Es soll eine weibliche Doppelspitze werden, aber auch ein Gespann aus unterschiedlichen Generationen, Parteiflügeln und Temperamenten. Nach der parteilinken Wirtschaftspolitikerin Katharina Dröge, 37, hat am Freitag auch die Reala Britta Haßelmann, 59, ihre Bewerbung für den grünen Fraktionsvorsitz im Bundestag bekannt gegeben. Die langjährige erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, die auch jenseits der eigenen Reihen als Streiterin für demokratische Rechte respektiert wird, dürfte am Dienstag gewählt werden. "Ich habe große Lust, die Grünen nach 16 Jahren Opposition in dieser neuen Rolle zu vertreten", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. "Ich glaube, ich habe in den letzten Jahren gezeigt, dass ich die Anliegen meiner Fraktion klar und hartnäckig vertreten kann."
Britta Haßelmann ist eine, die eigentlich nicht dazu neigt, allzu viel Wind um die eigene Person zu machen. Für den parlamentarischen Betrieb aber und die nicht immer einfache Rolle der kleinsten Oppositionspartei der Grünen spielte sie in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle. Vielleicht ließe sie sich noch am ehesten mit der einer Maschinistin vergleichen, also der Person, die die Mechanik des Bundestags bis zur letzten Schraube kennt und zu bespielen weiß. "Wenn man das durchdrungen hat, weiß man das sinnvoll zu nutzen", sagt Haßelmann. Dass sie auch rhetorisch gern mal kräftig zulangt im Parlament, hat sie 2018 unter Beweis gestellt, als sie im Bundestag auf die AfD losging.
Dabei hatten kurz zuvor, bei den Jamaika-Sondierungen, wohlmeinende Parteifreunde noch verbreitet, Haßelmann habe so fürsorglich Kaffee gekocht. Das war nett gemeint, hat sie aber "auf die Palme gebracht". Trotzdem gehört Britta Haßelmann bei den Grünen eher zu den ausgleichenden Elementen - und zur Sorte Mensch, die keine persönliche Wunderlichkeit zu verschrecken scheint.
"Ich habe ein relativ entspanntes Verhältnis dazu, was angeblich normal ist"
Aus Haßelmanns Büro im Bundestag kann man weit über den Berliner Tiergarten schauen, aber gelegentlich beobachtet sie hier auch einfach nur die Currywurstbude gegenüber. Die heute 59-Jährige, gebürtig am Niederrhein, ist Tochter von Angestellten und die erste in ihrer Familie, die Abitur gemacht hat. Weil sie sich für Menschen interessierte, vor allem für die weniger Privilegierten, hat sie Sozialarbeit studiert und viele Jahre Menschen betreut, die wegen einer psychischen Einschränkung aus der Bahn geraten oder nie dort angekommen waren. Das hilft, auch im Bundestag, findet sie. "Ich habe ein relativ entspanntes Verhältnis dazu, was angeblich normal ist." Sie kenne das Leben "in all seiner Vielfalt".
Haßelmann kennt aber auch den eigenen Laden gut genug, um zu wissen, dass die Rolle der Fraktionsvorsitzenden nicht einfacher geworden ist. Denn anders als unter den langjährigen Amtsinhabern Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, die beide nicht mehr kandidieren, gilt es in den kommenden Legislatur nicht mehr einen kleinen Haufen grüner Abgeordneter zusammenzuhalten, die die Gegnerschaft zur Regierung verbindet. Die Fraktion ist jetzt größer, vielfältiger, auch jünger - viele kommen mit Idealismus und hohen Erwartungen in den Bundestag, etwa beim Klimaschutz. Und die Partei regiert jetzt mit. Ernüchterung, auch Enttäuschung ist da gewiss.
Wollen wir doch mal sehen, sagt Britta Haßelmann sinngemäß zu solchen Fragen. Auch die Tatsache, dass mit Annalena Baerbock, Robert Habeck, Cem Özdemir und Steffi Lemke plötzlich vier Grüne mit Ministerrang im Bundestag sitzen, dürfte für neue Reibungsflächen sorgen. Andere wiederum wie Anton Hofreiter sind bei der Postenverteilung leer ausgegangen, was auf dem linken Parteiflügel für Verärgerung sorgt. "Natürlich weiß ich: Personalentscheidungen können auch zu Verletzungen führen", sagt sie dazu. Es klingt , als könnte Britta Haßelmanns nächster Job auch der einer Trösterin werden, mal wieder.