Bundessozialgericht:Entschädigung verwehrt

Eine Schwangere trinkt, ihr Kind wird dadurch geschädigt. Staatliche Grundrente steht ihm aber nicht zu.

Von Edeltraud Rattenhuber

Eine alkoholkranke Frau ist schwanger. Ungeachtet der Folgen, die Alkoholkonsum für ihr ungeborenes Kind nach sich ziehen kann, trinkt sie weiter exzessiv. Und wiederholt. Drei ihrer Kinder werden behindert geboren, zwei sterben nach der Geburt. Das dritte lebt bei einer Pflegefamilie. Es ist mittlerweile 15 Jahre alt und durch Alkoholembryopathie, auch Fetales Alkoholsyndrom genannt, schwer geschädigt. 2009 beantragt es eine staatliche Opferentschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Doch steht die dem Kind zu?

Mit diesem Fall musste sich am Donnerstag der Neunte Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel befassen, und die Richter entschieden sich zu einer restriktiven Auslegung des OEG. Dieses billigt Opfern von Gewalttaten eine mitunter lebenslange Grundrente zu, im vorliegenden Fall ging es um mehr als 400 Euro monatlich. Doch das Bundessozialgericht wies die Klage ab. Bei einem Alkoholmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft haben Kinder laut Gericht nur Anspruch auf Entschädigung, wenn Ziel des Alkoholkonsums der Abbruch der Schwangerschaft, also eine vorsätzliche unerlaubte Abtreibung, gewesen sei. Dabei müsse die Grenze zum kriminellen Unrecht überschritten sein, so das BSG (B 9 V 3/18 R).

"Alkoholmissbrauch ist ein gesellschaftliches Problem", sagte die Vorsitzende Richterin des Senats, Elke Roos, laut der Nachrichtenagentur epd bei der Urteilsbegründung. Alkoholkonsum während der Schwangerschaft sei auch der häufigste Grund für Behinderungen bei Kindern. "Das Opferentschädigungsgesetz hat hier aber seine Grenzen", so Roos. Die Leibesfrucht (nasciturus) sei zwar vom Schutzbereich des Opferentschädigungsgesetzes umfasst, und Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft könne einen tätlichen Angriff auf das ungeborene Kind darstellen. Voraussetzung hierfür sei allerdings das Vorliegen einer Straftat, die Schädigung eines Ungeborenen durch Alkoholmissbrauch sei aber derzeit nicht strafbar. Dies sei nur dann der Fall, wenn der Konsum der Schwangeren auf Abbruch der Schwangerschaft, also eine versuchte Tötung des ungeborenen Kindes, ziele.

Damit folgte das BSG weitgehend der Argumentation der vorigen Instanzen. Sowohl das Sozialgericht Magdeburg als auch das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt hatten die Klage abgewiesen. Vernommen worden waren von den Landessozialrichtern beide leibliche Eltern als Zeugen, die einmütig erheblichen mütterlichen Alkoholkonsum in den Schwangerschaften eingeräumt hatten. Einen bedingten Vorsatz zum Abbruch der Schwangerschaft konnte das LSG bei der Mutter der Klägerin allerdings nicht sehen. Dass zuvor bereits zwei Geschwister nach der Geburt starben, ließ für das LSG ebenfalls nicht den Schluss zu, dass die Mutter den Tod der ungeborenen Klägerin infolge ihres Alkoholkonsums als möglich angesehen und billigend in Kauf genommen habe. Die LSG-Richter hatten betont, dass es sich bei einer Alkoholabhängigkeit um eine Suchterkrankung handle. Der Alkoholkonsum sei ohne Vorsatz in fahrlässiger, leichtfertiger Weise erfolgt.

Das Urteil wird Pflegeeltern enttäuschen, die auf eine Entschädigungsregelung gehofft hatten. Die Kinder werden diesen meist ohne Hinweis oder Wissen um die Erkrankung der Kinder übergeben. Mit den gesundheitlichen und sozialen Folgen der Entwicklungsverzögerungen sind sie oft alleingelassen. Das Fetale Alkoholsyndrom ist mittlerweile die häufigste Beeinträchtigung bei Kindern. Laut Daten des Robert-Koch-Instituts kommen in Deutschland vier bis sechs Kinder aus 1000 mit dem Syndrom auf die Welt. Die Dunkelziffer ist hoch.

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