Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Sonderfall Atompolitik

Die deutschen Atomkraftwerke sollen länger laufen, so wie es Schwarz-Gelb versprochen hatte. Ausnahmsweise hat es die Koalition geschafft, nicht gegen sich selbst zu opponieren.

Nico Fried

Etwas mehr als 20 Millionen Bundesbürger haben im September 2009 CDU, CSU oder FDP gewählt und damit einer schwarz-gelben Regierung ins Amt geholfen. In dem knappen Jahr, das seither vergangen ist, haben die siegreichen Parteien viel dafür getan, die Entscheidung dieser Wähler zu diskreditieren. Auf kaum einem anderen Gebiet war die Koalition so erfolgreich wie bei der Zerstörung des Vertrauens, das in sie gesetzt wurde - wenn denn die Umfragen den Zerfall der Zustimmung richtig wiedergeben.

Für diesen Absturz gab es drei wichtige Gründe: Erstens hat diese Koalition manches, was sie versprochen hat, einfach nicht gemacht. Dafür ist die Steuerreform das prägnanteste Beispiel. Zweitens hat diese Koalition manches gemacht, was sie versprochen hat, aber so schlecht, dass es ihr nicht zur Ehre gereicht. Dafür ist das sozial unausgewogene Sparpaket ein gutes Beispiel.

Versprochen und gehalten

Drittens hat diese Regierung manches sogar gut gemacht, wie den Umgang mit der Euro-Krise, wovon sie freilich durch fortwährende Streitereien selbst am meisten abgelenkt hat. Ein Problem dieser Regierung bestand also bisher darin, dass sie sich selbst in jeder Hinsicht die härteste Opposition war.

Das vergangene Wochenende markiert nun eine Zäsur. Erstmals hat die Koalition sich auf ein Projekt verständigt, das es so nur mit ihr geben konnte, sieht man von der Mehrwertsteuersenkung für Hotels einmal ab. Union und FDP haben die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken versprochen und sich daran gehalten. Erstmals sind in der Koalition alle zufrieden oder tun zumindest so, jedenfalls hat es sage und schreibe zwei Tage lang keine Grundsatzkritik aus dem eigenen Lager gegeben. Anders gesagt: Erstmals, seit Schwarz- Gelb regiert, zieht wieder so etwas wie Ordnung ins politische Leben ein.

Weil die Regierung bisher, wenn sie überhaupt etwas auf den Weg brachte, das meiste davon gleich selbst wieder zerredet hat, war die Opposition nahezu überflüssig geworden. Das schlechte Erscheinungsbild überlagerte jeden Inhalt. Jetzt ordnen sich die Lager wieder an echter Politik aus. Der Ausstieg aus dem bisher geltenden Energiekonsens ist sehr wahrscheinlich der Einstieg in eine Debatte, die sich wieder an der Sache orientiert und nicht nur am Stil.

Das ist deshalb gut so, weil eine Folge der allgemeinen Enttäuschung über die lausige Vorstellung der Koalition zwangsläufig nur der Verdruss über die Politik insgesamt gewesen wäre, den sich das Land nicht leisten kann. Nur die konkrete Auseinandersetzung, der Streit über das Für und Wider, kann auch eine mobilisierende Wirkung haben. Und welches Thema wäre dafür besser geeignet als die Atomenergie? Es ist wichtig, dass Verantwortung klar zugeordnet werden kann. Und es ist besser für alle, wenn die Regierung sich vor einem politischen Gegner rechtfertigen muss, der nicht in den eigenen Reihen steht, sondern auf der anderen Seite. Da, wo er hingehört.

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SZ vom 09.09.2010/ebc
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