Bundestag debattiert über Mindestlohn:Steilvorlage der "Wackeldackel-Kanzlerin"

Gleiches Geld für alle? Oder Branche für Branche unterschiedlich? Der Kurs von CDU-Chefin Angela Merkel in Sachen Mindestlohn ist so eindeutig wie das griechische Steuersystem. Für die Opposition im Bundestag ist das eine Steilvorlage. Und auch innerhalb der Union wird das Murren vor dem Leipziger Bundesparteitag lauter.

Thorsten Denkler, Berlin

Manchmal ist ein Glück, als Letzter reden zu können. Da bleibt das Gesagte länger im Ohr. Dieses Glück hat an diesem Donnerstag der CDU-Sozialpolitiker Gerald Weiß in der aktuellen Stunde des Bundestags zum Thema Mindestlohn. Er hat eine Botschaft für Angela Merkel im Gepäck, seine Kanzlerin und Parteivorsitzende. Eine Botschaft, die ihr nicht gefallen dürfte. Sie lautet: "Bei uns entscheidet nicht die Parteivorsitzende! Bei uns entscheidet der Bundesparteitag nächste Woche!"

An sich ist das eine Selbstverständlichkeit. Nur hat sich Merkel zum Ärger des Arbeitnehmerflügels der Partei schon darauf festgelegt, wie der Mindestlohn aussehen soll, deren Einführung sie angeregt hat.

Im Gegensatz zur gemeinsamen Forderung der Christlich Demokratischen Arbeitnehmer (CDA), sieben Landes- und 21 Kreisverbänden will Merkel keinen einheitlichen Mindestlohn, sondern Branche für Branche von den Tarifparteien eine Lohnuntergrenze festlegen lassen. Dieses Zugeständnis hat ihr der Wirtschaftsflügel der CDU abgerungen, weshalb sich deren Vertreter jetzt selbstbewusst hinstellen und sagen, es werde sich rein gar nicht ändern mit dem Parteitag.

Offenbar will sich die CDA damit nicht kampflos zufrieden geben. Peter Weiß macht in der aktuellen Stunde im Bundestag klar, worum es ihm und seinen Mitstreitern geht. Eine Tarifkommission soll für die Branchen, in denen keine Tarifverträge gelten, eine Lohnuntergrenze aushandeln, die sich am Mindestlohn in der Zeitarbeit orientiert, also etwas über sieben Euro die Stunde. Der Lohn solle dann von der Bundesregierung für allgemeinverbindich erklärt werden. Also auch für Arbeitnehmer gelten, die jetzt einen Tarif-Lohn haben, der darunter liegt.

Vergangene Woche noch schien Merkel genau das auch zu wollen. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen kündigte noch für diese Legislaturperiode ein entsprechendes Gesetz an.

Daraus aber wird wohl erst mal nichts. CDA-Chef Karl-Josef Laumann ruft aus dem fernen Düsseldorf entnervt dazwischen, dass er sich bei der Gemengelage in der CDU, der Unions-Fraktion und der Koalition kaum noch vorstellen kann, dass innerhalb der nächsten zwei Jahren eine allgemeine Lohnuntergrenze festgelegt wird. "Wenn die Kanzlerin regionale und nach Branchen differenzierte Mindestlöhne will, dann ist das keine allgemeine Lohnuntergrenze mehr", sagte Laumann.

Das hat auch die Opposition im Bundestag erkannt und wettert gegen "Wackeldackel" Merkel (SPD-Generalin Andrea Nahles), die vor der Wirtschaftslobby eingenickt sei, und ihren "Kurs der Verwirrung" (Linke-Chef Klaus Ernst).

"Merkel macht sich hübsch für die große Koalition"

Nahles sieht das wie Laumann: Mit branchenbezogenen und regionalen Abweichungen mache die CDU-Chefin ihren Merkel-Mindestlohn zu einem "Schweizer Käse", frotzelt sie. Das sei ein "Witz" und eine "Brüskierung ihrer Arbeitsministerin" von der Leyen.

Merkel hat sich den Besuch der aktuellen Stunde gespart. Dafür muss sich von der Leyen die Kritik anhören, was sie milde lächelnd über sich ergehen lässt.

Brigitte Pothmer von den Grünen vermutet wahl- und machtaktische Motive bei der Kanzlerin, dass die sich überhaupt für eine Mindestlohndebatte in ihrer Partei geöffnet habe. Merkel "macht sich hübsch für die große Koalition", ist ihr Verdacht.

Hubertus Heil von der SPD ruft dazwischen: "Das schafft sie nicht!"

Pothmer grinst: "Na, das hoffe ich doch. Auf Euch ist da ja nicht so sehr Verlass."

Klar wird in der Debatte aber auch: Sollte die CDU auf ihrem Parteitag einen echten Mindestlohn nach Vorstellung der CDA beschließen, wird das die FDP freuen. Endlich hat sie dann mal ein klares Abgrenzungsthema zum Koalitionspartner. Die FDP macht ja vieles mit. Aber Mindestlohn? Das dann doch nicht, wie die liberalen Redner mehr als deutlich machen.

Heinrich Kolb etwa, Arbeitsmarktexperte der liberalen Fraktion. Er spielt das Problem der Hungerlöhne in Deutschland herunter. Von den 1,4 Millionen Menschen in Deutschland, deren Lohn durch Hartz-IV aufgestockt werde, seien ja lediglich 11.000 vollarbeitende Alleinstehende. Alle anderen müssten zum großen Teil mit Halbtagszeitjobs große Familien ernähren. Das gehe ohne Aufstockung überhaupt nicht. Ihm sei wichtiger, dass die Menschen "ein ausreichendes Mindesteinkommen" hätten. Wenn das mit Hilfe von Hartz IV erreicht werde, sei ihm das recht.

Hubertus Heil ist egal, auf welchem Weg der Mindestlohn am Ende von wem beschlossen wird. Gerne auch von der CDU. An FDP-Mann Kolb gerichtet sagt er: "Im Himmel ist mehr Freude über einen reuigen Sünder als über 100 Gerechte." Ob die CDU aber tatsächlich zur reuigen Sünderin wird, das wird sich Anfang kommender Woche beim Bundesparteitag in Leipzig zeigen.

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