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Bundesregierung schließt Abkommen mit Kasachstan:Merkel hebt den Schatz aus der Steppe

Folter, Drangsalierung von Journalisten, Missachtung der Religionsfreiheit: Dem Regime Kasachstans werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Selbst das Auswärtige Amt stellt dem Präsidenten Nasarbajew ein mieses Zeugnis aus. Warum ihn Merkel dennoch mit großer Geste empfängt? Es geht um Rohstoffe.

Michael König

Er gibt sich als bescheidener Mann, aber wenn das Volk ihm huldigt, dann wehrt sich Nursultan Nasarbajew nicht. "Es war nicht meine Idee, aber man hat es so gewollt", sagte der kasachische Präsident, als 2010 eine Universität in der Hauptstadt Astana nach ihm benannt wurde. Er widersprach auch nicht, als das Parlament ihm zum 70. Geburtstag den Titel "Führer der Nation" verlieh. Mit dem Recht, auch nach dem Ende seiner Amtszeit Einfluss auf die kasachische Politik zu nehmen.

An diesem Mittwoch hat der "Führer" des Steppenlandes wieder so einen huldvollen Moment erlebt, als Angela Merkel in Berlin empfing. Zwar betonte die Kanzlerin, sie habe auch die Menschenrechtslage in Kasachstan und die Einhaltung demokratischer Prinzipien angesprochen. Wichtigster Termin des Staatsbesuchs war aber die Unterzeichnung einer wirtschaftlichen Partnerschaft: Kasachstan bietet wichtige Rohstoffe. Im Gegenzug zur gemeinsamen Erschließung, Gewinnung und Nutzung verpflichten sich deutsche Unternehmen, einen Beitrag zur Industrialisierung des Landes zu leisten.

Nasarbajew hatte angekündigt, er werde insgesamt 50 Verträge mit einem Gesamtvolumen von 4,5 Milliarden Euro unterzeichnen. In Berlin betonte er, Kasachstan wolle sich in Richtung der Europäischen Union orientieren. Neben dem Zwiegespräch mit der Kanzlerin und einer "gemeinsamen Pressebegegnung" standen für Nasarbajew ein Bildtermin und ein Gespräch mit Präsident Christian Wulff im Schloss Bellevue auf dem Programm.

"Beschneidung demokratischer Rechte"

Das ist ziemlich viel der Ehre für einen Politiker, von dem es heißt, sein "straffer Führungsstil" habe eine "Beschneidung demokratischer Rechte und Freiheiten" zur Folge. Die Meinungsfreiheit in Kasachstan gilt als eingeschränkt, "missliebige Journalisten werden drangsaliert". Nach wie vor gebe es "Korruption und politische Intervention im Rechtsbereich", die Religions- und Versammlungsfreiheit werde "restriktiv gehandhabt".

Diese Zitate stammen aus der Länderanalyse des Auswärtigen Amtes. Selbst deutsche Diplomaten stellen Kasachstan ein schlechtes Zeugnis aus, wenn es um Menschenrechte geht. Nichtregierungsorganisationen gehen noch weiter: Im Jahresbericht von Amnesty International ist von brutalen Foltermethoden die Rede - obwohl die Regierung eine "Null-Toleranz-Politik" gegen Folter angekündigt habe.

Dass Kasachstan Anfang Februar den Bürgerrechtler Jewgeni Schowtis nach zweieinhalb Jahren im Straflager im Rahmen einer Amnestie freiließ, wird von Kritikern als bloße Geste Nasarbajews betrachtet, um der Bundesregierung guten Willen zu demonstrieren. Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisiert wiederholte Angriffe kasachischer Behörden auf unabhängige Medien. Blogger seien zusammengeschlagen worden. Das Regime schalte Internet- und Mobilfunknetze ab und blockiere Webseiten. Das habe sich im Dezember 2011 gezeigt, als Ölarbeiter in der westkasachischen Stadt Schanaosen (Schangaösen) wegen ausbleibender Löhne protestiert hatten. Der Protest wurde von Sicherheitsleuten niedergeschlagen, mindestens 16 Menschen starben.

Warum wird Nasarbajew von Merkel dennoch mit Brimborium empfangen?

