Bundesregierung:"Ich will, dass wir die Erderhitzung mit demokratischen Mitteln bekämpfen"

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Das Kabinett verabschiedet den Großteil seines Klimaschutzpakets, Umweltministerin Svenja Schulze verteidigt das Ergebnis.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die Verhandlungen waren zäh, am Mittwoch morgen aber lieferte die große Koalition: Das Bundeskabinett verabschiedete in Berlin den größten Teil des geplanten Klimaschutzpakets. Herzstück ist der Einstieg in die Bepreisung des Ausstoßes von CO₂ im Verkehr, in der Landwirtschaft und in Gebäuden. "Es war ein steiniger Weg von den vielen Neins bis zum heutigen Ja im Kabinett", räumte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) kurz danach ein, als sie die Beschlüsse vorstellte.

In einem ungewöhnlichen Appell rief Schulze dazu auf, Klimaschutz und Demokratie zusammen zu denken. Demokratische Prozesse erforderten Zeit, aber sie verbänden Interessen und sorgten dafür, dass viele mitgenommen würden. "Ich will, dass wir die Erderhitzung mit demokratischen Mitteln bekämpfen." Nicht Wissenschaftler hätten zu entscheiden, sondern Regierungen und Parlamente.

Deutschland sei "weltweit das erste Land", das sich einen derart strikten und verpflichtenden Fahrplan zur Treibhausgasneutralität bis 2050 gegeben habe, sagte Schulze. Der Ausstoß von CO₂ bekomme erstmals einen Preis; effizientes Heizen werde gefördert. Braun- und Steinkohlekraftwerke würden planmäßig abgeschaltet, Benziner, Diesel und Spritschlucker schrittweise teurer. Die Zeiten, in denen die Umweltministerin anderen Ministerien "auf die Füße treten und bitte, bitte sagen musste", seien vorbei. Ab sofort seien alle für Klimaschutz zuständig.

Konkret verabschiedete das Kabinett das Bundes-Klimaschutzgesetz sowie das Klimaschutzprogramm 2030, das dazu beitragen soll, dass Deutschland bis 2050 weitgehend klimaneutral sein wird. Was weiterhin fehlt, sind alle Steuergesetze, die den Klimaschutz betreffen, wie die Ausweitung der Pendlerpauschale, die Absenkung der Mehrwertsteuer für die Bahn sowie die höhere Flugverkehrsteuer. Details in der Umsetzung sind noch strittig, sie sollen bis Ende 2019 vorliegen.

Einer der wichtigsten Paragrafen des Klimaschutzgesetzes ist Nummer Vier. Darin wird festgelegt, welche Jahresmengen an CO₂ die Sektoren Energie, Industrie, Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude sowie Abfallwirtschaft ausstoßen dürfen. Die jeweiligen Bundesministerien sind dafür verantwortlich, dass die CO₂-Mengen wie festgelegt sinken. Werden die zulässigen Jahresmengen überschritten, muss die Differenz auf die folgenden Jahre übertragen werden. Gelingt es einem Sektor, mehr zu reduzieren als geplant, kann dieser Bereich Ausstoßmengen aus anderen Sektoren übernehmen. Schulze zufolge soll die Einhaltung "regelmäßig" überprüft werden.

Umweltverbände und Klimaaktivisten hatten in den vergangenen Tagen die Möglichkeit, Emissionsmengen zwischen den Bereichen zu tauschen, als "Verschiebebahnhof" kritisiert. Schulze wies dies zurück; tauschen sei ausdrücklich nur möglich, wenn es für überschüssige Mengen einen Tauschpartner gebe, der diese abnehmen könne, weil er weniger emittiert habe als erlaubt. Entscheidend sei zudem, so die Umweltministerin, dass der neue gesetzliche Mechanismus von Kontrolle und Korrektur zum "Nachschärfen" zwinge. Das gelte auch für den CO₂-Preis. Der jetzt geplante Einstieg in Höhe von zehn Euro pro Tonne ausgestoßenem CO₂ sei zwar geringer, als sie es sich selbst gewünscht habe, sagte Schulze. Am wichtigsten sei aber, dass der Einstieg in die Bepreisung gelungen sei. Das sei im Februar politisch undenkbar gewesen.

Das Klimaschutzprogramm listet auf mehr als 170 Seiten Ziele und Maßnahmen auf. Auffällig ist, dass das Bekenntnis, bis 2050 in Deutschland weitgehend klimaneutral zu leben, recht vage formuliert ist. Deutschland setze sich "mit den meisten Mitgliedsstaaten für das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 in Europa ein", ist vermerkt. Etwas konkreter wird es beim Ausbau der erneuerbaren Energien: Bis 2030 soll erneuerbar erzeugter Strom "einen Anteil von 65 Prozent am Bruttostromverbrauch ausmachen", legt sich die große Koalition fest. 2018 waren es 38 Prozent; 2050 sollen es mindestens 80 Prozent sein. Genaue Ausbaupfade für Windkraft oder Photovoltaik finden sich aber nicht. Der Bund will selbst zum Vorbild werden: Seine Verwaltung soll bis 2030 klimaneutral arbeiten.

© SZ vom 10.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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