Bundestag:Was die Abgeordneten zu später Stunde noch beschlossen haben

Bundestag: Im Bundestag kann es schon mal spät werden - diesmal wurde es sogar sehr spät (Archivbild).

Im Bundestag kann es schon mal spät werden - diesmal wurde es sogar sehr spät (Archivbild).

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Kurz vor der Sommerpause stellt das Parlament einen neuen Rekord für diese Legislaturperiode auf: Erst um 1.58 Uhr wird die Sitzung beendet. Zuvor hat der Bundestag noch eine Reihe wichtiger Entscheidungen getroffen. Ein Überblick.

In seiner vorletzten Plenarsitzung vor der Sommerpause hat der Bundestag einen Rekord für diese Legislaturperiode aufgestellt. Parlamentsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD) erklärte die Sitzung, die am Donnerstag um neun Uhr begonnen hatte, erst am Freitagmorgen um 1.58 Uhr für geschlossen. Die bislang längste Sitzung der laufenden Legislaturperiode war im Mai um 0.23 Uhr zu Ende gegangen.

Zusätzlich in die Länge gezogen wurde die neue Rekordsitzung dadurch, dass die AfD gegen halb zwei einen sogenannten Hammelsprung erzwang, um die Beschlussfähigkeit des Parlaments zu überprüfen. Streng genommen muss dafür nämlich mehr als die Hälfte der 736 Abgeordneten anwesend sein - was zur nächtlichen Stunde eigentlich nie der Fall ist. So kamen statt der notwendigen 369 Parlamentarier letztlich nur 184 zusammen. Özoğuz beendete daraufhin die Sitzung.

Zuvor trafen die Abgeordneten zu später Stunde aber noch eine Reihe von wichtigen Entscheidungen. Ein Überblick:

Afghanistan-Untersuchungsausschuss

Der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und die anschließende Evakuierungsmission sollen von einem zwölfköpfigen parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden. Durch die Auswertung von Dokumenten und die Befragung von Zeugen soll er in den kommenden Monaten klären, welche Fehler gemacht wurden und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.

Die Bundeswehr hatte Afghanistan im Juni 2021 nach fast 20 Jahren verlassen. Im August beteiligte sich Deutschland dann an einem internationalen Evakuierungseinsatz, nachdem die militant-islamistischen Taliban binnen kürzester Zeit die Macht am Hindukusch übernommen hatten.

Der Untersuchungsausschuss betrachtet einen Zeitraum, der mit dem 29. Februar 2020 beginnt. An diesem Tag hatte die US-Regierung mit den Taliban das sogenannte Doha-Abkommen unterzeichnet. Die Islamisten verpflichteten sich damals im Gegenzug für den Abzug der US-Truppen unter anderem zu Friedensgesprächen und der Beteiligung an einer inklusiven Regierung - wozu es letztlich nicht kam. Schlusspunkt der Untersuchung soll der 30. September 2021 sein - einen Monat zuvor verließen die letzten US-Soldaten den Flughafen Kabul.

Maßnahmen zur beschleunigten Beschaffung von Bundeswehr-Ausrüstung

In einem Zeitraum von zunächst dreieinhalb Jahren sollen Aufträge für die Ausrüstung der Bundeswehr schneller vergeben werden können, als es nach der bisherigen Rechtslage möglich war. So können etwa verschiedene Aufträge gemeinsam vergeben und Gemeinschaftsprojekte mit anderen EU-Staaten einfacher realisiert werden.

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hatten Bundestag und Bundesrat vor wenigen Wochen ein 100 Milliarden Euro schweres Sonderprogramm zur besseren Ausrüstung der Bundeswehr beschlossen. Mit dem Geld sollen unter anderem neue Flugzeuge, Hubschrauber, Schiffe und Panzer angeschafft werden. Derartige Beschaffungsvorhaben zogen sich in der Vergangenheit allerdings regelmäßig in die Länge. Dieses Problem soll durch die nun beschlossenen Maßnahmen entschärft werden.

