Süddeutsche Zeitung

Einsatz von Abgeordnetenmitarbeitern:Heimlichkeiten unter der Bundestagskuppel

  • Das Bundesverfassungsgericht fordert vom Bundestag mehr Transparenz und Kontrolle beim Einsatz der Abgeordnetenmitarbeiter.
  • Jetzt haben die zuständige Kommission und Experten erstmals über mögliche Lösungen beraten - in nichtöffentlicher Sitzung.
  • Dabei ist das Thema für die Öffentlichkeit von Interesse - nicht nur wegen der enormen Summe, die für die Mitarbeiter ausgegeben wird.

Von Robert Roßmann, Berlin

Eigentlich gibt es kaum einen transparenteren Ort als den Bundestag. Das liegt nicht nur an der Glaskuppel über dem Reichstagsgebäude. Jedes Jahr besuchen mehr als eine Million Bürger das Parlament, die Plenarsitzungen sind öffentlich. Und dann sind da ja auch noch die 709 Abgeordneten, von denen kaum einer in der Lage wäre, ein Schweigegelübde abzulegen und einzuhalten. Aber manchmal gibt es auch im Bundestag eine erstaunliche Heimlichtuerei. Das musste man auch diese Woche wieder erleben.

Die Fraktionen haben ein Problem mit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, in dem der Einsatz der Abgeordnetenmitarbeiter gerügt wird. Die Karlsruher Richter sehen ein erhebliches Defizit bei der Kontrolle. Es kommt durchaus vor, dass Abgeordnete ihre Mitarbeiter auch Dinge erledigen lassen, die weniger mit dem Mandat und mehr mit der Partei zu tun haben - vor allem in Wahlkampfzeiten.

Das Verfassungsgericht hat dem Bundestag deshalb aufgetragen, für mehr Transparenz zu sorgen. Dabei geht es um eine enorme Summe, allein im Jahr 2017 durften die Abgeordneten 212,62 Millionen Euro für die Beschäftigung von Mitarbeitern ausgeben. Das ist mehr als alle Parteien zusammen aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhalten.

Doch von all dem würde, wenn es nach den Fraktionen ginge, niemand etwas mitbekommen. Am Mittwochnachmittag gab es das erste Gespräch darüber, wie man die Vorgaben Karlsruhes erfüllen könnte. Doch über das Treffen der "Rechtsstellungskommission" samt "internem Expertengespräch" wurde die Öffentlichkeit nicht informiert. Die Kommission tagte nicht öffentlich.

Die Bundestagsverwaltung wollte noch nicht einmal am Tag danach mitteilen, in welchem Raum und zu welcher Zeit die Kommission getagt hat. Und auch aus den Fraktionen war nichts zum Inhalt zu erfahren.

Es geht um eine enorme Summe - und es mangelt an Transparenz

Ein Sprecher der SPD-Fraktion versicherte auf Nachfrage zwar, alle Beteiligten hätten "Interesse an einer praktikablen Lösung" und würden "konstruktiv daran arbeiten, um zeitnah zu einem Ergebnis zu kommen". Man habe sich jedoch darauf verständigt, wegen des "internen Charakters dieses Treffens" keine Statements abzugeben. Ein Sprecher der Unionsfraktion äußerte sich ähnlich und verwies auf die vereinbarte Vertraulichkeit. Dabei ist das Thema für die Öffentlichkeit nicht nur wegen der enormen Summe von Interesse. Denn es gibt weder bei der Bewilligung der Mittel noch bei der Verwendung ausreichende Transparenz.

Die "Kommission für die Rechtsstellung der Abgeordneten", die so wenig Interesse an Offenheit hat, ist ein illustres Gremium. Formal ist sie ein ständiger Unterausschuss des Ältestenrats. Ihr gehören lediglich neun der 709 Bundestagsabgeordneten an. Vorsitzender ist der ehemalige SPD-Fraktionschef und heutige Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann.

