Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Klare Absage ans Tempolimit

Beim Klimaschutz gebe es "intelligentere" Methoden als neue Geschwindigkeitsregeln, erklärt der Sprecher der Kanzlerin. Umweltministerin Schulze weist die Kritik an den Feinstaub-Grenzwerten zurück.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Die Bundesregierung hat sich gegen ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen ausgesprochen. Dies stehe nicht im Koalitionsvertrag, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Im Übrigen gebe es schon jetzt "auf einem großen Teil" des deutschen Straßennetzes Geschwindigkeitsregelungen: "Es gibt auch noch intelligentere Steuerungsmöglichkeiten als ein allgemeines Tempolimit."

Eine Expertenkommission des Verkehrsministeriums hatte zuvor ein generelles Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde erwogen, um klimaschädliche Emissionen des Straßenverkehrs zu senken. Auch Experten für Verkehrssicherheit sprachen sich dafür aus. Bislang gelten Begrenzungen nur auf einem Drittel der Autobahnen. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte die Idee verworfen. Auch im Umweltministerium hat sie keinen Rückhalt. Ein Tempolimit bringe für die Klimabilanz nur wenig, sagte ein Sprecher. Es handle sich nicht um ein "herausragendes Instrument für den Klimaschutz". Offen bleibt, wie die Emissionen reduziert werden sollen. Im Verkehr war der Ausstoß von Treibhausgasen in den vergangenen Jahren nicht gesunken. Vorgaben der Regierung sehen aber eine Reduktion von mindestens 40 Prozent bis 2030 vor. Auch in den Streit um Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid will das Kanzleramt eingreifen. Nach dem Willen der Bundesregierung soll sich die Leopoldina, die nationale Akademie der Wissenschaften, die Gefährlichkeit von Dieselabgasen klären. Die Akademie werde eine Arbeitsgruppe auf den Weg bringen, sagte Präsident Jörg Hacker der Süddeutschen Zeitung. Zuvor hatte eine Gruppe von 100 Lungenärzten in einem Papier Grenzwerte für saubere Luft attackiert. Für solche Werte gebe es "keine wissenschaftliche Begründung".

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) kritisierte diesen Vorstoß scharf. "Es werden viele Fakten verdreht und Menschen verunsichert", sagte sie. Die Grenzwerte dienten der Vorsorge und der sozialen Gerechtigkeit: "An Straßen mit schlechter Luft wohnen oft Bürgerinnen und Bürger mit geringem Einkommen." Zudem würden die Grenzwerte regelmäßig überprüft - ohne dass sie je abgemildert wurden.

Auch Lungenärzte und das Umweltbundesamt wiesen die Kritik an den Grenzwerten zurück. Feinstaub und Stickoxide seien nie allein Krankheitsursache, sagte der Lungenarzt Christian Witt, der den Fachbereich Pneumologie am Berliner Klinikum Charité leitet. Sie verschärften aber Vorerkrankungen. "Einem schwer kranken Lungenpatienten wird man nicht empfehlen, am Neckartor zu wohnen", sagte er mit Blick auf eine stark belastete Straße in Stuttgart. Es sei sogar unklar, ob der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter Luft ausreiche: "Die Daten geben eher Anlass dazu, den Grenzwert nach unten anzupassen." Das Umweltbundesamt hatte 2018 eine Studie vorgelegt, nach der sich 6000 vorzeitige Todesfälle überhöhten Stickoxidwerten zuordnen lassen. Dies gelte weiter, sagte Amtschefin Maria Krautzberger. Statt Grenzwerte zu hinterfragen, "sollten wir uns darauf konzentrieren", Autos sauber zu bekommen.

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SZ vom 29.01.2019
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