Die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers ist gestellt und verloren, der Wahlkampf längst in vollem Gange. Doch bevor die Berliner Politik in die Weihnachtsferien und dann Richtung Bundestagswahl geht, standen noch einige Entscheidungen an.
Eine besonders wichtige war die Reform zur Absicherung des Bundesverfassungsgerichts. Die Abgeordneten des Bundestags sprachen sich am Donnerstag mit deutlicher Mehrheit für eine Grundgesetzänderung aus, die das Gericht vor politischer Instrumentalisierung oder Blockade schützen soll. 600 Abgeordnete stimmten dafür, 69 dagegen.
Mahnende Negativbeispiele sind Polen und Ungarn
Denn da die AfD bei den Landtagswahlen im Osten und in Umfragen zuletzt zulegen konnte, ist die Sorge bei den anderen Parteien gewachsen. Sie befürchten, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtete AfD könnte irgendwann das Bundesverfassungsgericht unter Druck setzen.
In Polen und Ungarn habe sich gezeigt, wie Feinde der Demokratie eine Parlamentsmehrheit für die Einflussnahme auf das Verfassungsgericht missbrauchen könnten, hatte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese bei der ersten Beratung im Bundestag gesagt. Auch die stärksten Verfassungsgerichte seien verwundbar, mahnte kürzlich der amtierende Bundesjustizminister Volker Wissing. „Schnell werden sie zur Zielscheibe der Politik, wenn kritische Richter unliebsame Urteile sprechen.“ Es gehe darum zu verhindern, dass Verfassungsfeinde ein Einfallstor zur Abschaffung der Demokratie hätten, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nun im Bundestag.
Kern der Reform ist die Verankerung von Vorgaben zu Status, Struktur und Arbeitsweise des Gerichts im Grundgesetz. Auch die Zahl der Senate und ihre Besetzung mit jeweils acht Richterinnen und Richtern wird in der Verfassung festgeschrieben. Bisher war dies in einem normalen Gesetz geregelt, das mit einfacher Mehrheit geändert werden könnte; für eine Grundgesetzänderung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig.
Damit die Arbeitsfähigkeit des Gerichts in keinem Fall gefährdet ist, steht im Grundgesetz künftig außerdem, dass ein Richter seine Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines Nachfolgers weiterführt. Das Gleiche gilt für die Geschäftsordnungsautonomie, also den Grundsatz, dass das Bundesverfassungsgericht seine inneren Angelegenheiten selbst regeln darf. Richter können damit selbst entscheiden, in welcher Reihenfolge sie Akten bearbeiten. So soll verhindert werden, dass Politiker bestimmte Entscheidungen des Gerichts hinauszögern können.
Mehr Steuerentlastungen, mehr Kindergeld
Auch bei der Wahl der Richterinnen und Richter gibt es eine Änderung: Bislang wird die eine Hälfte von ihnen im Bundestag, die andere Hälfte im Bundesrat gewählt – jeweils mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Diese Regelung hat bislang garantiert, dass die Parteien meist Juristen vorgeschlagen haben, die als eher gemäßigt gelten. Um in Zukunft zu verhindern, dass eine Richterwahl mit einer Sperrminorität blockiert wird, gibt es nun einen Ersatzwahlmechanismus: Falls keine Zwei-Drittel-Mehrheit zustande kommt, kann das Wahlrecht vom Bundestag auf den Bundesrat übergehen und umgekehrt.
Unterdessen beschloss der Bundestag auch den Ausgleich der kalten Progression bei der Einkommensteuer und eine Erhöhung des Kindergeldes. Neben den ehemaligen Ampel-Partnern SPD, Grüne und FDP stimmten auch die Union und die AfD für die Entlastungen. Damit sie in Kraft treten können, muss allerdings am Freitag auch noch der Bundesrat zustimmen, dies gilt als aussichtsreich.
„Die Einigung sorgt für ein deutliches Plus für Familien und die arbeitende Mitte in Deutschland“, sagte der Haushaltspolitiker der Grünen, Sven-Christian Kindler, in der Debatte im Bundestag. Der frühere Finanzminister Christian Lindner (FDP), aus dessen Feder der Entwurf ursprünglich stammte, sagte, der Staat dürfe kein Inflationsgewinner sein – dafür werde hier gesorgt.

Süddeutsche Zeitung Dossier:Platz der Republik
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Unter anderem wird der Grundfreibetrag um 312 Euro auf dann 12 096 Euro angehoben, also der Teil des Einkommens, der nicht besteuert wird. Im Jahr 2026 soll er weiter auf 12 348 Euro steigen. Grundlage sind Berechnungen zum Effekt der Inflation und zum Existenzminimum in Deutschland.
Das Kindergeld soll ab Jahresbeginn um fünf Euro auf 255 Euro steigen. Für den Staat bedeutet das laut Haushaltsausschuss Mehrausgaben von rund 4,2 Millionen Euro. Der Kinderfreibetrag soll um 60 Euro auf 6 672 Euro angehoben werden. Der Kindersofortzuschlag für Familien mit geringem Einkommen soll um fünf Euro auf 25 Euro monatlich steigen. Nach Berechnung der Grünen wird eine Familie mit zwei Kindern und einem Einkommen von 60 000 Euro damit im kommenden Jahr um 306 Euro entlastet.