Neuer BundestagKlöckner ruft zu respektvollen Debatten auf

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Die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner nimmt die Glückwünsche von CDU-Chef Friedrich Merz entgegen.
Die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner nimmt die Glückwünsche von CDU-Chef Friedrich Merz entgegen. (Foto: Liesa Johannssen/REUTERS)

Nach ihrer Wahl zur Bundestagspräsidentin verlangt die CDU-Politikerin: „Kritisieren wir einander, aber reden wir uns nicht gegenseitig persönlich schlecht.“ Sie regt außerdem eine Reform des Wahlrechts an.

Von Robert Roßmann, Berlin

Die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat in ihrer Antrittsrede den Wert von Kompromissen betont und die Abgeordneten zu respektvollen Debatten aufgerufen. „Die Art, wie wir hier miteinander umgehen und Argumente austauschen, hat Einfluss auf gesellschaftliche Debatten“, sagte die CDU-Politikerin.  Im Bundestag würden Auseinandersetzungen immer auch stellvertretend für die Gesellschaft geführt. Wie das Parlament das tue, sei prägend. „Seien wir grundsätzlich bereit, dem anderen zuzuhören und seine Beweggründe verstehen zu wollen, auch wenn man sie vielleicht nicht teilt.“ Dabei habe die Mehrheit nicht automatisch recht, die Minderheit aber auch nicht. „Kritisieren wir einander, aber reden wir uns nicht gegenseitig persönlich schlecht.“

Klöckner war zuvor von 382 der 630 Abgeordneten zur neuen Bundestagspräsidentin gewählt worden, sie ist damit Nachfolgerin der Sozialdemokratin Bärbel Bas. Bas hatte bei ihrer Wahl im Oktober 2021 ein deutlich besseres Ergebnis erzielt. Klöckner gehört dem Bundestag mit einer Unterbrechung seit 2002 an. Sie war unter anderem Bundeslandwirtschaftsministerin und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende. Zuletzt saß sie als Schatzmeisterin im CDU-Präsidium.

In ihrer Antrittsrede regte Klöckner auch eine erneute Änderung des Wahlrechts an. Das Ziel, den Bundestag zu verkleinern, sei durch die letzte Reform zwar erreicht worden. Jetzt erhalte aber nicht mehr jeder Wahlkreis-Erste automatisch ein Bundestagsmandat. Bei der Wahl Ende Februar habe dies 23 Kandidatinnen und Kandidaten getroffen. „Sollten nicht künftig wieder diejenigen, die in ihren jeweiligen Wahlkreisen das größte Vertrauen genießen, ihre Heimat auch im Deutschen Bundestag vertreten dürfen?“, fragte Klöckner.

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Die neu gewählte Bundestagspräsidentin kündigte außerdem einen selbstbewussten Umgang des Parlaments mit der Bundesregierung an. „Sollte eine neue Regierung die Vorstellung entwickeln, dass dieses Parlament nur zum Abnicken ihrer Vorstellungen gewählt sei, möchte ich möglichen späteren Enttäuschungen schon heute vorbeugen“, sagte Klöckner. „Wir Abgeordneten, wir kontrollieren die Regierung. Sie schuldet uns Rechenschaft – und nicht umgekehrt.“ Das Parlament sei „keine nachgeordnete Behörde einer Bundesregierung“.

Klöckner beklagte aber auch die Verengung von Diskursräumen, die es in jüngster Zeit gebe. „Wer Meinungsfreiheit und -Vielfalt ernst nimmt, muss auch andere Sichtweisen ertragen, sie aushalten“, sagte Klöckner. „Nicht jede Meinung, die ich selbst nicht teile, kommt dem Extremismus gleich“, Demokratie sei im besten Sinne auch eine Zumutung.

Am Dienstag wurden auch die stellvertretenden Bundestagspräsidenten gewählt. Dabei kamen Ex-Grünen-Chef Omid Nouripour, der frühere Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), die bisherige stellvertretende Unionsfraktionschefin Andrea Lindholz (CSU) und die saarländische SPD-Abgeordnete Josephine Ortleb auf die nötige Mehrheit. Ortleb kam auf 434 Ja-Stimmen, Nouripour auf 432, Lindholz auf 425 und Ramelow auf 318. Der von der AfD vorgeschlagene Gerold Otten fiel dagegen durch, sowohl beim ersten als auch beim zweiten Wahlgang. Im ersten bekam er 185 Ja-Stimmen.

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Mit der Konstituierung des neuen Bundestags endete am Dienstag die Amtszeit von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seinen Ministerinnen und Ministern. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bat Scholz am Dienstag aber, die Geschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen. Auch seine Kabinettsmitglieder führen die Geschäfte zunächst kommissarisch fort.

Die erste Sitzung des neuen Bundestags hatte der Linke Gregor Gysi eröffnet. Der 77-Jährige erfüllte dabei Erwartungen, er werde als Alterspräsident eine grundsätzliche, überparteiliche und rhetorisch gute Rede halten, nicht. Gysi verlor sich stattdessen nicht nur in einer Vielzahl kleinteiliger Forderungen. Er hielt auch eine eher parteipolitisch motivierte Rede. Außerdem ging er in seiner Ansprache nicht auf die Punkte in seiner Biografie ein, die in anderen Fraktionen als problematisch betrachtet werden. Gysi, der jetzt den Bundestag des vereinigten Deutschlands eröffnen durfte, hatte zum Beispiel in der DDR-Volkskammer gegen die Wiedervereinigung gestimmt. Und er war seit 1967 Mitglied der SED.

Sepp Müller, bisher stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion, las während Gysis Ansprache deshalb demonstrativ das Buch „Die Täter sind unter uns: Über das Schönreden der SED-Diktatur“ von Hubertus Knabe.  In der Sitzung der Unionsfraktion am Montag hatte Müller gesagt, für viele frühere DDR-Bürger sei es bedrückend, dass ausgerechnet jemand wie Gysi das Parlament als Alterspräsident eröffnen dürfe. Gysis Rede stieß aber auch bei SPD und Grünen nicht auf Begeisterung. Aus den beiden Fraktionen gab es am Ende fast keinen Applaus.

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