Die Genese der Rüge des Verfassungsgerichts ist kompliziert - auch daran dürfte es liegen, dass der Fall bisher nicht für größeres Aufsehen gesorgt hat. Ausgangspunkt war ein Einspruch des Verfassungsrechtlers Hans Herbert von Arnim gegen das Ergebnis der Bundestagswahl 2013.

Von Arnim beanstandete unter anderem die "verschleierte Staats- und Wahlkampffinanzierung der Bundestagsparteien durch ihre Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und parteinahen Stiftungen". Durch diese angeblichen Verfassungsverstöße sei das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 erheblich beeinflusst und er in seinem "Grundrecht auf gleiche Wahl" verletzt worden.

Ein erstes Treffen - ein Jahr nach der Entscheidung der Richter

Der Bundestag lehnte diesen Einspruch im Juli 2014 ab, daraufhin wandte sich von Arnim mit einer Wahlprüfungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht. Im September 2017 wiesen die Karlsruher Richter die Beschwerde zurück. Einen Teil verwarfen sie als "unzulässig", den anderen als "offensichtlich unbegründet".

Doch weit hinten in dem Beschluss des Verfassungsgerichts, in den Randnummern 112 bis 114, versteckte sich doch noch ein Erfolg für von Arnim. Der Zweite Senat kam darin zu der Auffassung, dass es bei der Beschäftigung der Abgeordnetenmitarbeiter ein nicht hinnehmbares Kontrolldefizit gebe. Es sei "nicht von der Hand zu weisen, dass der Einsatz von Abgeordnetenmitarbeitern sich öffentlich weitgehend nicht nachvollziehen lässt", heißt es in dem Beschluss. Der "gebotenen Sicherstellung eines hinreichenden Mandatsbezugs bei der Tätigkeit der Abgeordnetenmitarbeiter" genüge "der gegenwärtige Regelungsbestand nicht".

Das Verfassungsgericht forderte den Bundestag in seinem Beschluss deshalb auf, "zur Wahrung der Chancengleichheit der Parteien durch ergänzende Regelungen (...) dafür Sorge zu tragen", dass "der Verwendung von Abgeordnetenmitarbeitern im Wahlkampf verstärkt entgegengewirkt wird". Dieser Beschluss stammt vom 19. September 2017. Es hat also fast auf den Tag genau ein Jahr gedauert, bis sich jetzt die zuständige Kommission zum ersten Mal zu einem Austausch über mögliche Lösungen getroffen hat.

Von Arnim, der den Beschluss erwirkt hat, beklagt nicht nur ein Kontrolldefizit bei der Verwendung der Mitarbeiter, sondern auch bei der Bewilligung der staatlichen Mittel für die Mitarbeiter. "Selbst gewaltige Erhöhungen erfolgen nicht durch Änderung des Abgeordnetengesetzes, sondern nur durch Erhöhung eines Haushaltstitels", sagte von Arnim der Süddeutschen Zeitung. Die Erhöhung werde "zudem meist erst in der sogenannten Bereinigungssitzung des nicht öffentlich tagenden Haushaltsausschusses vorgenommen, unmittelbar vor der endgültigen Entscheidung des Parlaments über den Gesamthaushalt im Plenum". Das bemerke dann kaum noch ein Außenstehender. Dadurch unterlaufe "der Bundestag auch bei der Bewilligung die öffentliche Kontrolle".

Eingeladen von der AfD

Von Arnim hat auf Einladung der AfD an dem internen Expertengespräch teilgenommen, zu dem die Rechtsstellungskommission am Mittwoch geladen hatte. Kritik daran weist er zurück: Als derjenige, der den Karlsruher Beschluss erwirkt habe, habe er an dem Expertengespräch teilnehmen wollen - und aus den anderen Fraktionen habe ihn keiner eingeladen. Aus einer dieser anderen Fraktionen hieß es am Donnerstag dagegen, es sei erschütternd, dass sich von Arnim offenbar aus Eitelkeit vor den Karren von Rechtsradikalen habe spannen lassen, die das Parlament diskreditieren wollten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4128983
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.09.2018/gal
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.