Bundesregierung:Zwischen Kita-Besuch und Spatenstich

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Gemeinsam mit der Berliner Umweltsenatorin Bettina Jarasch eröffnet Landwirtschaftsminister Cem Özdemir die dritte Bodenzustandserhebung in Grunewald. (Foto: Metodi Popow/Imago)

Wie die Ampelkoalition versucht, auch in Kriegszeiten ihr Tagesgeschäft nicht ganz zu vernachlässigen.

Von Boris Herrmann, Berlin

Seit man in Deutschland wieder mit der Lektüre des aktuellen Frontberichts den Tag beginnt, seit in politischen Debatten die drohende Apokalypse mitgedacht werden muss, seither wirkt das sogenannte Tagesgeschäft der Bundesregierung relativ klein und unbedeutend.

Aber das heißt ja nicht, dass deshalb keine Haushaltspläne mehr entworfen, keine gleichwertigen Lebensverhältnisse mehr sichergestellt, kein Digitalisierungsaufwand mehr im Steuerrecht transparent gemacht und vor allem kein Klimawandel mehr gestoppt und keine Virenvarianten mehr besiegt werden müssten.

Die Kabinettsmitglieder - zumal jene, die gerade nicht so im Fokus des Kriegsgeschehens stehen - wollen sich jedenfalls nicht nachsagen lassen, sie vernachlässigten wegen Putin ihren Regierungsalltag.

Am 19. Tag des Krieges in der Ukraine steht deshalb Bettina Stark-Watzinger (FDP) vor einer frisch angerührten Matschsuppe. "Da haben wir aber schön was zu filtern", sagt sie. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung hat den "Internationalen Stell-eine-Frage-Tag" zum Anlass genommen, um mit den Kindern der Kita "Kleine Füße - Naseweis" in Berlin ein wissenschaftliches Experiment durchzuführen. Stark-Watzinger ist der Meinung, dass es "gerade jetzt" wichtig sei, Kindern zuzuhören, sie für die naturwissenschaftlichen Fächer zu begeistern und sie Fragen stellen zu lassen. Die erste Frage im Kita-Hinterhof stellt aber die Ministerin: "Wisst ihr denn, warum wir heute hier sind und was heute für ein Tag ist?"

Ein Mädchen, das in einem Ganzkörper-Skianorak steckt, antwortet: "Montag."

Die Kinder haben mit ihren Erziehern vorab eine Wasserreinigungsanlage gebaut. Sie haben eine Plastikflasche abgeschnitten und diese schichtweise mit grobem Kies, feinem Sand und Kaffeefiltern befüllt. Da kippt der kleine Oskar jetzt eine Schöpfkelle Matschsuppe hinein. Und siehe da - nach einer kleinen Verzögerung ("Vorführeffekt") tröpfelt tatsächlich klares Wasser unten raus. Oskar sagt zur Ministerin: "Weißt du, Giraffen fressen Stöcke."

Die Frage von Mia ist tatsächlich eine Frage: "Wem gehört das Wasser eigentlich?" Stark-Watzinger antwortet, dass das Wasser ja unter der Erde sei und uns allen gehöre. "Und was, wenn es mal alle ist?" Die Bildungsministerin erklärt jetzt das Prinzip der Verdunstung und dass man das Klima schützen müsse, damit das Wasser nicht knapp werde.

Sie macht das gut, man spürt, dass sie selbst zwei Töchter hat. Später wird sie zugeben, dass eine Regierungsbefragung im Bundestag trotzdem einfacher sei als solch eine Kita-Befragung. In ihrem Ministerium wurde bis zum Schluss überlegt, ob dieser Termin angesichts der Weltlage stattfinden soll. Stark-Watzinger aber findet: "Die anderen Themen, die wichtig sind, müssen ja weiterlaufen."