Grünes Licht für Kohlekraftwerke als Gasersatz

Wegen der Gaskrise können vorübergehend mehr Kohlekraftwerke zur Stromerzeugung herangezogen werden. Für einen Übergangszeitraum sollen solche zum Einsatz kommen, die gegenwärtig nur eingeschränkt verfügbar sind, vor der Stilllegung stehen oder sich in der Reserve befinden. Das Bundeswirtschaftsministerium will die notwendige Verordnung vorbereiten, um die sogenannte Gasersatzreserve in Gang zu setzen. Abgelehnt wurde vom Bundestag ein Änderungsantrag der Unionsfraktion, der eine längere Laufzeit von Atomkraftwerken zum Ziel hatte.

Zudem werden staatliche Hilfen für angeschlagene Energieunternehmen wie Uniper erleichtert. Als Option kann zudem ein Umlagesystem geschaffen werden, damit Energieversorger Preissprünge beim Gas gleichmäßiger an Kunden weitergeben werden können. Die Bundesregierung will aber verhindern, dass dieses Instrument zum Einsatz kommen muss. Die vom Bundestag beschlossenen Gesetzesänderungen sollen an diesem Freitag noch durch den Bundesrat.

Mehr Strom aus Wind und Sonne

Der Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Verbrauch soll bis 2030 von derzeit knapp 50 Prozent auf mindestens 80 Prozent gesteigert werden. Um das zu erreichen, sollen zwei Prozent der gesamten Bundesfläche an Land für Windräder ausgewiesen werden, das ist mehr als eine Verdoppelung. Wenn das Gesetzespaket am Freitag den Bundesrat passiert, gelten für die einzelnen Länder bis Ende 2032 unterschiedliche Ziele, weil es unterschiedliche Voraussetzungen für den Ausbau der Windenergie gibt. Auf Druck der FDP entfiel das ursprünglich geplante Ziel der Bundesregierung, vom Jahr 2035 an Strom nahezu treibhausgasneutral zu erzeugen.

Virtuelle Hauptversammlung wird zur Dauerlösung

Aktiengesellschaften dürfen ihre Hauptversammlung auch in Zukunft als reine Online-Veranstaltung durchführen. Eine Sonderregelung aus der Frühzeit der Corona-Pandemie soll dauerhaft und auch für die Generalversammlung von Genossenschaften gelten. Künftig sollen Konzerne wählen können, ob sie die Aktionärstreffen in Präsenz, online oder im Hybridformat abhalten. Die Aktionäre müssen dem allerdings vorher zustimmen. Zudem muss sichergestellt sein, dass die gesamte virtuelle Versammlung in Bild und Ton übertragen wird.

Im Gegensatz zum Pandemie-Provisorium stärkt das jetzt beschlossene Gesetz zudem die Aktionärsrechte - etwa durch die Möglichkeit, ohne Voranmeldung zu reden oder spontane Gegenanträge zu stellen.

Ataman zur Antidiskriminierungsbeauftragten gewählt

Bis zuletzt war unklar, ob die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP die nötige Mehrheit zusammenbekommt - am Ende aber reichte es: Die Publizistin Ferda Ataman ist als neue Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung bestätigt worden, vorgeschlagen worden war sie von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne).

Bayerischer AfD-Landeschef verliert Immunität

Der Bundestag hat die Immunität des AfD-Abgeordneten und bayerischen AfD-Landesvorsitzenden Stephan Protschka aufgehoben. Die Genehmigung "zum Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse" wurde einstimmig erteilt, wie das Parlament mitteilt. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Landshut erklärte, dass noch am Donnerstag Büroräume eines Bundestagsabgeordneten durchsucht worden seien. Es bestehe der Verdacht, dass er im Jahr 2017 anlässlich der Vermittlung eines Abschlusses eines Versicherungsvertrags unrichtige Daten an die Versicherung übermittelte.

Der letzte Punkt wird vertagt

Eigentlich sollte beim letzten Tagesordnungspunkt darüber abgestimmt werden, ob die Abgeordneten auch in Zukunft in digitaler Form an Ausschusssitzungen teilnehmen dürfen. Da sich der Bundestag jedoch als nicht beschlussfähig erwies, musste die Entscheidung darüber vertagt werden.

An diesem Freitag entscheidet der Bundestag zudem über die deutsche Zustimmung zum Nato-Betritt Schwedens und Finnlands. Die Abgeordneten befassen sich mit einem entsprechenden Gesetzentwurf, den die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP gemeinsam mit der Union vorgelegt hat. Eine Ratifizierung gilt als sicher.

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