Bundesregierung und Internetüberwachung:Viel Nichtwissen, viel Ärger

Egal, was die Bundesregierung von der Internet-Spionage der USA wusste, im Wahlkampf gerät sie in die Defensive. Kanzlerin Merkel und Kanzleramtschef Pofalla haben viel zu verlieren. Sagen sie die Wahrheit, gelten sie als Bittsteller der USA. Haben sie gelogen, bekommen sie ein noch viel größeres Problem.

Von Stefan Braun

Es gab mal einen Kanzleramtsminister, der von seinen Geheimdiensten in ganz besonderer Weise überrascht wurde. Der Mann hieß Waldemar Schreckenberger und zog 1982 an der Seite Helmut Kohls ins Bonner Kanzleramt ein. Kaum hatte der enge Freund Kohls die Regierungszentrale am Rhein betreten, da reichten ihm seine neuen Mitarbeiter schon einen Schlüssel. Dieser Schlüssel, so erfuhr Schreckenberger, genannt "Schrecki", sei für den Tresor, er sei ja nun auch für die Geheimdienste zuständig. Als Schreckenberger den Safe öffnete, fand er darin keinen Berg Akten, sondern ein kleines Häuflein Papiere - und alles, was drin stand, kannte er aus der Zeitung. Schreckenberger hat diese Geschichte später gerne als Anekdote an der Hochschule Speyer erzählt; es heißt, dass dann viel gelacht worden sei.

Nun weiß man nicht, ob die Dienste damals wirklich nichts wussten oder den freundlichen Herrn Schreckenberger einfach kurzhalten wollten. Aber man ahnt, dass sich Ronald Pofalla seinem Vor-Vor-Vor-Vorgänger derzeit näher fühlen dürfte, als ihm lieb ist. Ja, es ist ziemlich wahrscheinlich, dass den Kanzleramtsminister von Angela Merkel ähnliche Gefühle plagen. Wenn man mal davon ausgeht, dass die Regierung - wie sie nun schon mehrmals erklärt hat - wirklich nichts von den großen Ausspähprogrammen der US-Geheimdienste wusste, dann wird man sehr an Schreckenberger und seinen verdammt leeren Tresor erinnert.

Zumal das Bild zu gut zu dem Gefühl passen dürfte, mit dem Pofalla in die nächsten Wochen gehen wird. Die Affäre um den anscheinend grenzenlosen Datenhunger der Amerikaner könnte sich zum heikelsten Thema von Pofallas bald vierjähriger Amtszeit entwickeln. Wenn eine Regierung in einem aufziehenden Wahlkampf erklären muss, dass sie von solchen, vielleicht gar illegalen Aktionen des größten Verbündeten nichts wusste, gerät sie in die Defensive, ob sie will oder nicht. Sie gerät in eine Lage, in der sie nichts gewinnen, aber viel verlieren kann. Entweder stimmt, was sie sagt, dann wird sie zu einem Bittsteller, der die USA um Aufklärung nachsucht. Oder ihre Aussage stimmt nicht. Dann hat die Regierung gelogen - und wird ein noch größeres Problem kriegen.

Pofalla spürt die Gefahr

Kein Wunder also, dass sich Pofalla schon jetzt um nichts so viel kümmert wie um die Frage, was wer womöglich doch gewusst oder jedenfalls geahnt habe könnte. Und: Was man mindestens hätte ahnen müssen, seitdem die Amerikaner die deutschen Geheimdienste im Anti-Terrorkampf fast regelmäßig über besonders gefährliche Personen und Anschlagsgefahren informiert haben. Als Pofalla vor knapp zwei Wochen nach einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums auftrat, spürte man in seinen wenigen, sehr allgemeinen Sätzen, dass ihn diese Gefahren längst umtreiben.

In der Geschichte des Kanzleramts gab es zwar immer mal wieder sehr starke Koordinatoren der Geheimdienste, die unter einem Kanzleramtschef dienten. Bernd Schmidbauer gehörte dazu, ebenso Ernst Uhrlau. Schmidbauer diente als Staatsminister unter Kanzler Kohl und Amtschef Friedrich Bohl, Uhrlau erfüllte die gleiche Rolle als Abteilungsleiter unter Kanzler Gerhard Schröder und Amtschef Frank-Walter Steinmeier. Und Schmidbauer wie Uhrlau waren so mächtig, dass sie in einem Krisenfall mit einem Rücktritt den Kanzleramtschef hätten schützen können. In Pofallas Amt aber heißt der Abteilungsleiter Günter Heiß. Der frühere Verfassungsschutzchef aus Niedersachsen agiert so leise, dass er in öffentlichen Debatten noch nie eine Rolle spielte. Entsprechend wäre er kein politisches Schutzschild für den Minister. Und das ausgerechnet auf einem Feld, das sich naturgemäß nur sehr schwer kontrollieren lässt.

Damit könnte die Sache auch für Pofalla persönlich politisch gefährlich werden. Er ist der zuständige Amtschef und Minister. Formal muss der Kanzleramtsminister den im Ausland agierenden Bundesnachrichtendienst, den im Inland tätigen Verfassungsschutz und den rund um die Bundeswehr aktiven Militärischen Abschirmdienst koordinieren. Das ist per se schwierig bei Organisationen, die eng kooperieren müssen und zugleich Wettbewerber sind, wenn es um Geld und Ruhm geht. Besonders heikel aber wird es, wenn der Austausch von Informationen mit ausländischen Diensten ins Spiel kommt. Dieser Austausch ist oft unverzichtbar und gleichzeitig kaum offenzulegen, will man verhindern, dass diese Dienste Adieu sagen.

Aufklärung, wo Aufklärung besonders schwer ist? Das ist keine leichte Aufgabe. Würde sich herausstellen, dass die derzeitige Linie der Regierung - wir wussten nichts! - nicht mehr haltbar wäre, träfe es ihn wohl als Ersten. Zumal er sich bei seinem Amtsantritt vor vier Jahren vor allem ein Ziel gesetzt hat: Angela Merkels Kanzlerschaft zu schützen.

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