Als es am Donnerstag endlich losgeht, hat der Bundestag schon mehr als zwölf Stunden getagt. Die Reihen sind ziemlich leer. Kein Wunder. Es ist bereits 21.06 Uhr, als Bundestagspräsidentin Julia Klöckner Tagesordnungspunkt 18 aufruft. „Änderung der Geschäftsordnung-Bundestag, Änderung des Abgeordnetengesetzes“ heißt der Punkt. Das klingt ziemlich abstrakt. Aber Klöckner macht gleich klar, worum es geht.
„Wir beraten jetzt über die größte Reform der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags seit 1980“, sagt die Präsidentin. Die Regeln in der Geschäftsordnung seien „die Spielregeln“ des Hauses. Es gehe „um die Würde der Debatte und um den fairen Umgang zwischen Mehrheit und Minderheit“.
Die AfD beklagt „einen Frontalangriff gegen die Opposition“
Von der Würde der Debatte war in den vergangenen Jahren nicht immer etwas zu spüren. Der Umgang im Bundestag ist rauer geworden. Viele machen dafür die AfD verantwortlich. In dieser Legislaturperiode wurden bereits 23 Ordnungsrufe erteilt. 20 davon gingen an AfD-Abgeordnete, die restlichen drei an Parlamentarier der Linken.
Union und SPD wollen deshalb die Strafen verschärfen. „In den zurückliegenden Legislaturperioden sind Rückschritte der Debattenkultur zu verzeichnen, angesichts derer sich der aktuelle Katalog von Ordnungsmaßnahmen insbesondere gegenüber wiederholten Ordnungsverstößen bei Sitzungen des Bundestags als unzureichend erwiesen hat“, heißt es in ihrem Gesetzentwurf.
Bei drei Ordnungsrufen innerhalb einer Sitzung sollen Abgeordnete künftig automatisch des Saales verwiesen werden, bei drei Ordnungsrufen innerhalb von drei Sitzungswochen automatisch ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Und das mögliche Ordnungsgeld soll von 1000 auf 2000 Euro und im Wiederholungsfall von 2000 auf 4000 Euro verdoppelt werden.
Die AfD hält von den Änderungsvorschlägen der Koalition überhaupt nichts. Sie seien eine „unfaire Geschichte“ der AfD gegenüber, klagt deren Abgeordneter Stephan Brandner am Donnerstagabend in der Debatte. Weil die Koalition der AfD politisch nicht das Wasser reichen könne, das zeigten auch die Umfragen und Wahlergebnisse, wolle sie jetzt „die Daumenschrauben der Geschäftsordnung massiv einführen“. Das sei „sehr durchschaubar“. Es gehe um „einen Frontalangriff gegen die Opposition“, den die Koalition „kartellähnlich“ durchpeitschen wolle.
Änderungen bei der Vizepräsidentenwahl
Brandner beklagt auch, dass die AfD immer noch keinen Bundestagsvizepräsidenten stellen dürfe. Wenige Stunden vor der Debatte über die Geschäftsordnung kandidierte wieder einmal ein AfD-Abgeordneter für das Amt und scheiterte.
In der vergangenen Legislaturperiode hatte die AfD 30 Mal die Wahl eines Vizepräsidenten aus ihren Reihen auf die Tagesordnung setzen lassen. Jedes Mal ohne Erfolg. Um so viele Anläufe zu verhindern, soll künftig bei der Vizepräsidentenwahl nach drei erfolglosen Verfahren für weitere Wahlvorschläge ein Quorum von mindestens einem Viertel der Bundestagsabgeordneten gelten. Die AfD stellt derzeit nur knapp 24 Prozent der Abgeordneten.
Man erreiche damit, dass eine Fraktion nicht „aus Showgründen“ in „der Endlosschleife“ ungeeignete Kandidaten für das Vizepräsidenten-Amt vorschlagen könne, sagt der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner. Außerdem gehe man mit der Reform „schärfer gegen Hass und Hetze vor“. Es gehe bei der Neuregelung aber auch um andere Themen – zum Beispiel wolle man die parlamentarischen Abläufe familienfreundlicher gestalten.
Junge Väter unter den Abgeordneten dürften künftig eine Woche nach der Geburt bei der Familie sein, „ohne dass es Abzüge gibt“, sagt Fechner. Zudem müssten künftig alle namentlichen Abstimmungen, bei ihnen müssen die Abgeordneten anwesend sein, bereits vor Sitzungsbeginn am Morgen angekündigt werden. Dadurch solle der Tag für Abgeordnete mit kleinen Kindern planbarer werden. „Wenn wir wollen, dass hier im Bundestag nicht nur Singles und Rentnerinnen und Rentner sitzen“, dann müsse man auch ermöglichen, dass junge Eltern diesen Job ausüben können, so Fechner.
Die Grünen hätten gerne auch mehr Transparenz und eine bessere „Beteiligungskultur“
Grünen und Linken ist das Vorgehen der Koalition zu wenig ambitioniert. Wenn eine Petition mehr als 100 000 Unterstützer finde, sollte sie auf die Tagesordnung des Bundestags kommen und dort debattiert werden, sagt die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat. Denn eine „lebendige Beteiligungskultur“, in der unterschiedlichste Interessen Zugang zum Parlament fänden, stärke das Vertrauen in die Demokratie. Außerdem sei im Parlamentsbetrieb mehr Transparenz nötig. Deshalb sollten zum Beispiel auch die Bundestagsausschüsse im Grundsatz öffentlich tagen, die seien doch „der Maschinenraum der Gesetzgebung“.
Union und SPD übernehmen die Forderungen der Grünen am Donnerstagabend aber nicht. Am Ende enthalten sich die Grünen. Die AfD stimmt gegen die Reform, die mit der Mehrheit der Koalition beschlossen wird.
Um 22.03 Uhr sind die Abstimmungen endlich vorbei. „Wir haben hier eine doch wegweisende Reform beschlossen, die erste seit 45 Jahren in dieser Größe“, sagt Bundestagspräsidentin Klöckner. Dann kehrt im Plenum wieder der Alltag ein, mit Debatten zur Luftverkehrsteuer und dem Paketboten-Schutz-Gesetz.

