Mit einer harten, von gegenseitigen Vorwürfen geprägten Debatte hat der Bundestag am Dienstag seine Arbeit beendet. Knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl nutzten insbesondere Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz das Parlamentsplenum für persönliche Attacken. Scholz warf Merz erneut vor, im Zweifel auch nach der Bundestagswahl „gemeinsame Sache“ mit der in Teilen rechtsextremen AfD machen zu wollen. Merz wies das zurück und sprach von einem „Popanz“. Der CDU-Chef erinnerte an den Tag nach der Bundestagswahl. Dann müsse „die breite politische Mitte unseres Parlaments in der Lage sein, die Probleme unseres Landes zu lösen“. Verstanden werden konnte das als vorgezogene Einladung zu Koalitionsgesprächen und als eine Art Versöhnungsangebot vor allem an die SPD.
Tatsächlich zeigten sich in der letzten Sitzung des 20. Deutschen Bundestages tiefe Gräben auch zwischen den demokratischen Parteien, die die Regierungsbildung nach der Wahl zumindest erschweren dürften. Scholz sprach Merz, dessen Union in Umfragen weit führt, die Befähigung für das Amt des Bundeskanzlers ab. „Führungsstärke, Nervenstärke, klarer Kurs – darauf kommt es in schweren Zeiten an. Nicht Wankelmut und Sprücheklopfen“, sagte Scholz. Dem Unionskandidaten warf er vor, in zentralen Fragen der vergangenen drei Jahre falschgelegen zu haben. So habe er nach Beginn des russischen Angriffskrieges gefordert, den Import von russischem Gas sofort zu stoppen. „Hätte ich damals auf den Oppositionsführer gehört, Deutschland wäre nicht heil durch den Winter 2022/23 gekommen. Unsere Wohnungen wären kalt geblieben, unsere Fabriken hätten stillgestanden“, sagte Scholz.
Scholz führe ein „geradezu lächerliches“ Schauspiel auf, sagt Merz
Erneut prallten die Positionen in der Migrationspolitik aufeinander. In der Hoffnung „auf ein paar Prozentpunkte im Wahlkampf“ habe Merz mit der Ankündigung, alle Asylbewerber an deutschen Grenzen zurückzuweisen, „die Axt an den europäischen Zusammenhalt“ gelegt, kritisierte Scholz. Dabei sei Deutschland angesichts drohender US-Zölle auf Stahl und Aluminium „stärker auf europäische Solidarität angewiesen als jedes andere Land“. In der Migrationspolitik sei eine „klare Antwort“ notwendig, hielt Merz dem entgegen. Die Forderung, Asylsuchende an Grenzen zurückzuweisen, habe auch der SPD-Ministerpräsident von Brandenburg, Dietmar Woidke, erhoben. Scholz führe daher ein „geradezu lächerliches“ Schauspiel auf. Merz machte die Bundesregierung für das Erstarken der AfD verantwortlich. „Die schwerste Hypothek, die wir mitnehmen aus dieser Wahlperiode, ist die mögliche Tatsache, dass sich diese Fraktion mit den Wahlen am übernächsten Sonntag verdoppelt“, sagte er.
Insgesamt nutzte der CDU-Vorsitzende die Debatte für eine Generalabrechnung mit der Regierungszeit von Olaf Scholz. Von der nach dem russischen Überfall auf die Ukraine von Scholz verkündeten Zeitenwende sei nichts übrig außer das in zwei Jahren verbrauchte Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro. Sowohl nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges als auch nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichtes 2023 habe die Ampelkoalition versäumt, neue Prioritäten zu setzen. Stattdessen habe es „täglichen, ununterbrochenen Streit zwischen SPD, Grünen und FDP“ gegeben. Die Regierung sei verantwortlich für die um 400 000 auf drei Millionen gestiegene Arbeitslosenzahl und hinterlasse 50 000 Unternehmensinsolvenzen.
Der Kanzlerkandidat der Grünen, Wirtschaftsminister Robert Habeck, warf Merz vor, die Herausforderung des Klimawandels auszublenden. Deutschland könne sich keine Regierenden leisten, „die Sorge haben, Probleme anzufassen, nur weil dann Gegenwind oder konkrete Fragen schwer zu beantworten sind“, warnte er. „Sie haben gepöbelt, aber Sie haben keine einzige Idee präsentiert, kein Konzept, wohin Sie mit diesem Land wollen“, hielt SPD-Chef Lars Klingbeil dem CDU-Kanzlerkandidaten vor. AfD-Chefin und Kanzlerkandidatin Alice Weidel unterstellte Merz „Wählertäuschung“, weil er seine versprochene härtere Migrationspolitik ohne ein Zusammengehen mit ihrer Partei nicht werde umsetzen können. Merz wiederum warf SPD und Grünen vor, Politik gegen den „Mehrheitswillen der Bevölkerung zu machen“.
Die nächste Bundesregierung sei die womöglich letzte, die den Vormarsch der AfD „in die Nähe der Mehrheit“ stoppen könne, warnte der CDU-Chef. Diese Verantwortung trügen alle Parteien in der demokratischen Mitte. Deutschland werde „eine Regierung brauchen und eine parlamentarische Mehrheit, die es ermöglicht, den großen Herausforderungen des Landes wirklich zu begegnen – in der Migrationspolitik, in der Wirtschaftspolitik und in der Innenpolitik“.