Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr:Bundestag will Afghanistan-Einsatz aufarbeiten

Ein Untersuchungsausschuss und eine Enquetekommission sollen den deutschen Einsatz am Hindukusch evaluieren und daraus Lehren für künftige Mandate ziehen.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Der Bundestag will an diesem Donnerstag mit den Stimmen der Ampelkoalition und der Union den ersten Untersuchungsausschuss der 20. Legislaturperiode einsetzen. Er soll das Handeln der schwarz-roten Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan nach dem Fall Kabuls an die Taliban am 15. August 2021 untersuchen. Ebenso wollen die Abgeordneten das Mandat für eine Enquetekommission beschließen, die den gesamten Einsatz am Hindukusch über seine Dauer von 20 Jahren evaluieren und daraus Lehren für laufende und künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr ableiten soll.

Beide Untersuchungen waren im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP bereits vereinbart worden. Nun hat sich die Koalition auch mit der Fraktion von CDU und CSU auf die Aufträge geeinigt. Der Untersuchungsausschuss soll demnach den Zeitraum vom Abschluss des Doha-Abkommens am 29. Februar 2020 zwischen der US-Regierung von Präsident Donald Trump und den Taliban bis zum Ende der militärischen Evakuierungsmission unter die Lupe nehmen. In dem Abkommen hatten die USA mit den Taliban einen Abzug im Gegenzug für Sicherheitsgarantien vereinbart. Die radikalen Islamisten nahmen danach aber Provinz um Provinz ein und nach dem Zusammenbruch der afghanischen Regierung auch die Hauptstadt Kabul.

Die SPD stellt als stärkste Fraktion die beiden Vorsitzenden. Den Untersuchungsausschuss soll der Abgeordnete Ralf Stegner leiten, die Enquetekommission Michael Müller; beide gehören dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestags an. Stegner sagte, er wolle im Untersuchungsausschuss die Kommunikation zwischen den beteiligten Ressorts der Bundesregierung in den Fokus nehmen, also vor allem Kanzleramt, Auswärtiges Amt, Bundesverteidigungsministerium und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Es gelte herauszufinden, wie Lagebilder zustande kamen, die sich im Nachhinein als nicht haltbar erwiesen haben. Auch müsse die Interaktion mit den internationalen Partnern wie den USA untersucht werden.

Bis heute warten Tausende Ortskräfte auf eine Ausreise nach Deutschland

Große Bedeutung messe er auch der Frage nach dem Umgang mit den afghanischen Ortskräften bei sowie der Kooperation mit internationalen Hilfsorganisationen, sagte er am Mittwoch in Berlin. Tausende Afghanen, die für die Bundeswehr und andere deutsche Regierungsstellen gearbeitet hatten, waren nicht an Bord der Evakuierungsflüge gekommen, mit denen die westliche Militärallianz unter Führung der USA zwei Wochen lang versuchte, eigene Staatsangehörige und gefährdete Afghanen außer Landes in Sicherheit zu bringen. Bis heute warten Tausende in Afghanistan auf eine Ausreise nach Deutschland, auch hat das Auswärtige Amt in der Zwischenzeit Tausende hierhergebracht, zumeist über Pakistan.

Müller kündigte an, die Enquetekommission werde den gesamten Einsatz evaluieren und daraus Lehren für künftige Mandate ziehen. Es habe in den ersten Jahren des Einsatzes durchaus Erfolge im Kampf gegen die Bedrohung durch den Terrorismus und terroristische Gruppen gegeben. Man müsse aber fragen, warum es nicht gelungen sei, Staat und Gesellschaft dauerhaft zu stabilisieren und zu demokratisieren sowie eine nachhaltige Entwicklung anzustoßen. Er verwies auf die Rückschritte unter den Taliban etwa bei den Rechten von Frauen und Mädchen.

Als Mindestdauer für die Arbeit der Kommission nannte er zwei Jahre. Stegner sagte, der Bericht des Untersuchungsausschusses solle im Bundestag mit ausreichend Abstand vor der nächsten Wahl diskutiert werden. Der Ausschuss will sich noch Anfang Juli vor der parlamentarischen Sommerpause konstituieren und Akten von der Regierung anfordern. Die Enquetekommission wird ihre eigentliche Arbeit im September aufnehmen.

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