Weil es um wichtige Rohstoffe geht. Deutschland ist abhängig von Lieferanten. Der Jahresbericht der Deutschen Rohststoffagentur (Dera) nennt für das Jahr 2010 Importe im Wert von etwa 109 Milliarden Euro. Dem stehen produzierte Rohstoffe im Wert von 17,7 Milliarden Euro gegenüber. "Deutschland ist bei einer Vielzahl von Rohstoffen, insbesondere bei den Metallen, importabhängig, so dass sich die deutsche Wirtschaft auf die globale Rohstoffsituation einstellen muss", schreibt die Dera.

Allianz deutscher Unternehmen

Anfang Januar verkündete der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Gründung einer "Allianz zur Rohstoffsicherung" - ein Gemeinschaftsunternehmen, finanziert von zwölf Unternehmen, darunter BASF, Bayer, BMW, Daimler, Evonik Industries, Bosch und ThyssenKrupp. "Der Fokus des Unternehmens wird auf Rohstoffen liegen, bei denen ausgeprägte Versorgungsrisiken für die deutsche Industrie bestehen", sagte BDI-Vizepräsident Ulrich Grillo.

Kasachstan soll helfen, diese Versorungsrisiken zu umgehen. Die dortigen Rohstoffvorkommen gelten als die fünftgrößten der Erde. Das Land ist reich an Öl, Gas, Gold und Uran. Besonders interessant für deutsche Unternehmen ist die Förderung sogenannter seltener Erden. Um diese Spezialmetalle, die etwa für die Produktion von Mobiltelefonen, Windrädern und Lasergeräten benötigt werden, ist ein weltweiter Wettkampf entbrannt - mit China als wichtigstem Akteur: Es kontrolliert bislang etwa 95 Prozent der erschlossenen Vorkommen für Seltenerdmetalle. Vor zwei Jahren drosselte Peking die Ausfuhr - mit deutlich höheren Preisen auf dem Weltmarkt als Folge. Das bekam auch der Endverbraucher zu spüren: Energiesparlampen wurden teurer.

Für Nasarbajew ist das eine Chance, seinem Land zu industriellem Wachstum und internationaler Anerkennung zu verhelfen. Der seit der Staatsgründung 1991 amtierende Präsident ist bereit, auch mit deutscher Hilfe unerschlossene Vorkommen seltener Erden und anderer Stoffe wie Uran und Kupfer zu heben. Im Gegenzug verlangt er Zugang zu deutscher Technologie. Mit der Unterschrift des Abkommens wird dieser Deal abgeschlossen.

"Ohne jede Schamfrist"

Politiker der Opposition und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen sind damit nicht einverstanden. "Ein Land, das die grundlegenden Menschenrechte verletzt, ist kein gutes Umfeld für wirtschaftliche Investitionen", mahnte ein Sprecher von Human Rights Watch. "Deutschlands Wunsch nach engeren Beziehungen sollte nicht zu Lasten der Menschenrechte gehen."

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon warf der Bundesregierung vor, "wirtschaftspolitische Interessen über Menschenrechte und demokratische Mindeststandards" zu stellen. "Ohne jede Schamfrist belohnt die Regierung Präsident Nasarbajew nun mit einem Staatsempfang in Berlin und der Unterzeichnung einer Rohstoffpartnerschaft", sagte von Cramon. Sie hatte im Januar die umstrittene Parlamentswahl in Kasachstan als Beobachterin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) begleitet. Die Wahlen waren international als undemokratisch kritisiert worden.

Konzept zum Umgang mit "neuen Gestaltungsmächten"

Die Bundesregierung ficht das nicht an. Vor dem Treffen Merkels mit Nasarbajew verabschiedete das Kabinett am Mittwoch ein Konzept zum Umgang mit "neuen Gestaltungsmächten", auch im Hinblick auf "Energie- und Rohstoffpartnerschaften". Zu den Adressaten gehören aufstrebende Länder wie die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), aber auch Länder wie Vietnam, Kolumbien, Nigeria oder eben Kasachstan.

Zu Menschenrechtsverletzungen in den genannten Ländern heißt es in dem Konzept, das von Außenminister Guido Westerwelle angeregt worden war, die Gültigkeit der Menschenrechte stehe für die Bundesregierung "außer Frage". Dauerhafte Fortschritte könnten aber "nur auf der Grundlage gegenseitigen Respekts" erreicht werden.

Mit Material von dpa, AFP und Reuters

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