Bundesrepublik:76 Jahre Deutschland

Bundesrepublik: Dominik Geppert: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Verlag C.H. Beck, München 2021. 128 Seiten, 9,95 Euro.

Dominik Geppert: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Verlag C.H. Beck, München 2021. 128 Seiten, 9,95 Euro.

Dominik Gepperts lesenswerte (und kurze) Geschichte der BRD führt von 1945 bis zu klugen Bemerkungen über Merkels Corona-Politik.

Von Werner Bührer

Die Reihe Beck Wissen, in der dieser Band erschienen ist, richtet sich an Leserinnen und Leser, die sich anspruchsvoll, knapp und kompetent informieren möchten. Dominik Geppert, der an der Universität Potsdam Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts lehrt, wird diesem Anspruch voll und ganz gerecht. Gleich zu Beginn verdeutlicht er, worauf es ihm ankommt: Er möchte keine "Erfolgsgeschichte" erzählen, denn nach der deutschen Vereinigung stelle sich beispielsweise die "Frage nach einer Nationalgeschichte jenseits des postnationalen Selbstverständnisses der alten Bundesrepublik" mit neuer Dringlichkeit, und unter dem Eindruck von Globalisierung und wachsendem Populismus scheint auch die Stabilität der deutschen Demokratie keineswegs mehr so gefestigt zu sein.

Also kein "Rückgriff auf teleologische Erzählweisen", sondern eine nüchterne, auf den "Wandel politischer Konstellationen und gesellschaftlicher Spannungslagen, ökonomischer Herausforderungen, intellektueller Strömungen und mentaler Dispositionen" konzentrierte Darstellung. Die Kapiteleinteilung orientiert sich eher an wirtschaftlichen "Großwetterlagen", "tektonischen Verschiebungen" im Parteienspektrum oder Veränderungen des internationalen Systems als an den Amtszeiten der Regierungen. Dies könnte als implizite Kritik an der von Marie-Luise Recker verfassten Geschichte der Bundesrepublik verstanden werden, ebenfalls in der Reihe Beck Wissen (letzte Auflage 2009) erschienen, mittlerweile vergriffen, von Geppert aber mit keinem Wort erwähnt.

Die Zäsuren folgen nicht dem gängigen Muster

Das erste Kapitel umfasst die Jahre 1945 bis 1958, es endet mit einem Blick auf das politische Klima der Adenauerzeit, das Geppert als Mischung aus politischem Opportunismus, Antinazismus und Antikommunismus charakterisiert. Im zweiten Kapitel, "Reform und Revolte" überschrieben, beschreibt er unter anderem den sozioökonomischen Strukturwandel der 1960er-Jahre, die Parteienkonzentration, den deutschlandpolitischen Kurswechsel und die studentische Protestbewegung. Deren Heftigkeit erklärt er mit der besonderen Intensität des Generationenkonflikts hierzulande.

Die dritte Phase von 1973 bis 1985 reicht von den weltwirtschaftlichen Verwerfungen nach dem Zusammenbruch der Währungsordnung von Bretton Woods über den rechten und linken Terrorismus, die neuen sozialen Bewegungen und den Regierungswechsel 1982 bis zur neuerlichen Verschärfung des Kalten Kriegs nach der sowjetischen Intervention in Afghanistan. Die nächste Zäsur setzt Geppert 1999. Die europäische Integration erlebte einen weiteren Schub in Richtung Vertiefung, gleichzeitig endete der Ost-West-Konflikt, und die Wiedervereinigung glückte - nicht zuletzt dank des "Verhandlungsgeschicks" des Bundeskanzlers und seines Außenministers. Die verbreitete These, der Euro sei der Preis gewesen, den die Bundesrepublik "für die Wiedervereinigung zu zahlen hatte", gehöre "ins Reich der Legenden".

Es endet mit der "Methode Merkel" - und Corona

Im nächsten Kapitel erzählt Geppert vom Aufbruch in die Berliner Republik mit dem Höhepunkt der Bildung einer rot-grünen Regierung, die "Aufbruchsstimmung" verkörperte und einen politischen Stil pflegte, der "spontaner, spritziger und zeitgemäßer" wirkte. Die "Agenda 2010" wertet er als Erfolg, der deutsche Sozialstaat sei keineswegs, wie manche Kritiker behaupten, geschleift, sondern "an veränderte Bedingungen angepasst" worden, um ihn "im Kern zu erhalten". Das letzte Kapitel handelt von der Globalisierung und ihren Grenzen und erstreckt sich von 2008 bis 2021. Geppert konstatiert ungeachtet eines wirtschaftlichen Aufschwungs nach der Finanzkrise eine "Melange aus gereizter Verdrossenheit, unterdrückter Wut und latenten Verlustängsten", die aus Krisenphänomenen auf europäischer Ebene und, ab 2015, vor allem aus dem Anstieg der Flüchtlingszahlen gespeist wurde. Die "Methode Merkel", also "programmatische Ungebundenheit und taktische Beweglichkeit", mochte lange Zeit geholfen haben, das Land durch die "gewaltigen Turbulenzen" zu steuern - um die wachsende Frustration im bürgerlich-konservativen Lager zu stoppen, reicht sie nicht mehr aus. Das zeigte sich auch in der Corona-Krise, mit der Geppert seinen Band ausklingen lässt. Der "reaktive Politikstil" der Kanzlerin war nicht darauf ausgerichtet, "in unübersichtlichen Situationen Kreativität und Führungsstärke zu beweisen".

Das Buch bietet einen kompakten, um Ausgewogenheit bemühten Überblick zur Geschichte der Bundesrepublik bis in die Gegenwart, die Lektüre bereitet großes Vergnügen. Die großen Debatten - etwa zur "Vergangenheitsbewältigung", zum Historikerstreit oder zur Rolle der Achtundsechziger - werden ebenso behandelt wie die Besonderheiten einzelner Regierungskonstellationen. Großes Lob verdient auch, dass Geppert seine Erzählung in der unmittelbaren Gegenwart enden lässt und so einige kluge Bemerkungen zur Corona-Krise beisteuern kann, etwa wenn er die Politik als "relativ effizient im Verbieten, aber zögerlich in der Entwicklung und Ermöglichung neuer Ideen" kritisiert. Der Fokus der Darstellung liegt auf Politik und Wirtschaft, kultur- und mentalitätsgeschichtliche Betrachtungen, wie sie im Kapitel über den Wiederaufbau zu finden sind, werden seltener. Dem sehr positiven Gesamteindruck tut das allerdings keinen Abbruch.

Werner Bührer ist Zeithistoriker. Er lebt in München.

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