AußenpolitikJetzt kommt die Nationale Sicherheitsstrategie

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Bundeskanzler Olaf Scholz stellte mit den Kabinettsmitgliedern Annalena Baerbock, Christian Lindner, Nancy Faeser und Boris Pistorius die beschlossene Nationale Sicherheitsstrategie vor.
Bundeskanzler Olaf Scholz stellte mit den Kabinettsmitgliedern Annalena Baerbock, Christian Lindner, Nancy Faeser und Boris Pistorius die beschlossene Nationale Sicherheitsstrategie vor. (Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Sie umfasst laut Bundesregierung auch den Weltraum, sowie die Sicherung von Energie, Rohstoffen und Nahrung. China wird als systemischer Rivale betrachtet. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato soll ab 2024 eingehalten werden.

Von Daniel Brössler, Paul-Anton Krüger und Nadja Lissok, Berlin

Was lange währt, wird endlich gut - so lässt sich das wohl aus Sicht der Ampelkoalitionäre über die Nationale Sicherheitsstrategie sagen. Die Bundesregierung hat nach monatelangen Verhandlungen das 40 Seiten umfassende Papier beschlossen. Im Anschluss stellten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Strategie in Berlin vor, im Beisein der Ressortchefs Verteidigung und Inneres, Boris Pistorius und Nancy Faeser (beide SPD).

Der Kanzler mit gleich vier Kabinettsmitgliedern - das ist eine außergewöhnliche Mannschaftsstärke in der Bundespressekonferenz. Vielleicht soll die aufwändige Präsentation etwas vergessen machen, dass die Fertigstellung des Papiers eigentlich schon für Februar angekündigt war. Zum Auftakt der Pressekonferenz bezeichnet Scholz die Verabschiedung der Strategie als "ungewöhnliche und wichtige Entscheidung".

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"360-Grad-Perspektive" für die Sicherheit

Laut Außenministerin Baerbock ziehen sich die Herausforderungen für die Sicherheit Deutschlands durch alle Lebensbereiche, das gelte für sauberes Wasser morgens beim Duschen, für Chats und soziale Netzwerke im Internet und für Medikamente in der Apotheke. "Die Sicherheitsstrategie wird nur funktionieren, wenn wir sie europäisch und transatlantisch verankern", fügt sie hinzu. Lindner spricht von einer "360-Grad-Perspektive", die die Sicherheit Deutschlands brauche. Alle Ressorts der Bundesregierung müssten dazu ihren Beitrag leisten.

Vor der Präsentation dämpften Regierungsvertreter schon seit einiger Zeit die Erwartungen. Revolutionen seien nicht zu erwarten. In einer Zusammenfassung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, bekennt sich die Bundesregierung zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato, allerdings nur mit der verwaschenen Formulierung "im mehrjährigen Durchschnitt". Das Ziel der Nato ist, dass alle Bündnisstaaten spätestens von 2024 an jährlich mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung ausgeben. Für dieses Jahr rechnet man in Deutschland mit einem BIP-Anteil von 1,6 Prozent, immer noch deutlich unter der eigentlichen Zielmarke. Im nächsten Jahr, so Lindner, sei es die Absicht der Bundesregierung, tatsächlich zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für das Nato-Ziel zur Verteidigung auszugeben.

Auch Energie, Klimakrise und Ernährung gehören zur Strategie

Laut Zusammenfassung erhebt die Strategie den Anspruch, "in einem systematischen Gesamtansatz anhand eines breiten Sicherheitsbegriffs" Maßnahmen einzuleiten. Sicherheit geht nach Ansicht der Bundesregierung über Bundeswehr und Landesverteidigung hinaus und umfasst beispielsweise auch Weltraumsicherheit, den Umgang mit der Klimakrise und die Sicherung von Energie, Rohstoffen und Nahrung. Die Spionage- und Sabotageabwehr soll gestärkt werden.

Die Passagen zu China sind nicht Teil des vorab veröffentlichten Papiers und orientieren sich dem Vernehmen nach am Dreiklang, den die EU schon 2019 formuliert hat. China wird einerseits als Partner in wichtigen Fragen wie dem Klimaschutz definiert und als wirtschaftlicher Wettbewerber, aber vor allem auch als systemischer Rivale. Die letzte Dimension sei jene, die künftig deutlich in den Vordergrund treten werde, ist zu hören. Allerdings sind die operativen Details der Chinapolitik in dem Papier nicht ausgeführt - die Bundesregierung arbeitet für das Land an einer eigenen Strategie, die in den kommenden Monaten veröffentlicht werden soll.

Baerbock sagte bei der Pressekonferenz, dass es im Umgang mit Peking kein Schwarz-Weiß-Denken gebe. Man habe mit China fundamentale Differenzen etwa bei Fragen der Demokratie, aber brauche die Zusammenarbeit etwa im Kampf gegen den Klimawandel.

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Aus der Koalition heißt es, der Text sei im Wesentlichen schon im März fertig gewesen mit seinen drei Schwerpunkten Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit. Zuletzt gab es allerdings noch Streitpunkte bei der Cyberabwehr. Da orientiere sich das Dokument am Koalitionsvertrag, der einen aktiven Hackback ausschließt, also Gegenangriffe bei einer Cyberattacke, wie es Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im Gegensatz zu Baerbock und Faeser unter Berufung auf die Vereinbarung verlangt hatte.

Kein Nationaler Sicherheitsrat nach US-Vorbild

Keine Klarheit schafft die Sicherheitsstrategie offenbar in der heiklen Frage des Rüstungsexports. Gedanklich ist in der Bundesregierung im Zuge der Zeitenwende hier aber schon ein Wandel vollzogen worden - weg von einer restriktiven Politik gegenüber Partnern wie Indien. Sie sollen möglichst aus der Umarmung Russlands gelöst werden, auch durch Waffenlieferungen, die sie unabhängiger machen von Moskau. In der Zusammenfassung der Sicherheitsstrategie ist von einer Harmonisierung der europäischen Rüstungsexportkontrolle die Rede.

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Neue Institutionen und Strukturen werden durch die Strategie nicht geschaffen. So konnte sich die vor allem die von der FDP forcierte Idee eines Nationalen Sicherheitsrats, wie es ihn etwa in den USA gibt, nicht durchsetzen. Hervorgehoben wird vor allem die Freundschaft zu Frankreich, die Partnerschaft mit den USA, die Verankerung in Europäischer Union und Nato sowie die Treue zu den Prinzipien der UN.

Eine neue Qualität hat am ehesten die Betonung der Resilienz. Deutschland will vorbereitet sein, wenn etwa China versucht, mit Hilfe seiner wirtschaftlichen Macht Druck auszuüben. Das gilt für den Schutz kritischer Infrastruktur, aber auch für eine stärkere Diversifizierung bei Lieferanten und Abnehmern. Wie wichtig das sei, betont Kanzler Scholz immer wieder. Für ihn ist die nun endliche fertige Strategie auch so etwas wie ein Geschenk an sich selbst. Er feiert an diesem Mittwoch seinen 65. Geburtstag.

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