Mehr als ein Jahr nach dem Hamas-Angriff auf Israel hat sich der Bundestag mit einer fraktionsübergreifenden Resolution gegen Antisemitismus positioniert. Mit breiter Mehrheit nahm das Parlament das Papier von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP am Donnerstag an – kurz vor dem 9. November, dem Jahrestag der gegen Juden gerichteten Novemberpogrome der Nazis von 1938. Auch die AfD-Fraktion stimmte dafür, die Gruppe des BSW stimmte dagegen, die Gruppe Die Linke enthielt sich. Die Resolution wendet sich unter anderem gegen eine staatliche Förderung für Organisationen und Projekte, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels infrage stellen, zum Boykott Israels aufrufen oder die gegen Israel gerichtete BDS-Bewegung aktiv unterstützen. Das Papier stellt Forderungen auf und gibt Empfehlungen ab, entfaltet aber keine direkte rechtliche Wirkung.
Der Inhalt des Antrags, den SPD, Grüne, FDP und Union gemeinsam erarbeitet haben dürfte aber dennoch politische Wirkung entfalten. Mit dem Antrag werde klargestellt, dass es „auch in den Reihen von Kunst, Kultur und Medien“ keinen Platz für Antisemitismus gebe, sagte Michael Breilmann (CDU). Er trat dem Vorwurf von Wissenschaftlern entgegen, die vor allem die darin verwendete Definition von Antisemitismus kritisierten. Der Antrag von SPD, Grünen, FDP und Union hat das Ziel, Antisemitismus zu bekämpfen. Darin wird dazu aufgerufen, „Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen“, insbesondere im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht.
Mit der Definition des Begriffs sind nicht alle einverstanden
Die vier Fraktionen kritisieren einen „relativierenden Umgang und vermehrt Israel-bezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus“ und fordern die Bundesregierung auf, sich „aktiv für die Existenz und die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel“ einzusetzen. Gegenüber Ländern und Kommunen solle sie darauf hinwirken, bei Entscheidungen, etwa über die Förderung bestimmter Projekte, die sogenannte IHRA-Antisemitismus-Definition als maßgeblich heranzuziehen.
Die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) hält unter anderem fest, dass sich Erscheinungsformen von Antisemitismus „auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten“ können. Die Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin, Barbara Stollberg-Rilinger, sagte vor Beginn der Debatte, die IHRA-Definition sei unbestimmt, und „das führt dazu, dass sie unglaublich missbrauchsanfällig ist“. Der Antisemitismus-Vorwurf eigne sich „in hervorragender Weise, um politische Gegner zum Schweigen zu bringen und zu diffamieren“, warnte die Historikerin. Die Schlussfolgerung aus der deutschen Verantwortung für den Holocaust müsse sein, „dass man nicht immer die israelische Politik verteidigt und unterstützt, sondern die Menschenrechte“.
Der Grünen-Innenpolitiker, Konstantin von Notz, sagte in der Debatte, die IHRA-Definition werde in dem Antrag „nicht für absolut“ erklärt, sondern solle als maßgeblich herangezogen werden. Beatrix von Storch (AfD) sagte, in dem Antrag fänden sich die Warnungen ihrer eigenen Partei vor „importiertem Antisemitismus“ wieder.
Mehr als 4000 Einzelpersonen sowie Dutzende Organisationen aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft unterzeichneten bis Mittwochabend einen offenen Brief, der andere Formulierungen und eine weitere öffentliche Debatte fordert.