Der 21. Kriegstag ist auch der 99. Tag der Ampelkoalition - und es ist gleichzeitig der erste Tag, an dem Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Amt eine abendliche "Empfangsgelegenheit" wahrnimmt, wie er das ausdrückt. Dass diese Ehre nun ausgerechnet dem jährlichen Frühjahrsempfang des Deutschen Hausärzteverbandes zuteil wird, hat Traditionsgründe. Lauterbach sagt in seinem Grußwort: "Ich weiß, dass hier nicht immer der Minister erschienen ist. Aber ich bin schon immer erschienen, als ich noch nicht Minister war."

Im Grunde, so Lauterbach, führe er derzeit drei Ministerien

Man schiebt sich bei dieser Hausärzte-Gala am Berliner Gendarmenmarkt auf dicken Teppichen eng aneinander vorbei, immer ein wenig von der Angst geplagt, eine der sicherlich nicht ganz billigen Zier-Vasen umzustoßen. Ach so, und die andere Angst, die da mal war? Verbandschef Ulrich Weigeldt hatte zur Begrüßung zwar noch ins Mikro gesagt: "Und vergessen Sie nicht ganz alle Hygieneregeln." Aber da waren sie offenbar schon größtenteils vergessen. Die Maskenquote liegt an diesem Abend jedenfalls weit unter der Fünf-Prozent-Hürde. Der Barkeeper trägt eine, Lauterbach und Lauterbachs Bodyguard.

Es ist den Hausärzten ja auch zu gönnen, dass sie es mal ein bisschen krachen lassen nach gut zwei Jahren Corona-Stress. Auch für Leute, die ungern vor die Tür gehen, um zu rauchen, ist diese Party übrigens ein Geheimtipp. Bloß der Minister scheint mit seinen Gedanken schon wieder in der nächsten Studie zu stecken. In seiner Rede wimmelt es nur so von Impfstrategien, elektronischen Patientenakten und vollen GKV-Leistungskatalogen.

Im Gegensatz zu einigen seiner Kabinettskolleginnen und -kollegen kann sich Lauterbach nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen. Er beklagt sich eher über seine Triple-Belastung. Im Grunde, sagt er, führe er derzeit drei Ministerien: eines für den Normalbetrieb, eines für die Pandemie, "und jetzt kommt auch noch eines dazu für die Bewältigung der Krise in der Ukraine". Vielleicht schon mal ein Lachstatar-Häppchen gefällig? Lauterbach winkt ab. Als dann das große Hausärzteverbands-Büffet um kurz nach neun für eröffnet erklärt wird, ist der Stargast des Abends schon wieder auf dem Sprung.

"Mehr Weckruf geht nicht"

Am 22. Kriegstag schnappt sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) einen Spaten und entnimmt dem Berliner Grunewald eine Bodenprobe. Gut eine Stunde vorher hatte er im Bundestag noch direkt unter der Leinwand gesessen, auf der die unvergessliche Mauer-Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij an die Deutschen ausgestrahlt wurde. Jetzt widmet sich Özdemir schon wieder dem nationalen Waldboden-Monitoring. Das ist für das weitere Schicksal der Menschheit wahrscheinlich wichtiger, als es klingt. Dennoch muss man so schnell wie Özdemir erst einmal umschalten können. Er trägt jetzt im Wald eine olivgrüne Multifunktionsjacke zu seinen Hochglanz-Lederschuhen und sagt: "Nutzen wir das jetzt endgültig als Weckruf. Mehr Weckruf geht nicht." Damit, man ahnt es, ist keineswegs das Ergebnis seiner aktuellen "Bodenzustandserhebung" gemeint.

In normalsterblichen Zeiten gehören Kitabesuche, Frühjahrsempfänge und symbolische Spatenstiche zu den alltäglichsten Alltagsgeschäften von Spitzenpolitikern. In dieser Zeit glauben sie sich offenbar rechtfertigen zu müssen, wenn sie sich ausnahmsweise mal nicht um Putin, sondern um die Kinder, die Hausärzte oder die Wälder kümmern. Und am Ende reden sie dann doch wieder über den Krieg.

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