dort wurden mehr als eine Million Menschen getötet.

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