Neue Regierung:Was Merkel und ihre Minister nun leisten müssen

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Die Koalition in Berlin steht. Doch jetzt wird und muss der Streit um die Zukunftsfragen des Landes erst beginnen - fair, produktiv und um der Sache willen.

Kommentar von Ferdos Forudastan

Das Lächeln dürfte den neuen Partnern der großen Koalition bald vergehen. Das liegt an der Fülle der Herausforderungen, die vor ihnen liegen. Es liegt außerdem daran, dass Konflikte zwischen CDU, CSU und SPD absehbar sind. Und das hat auch sein Gutes. Die Bündnispartner müssen zwar rasch damit beginnen, möglichst gut zusammenzuarbeiten. Aber eine gute Zusammenarbeit schließt den Streit nicht nur nicht aus - sie schließt ihn ein.

Gewiss, die große Koalition plant nicht, das Übel sozialer Schieflagen an der Wurzel zu packen. Aber sie stellt sich einer Reihe von Aufgaben, die, sorgsam abgearbeitet, den Alltag etlicher Menschen etwas erleichtern würden: Pflegebedürftige und ihre Angehörigen gehören dazu, Rentner, Familien, Schüler oder Wohnungssuchende.

Die Koalitionspartner haben gute Gründe, fair und fruchtbar miteinander zu streiten

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Doch selbst wenn es Schwarz-Rot gelänge, die Vorhaben des Koalitionsvertrages zügig in die Tat umzusetzen, blieben bis auf Weiteres große Fragen offen: Wie lässt sich die Digitalisierung so gestalten, dass sie nicht nur viele bisherige Arbeitsplätze kostet, sondern auch viele neue bringt? Wie kann man in Zeiten um sich greifender Re-Nationalisierung am Ziel eines immer stärker zusammenwachsenden Europa festhalten? Wie begegnet man einem verrückten US-Präsidenten auf vernünftige Weise? Wie geht man mit der wachsenden Wut auf Politik und demokratische Institutionen um und was setzt man dem wuchernden Misstrauen gegen Parteien entgegen? Was unternimmt man, um die wachsende Unsicherheit, Nervosität und Zukunftsangst vieler Menschen aufzufangen, darunter auch solcher Menschen, denen es eigentlich recht gut geht?

Antworten werden Union und SPD so rasch nicht finden. Darin gleichen sie der vorigen großen Koalition. Aber anders als ihre Vorgängerin wird die neue Regierung solchen Fragen nicht mehr aus dem Weg gehen können. Sie sind zu drängend geworden. Sie untergraben, je länger sie nicht gestellt werden, immer schneller und stärker die Autorität der Verantwortlichen, die sie auszublenden versuchen. Und sie spielen, solange Union und SPD ihnen ausweichen, der AfD in die Hände.

Diese Fragen zu stellen bedeutet für die neue Koalition freilich auch, öfter als bisher Streit zu riskieren - Streit, der an Schärfe gewinnen könnte, weil Union und SPD unter deutlich mehr Druck stehen als noch vor einigen Jahren. In der CDU hat die Endphase der Ära von Angela Merkel begonnen. Um sich zu profilieren, müssen ihre potenziellen Nachfolger auffallen. Und das geht für gewöhnlich am leichtesten, indem man streitet. Die SPD wiederum ist in einer existenziellen Krise. Sie muss beweisen, dass sie ihr Versprechen, sich zu erneuern, ernst nimmt; sie muss die starke Minderheit der Koalitions-Gegner in den eigenen Reihen besänftigen. Auch das gelingt nicht ohne Streit mit der Union.

Die Regierungsmitglieder sind immer noch so unterschiedlich, dass sie streiten können

Wirtschaftsliberale in den Reihen der CDU schauen anders auf die Folgen von Globalisierung und Digitalisierung als gewerkschaftsnahe Sozialdemokraten. Konservative CSU-Politiker, denen die Konkurrenz von rechts immer mehr Sorgen macht, haben in der Flüchtlingsfrage eine andere Haltung, als internationalistisch sozialisierte Amts-, oder Mandatsträger der SPD, die um ihre letzten Sympathisanten im linksliberalen Milieu fürchten. Die neuen Regierungsmitglieder sind bei allen Gemeinsamkeiten immer noch so unterschiedlich, dass sie streiten können. Sie haben es mit so wichtigen Fragen zu tun, dass sie - fair in der Form und fruchtbar in der Sache - darüber streiten sollten.

Nur müssen sie es auch wollen. In den vergangenen Jahren ist dieser Streit um richtige Antworten auf wichtige Fragen oft zu kurz gekommen. Streckenweise ist er ganz ausgeblieben. Dominiert hat, außer in den Hochphasen der Wahlkämpfe, das große Einerlei. Und das Publikum hatte zusehends Mühe, das Profil des einen vom Profil des anderen zu unterscheiden. Auch so etwas nährt den Verdruss an Politik. Und es leistet Populisten Vorschub.

CDU, CSU und SPD werden auch in den nächsten Jahren viele Kompromisse schließen müssen; anders könnten sie gar nicht gemeinsam regieren. Aber der Wert dieser Kompromisse bleibt verborgen, wenn vorher kein Konflikt zu erkennen ist. Konkurrenz belebt das Geschäft - auch das der neuen Koalition.

© SZ vom 14.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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