Krieg in der Ukraine:300 Euro für Erwerbstätige, Sprit und ÖPNV werden billiger

Krieg in der Ukraine: Die Parteichefs von SPD, FDP und Grünen - Lars Klingbeil, Christian Lindner und Ricarda Lang (von links) geben die Details des Entlastungspakets bekannt.

Die Parteichefs von SPD, FDP und Grünen - Lars Klingbeil, Christian Lindner und Ricarda Lang (von links) geben die Details des Entlastungspakets bekannt.

(Foto: Michele Tantussi/Reuters)
  • Jeder steuerpflichtige Erwerbstätige bekommt eine Einmalzahlung von 300 Euro.
  • Für jedes Kind gibt es vom Staat einmalig 100 Euro.
  • Empfänger von Sozialleistungen erhalten eine Einmalzahlung von 200 Euro.
  • Die Energiesteuer wird beim Diesel um 14 Cent und bei Benzin um 30 Cent gesenkt - für drei Monate.
  • Im öffentlichen Nahverkehr soll für 90 Tage überall ein Monatsticket für neun Euro angeboten werden.

Von Juri Auel, Kassian Stroh und Mike Szymanski

Die Menschen in Deutschland sollen wegen steigender Preise im laufenden Jahr einmalig mit einer Energiepreispauschale von 300 Euro entlastet werden. Darauf haben sich die Spitzen der Koalition aus SPD, Grünen und FDP verständigt, wie aus einem in Berlin veröffentlichten Papier hervorgeht. Gezahlt werden soll das Geld allen steuerpflichtigen Erwerbstätigen, es muss aber versteuert werden. Zudem sollen die Spritpreise um 30 Cent pro Liter beim Benzin und 14 Cent beim Diesel gesenkt werden - über eine Senkung der Energiesteuer für drei Monate.

Auch der öffentliche Personennahverkehr soll günstiger werden: Die Koalition will für 90 Tage ein Ticket für neun Euro pro Monat für den ÖPNV einführen. Dazu soll der Bund entsprechende Zuschüsse an die Bundesländer zahlen. "Zur Abfederung besonderer Härten für Familien" werde man "schnellstmöglich" für jedes Kind einen Einmalbonus in Höhe von 100 Euro auszahlen, heißt es in dem Papier. Das werde auf den Kinderfreibetrag angerechnet. Empfänger von Sozialleistungen sollen eine weitere Einmalzahlung bekommen: Zusätzlich zu den bereits beschlossenen 100 Euro sollen pro Person weitere 100 Euro ausgezahlt werden.

Damit will die Bundesregierung die Menschen in Deutschland finanziell entlasten. Denn nicht zuletzt wegen des Krieges in der Ukraine sind die Energiepreise zuletzt stark gestiegen. Was all die Beschlüsse den Bund kosten werden, könne man noch nicht beziffern, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Er rechne mit einer Größenordnung wie beim ersten Entlastungspaket, auf das sich die Ampelkoalition Ende Februar geeinigt hatte. Damals hatte er von einem "deutlich zweistelligen Milliardenbetrag" gesprochen, zuletzt meist von 14 bis 16 Milliarden Euro.

Zugleich wollen SPD, Grüne und FDP neue Vorgaben erlassen, um den Energieverbrauch in Deutschland zu senken. Von Anfang 2023 an soll der Effizienzstandard 55 bei allen Neubauten vorgeschrieben werden. Von 2024 an soll "möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden", wie es in dem Beschlusspapier heißt. Auch das Programm, mit dem der Austausch alter Gasheizungen gefördert wird, will die Bundesregierung verbessern.

Menschen und Wirtschaft müssten "kurzfristig und befristet" vor den Folgen der steigenden Energiepreise geschützt werden, sagte Lindner bei einer Pressekonferenz am Vormittag. SPD-Chef Lars Klingbeil betonte, die Regierung habe mit dem zweiten Entlastungspaket "ein wichtiges Zeichen" gesetzt - soziale Härten würden abgefedert. Ricarda Lang, Vorsitzende der Grünen, betonte insbesondere die Beschlüsse zur Energieeffizienz. Es gehe um den Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energien - zudem mache die Koalition das Bus- und Bahnfahren "so billig, wie es noch nie war".

Von der Opposition kam prompt Kritik: "Das Ampel-Paket bleibt hinter den Erwartungen zurück - zu wenig, zu kompliziert, nur für kurze Zeit und keine echte Entlastung der Wirtschaft", schrieb CSU-Chef Markus Söder auf Twitter. Nötig sei stattdessen eine Senkung der Mehrwertsteuer. Offenkundig sei es nicht um eine zielgerichtete Entlastung gegangen, sondern darum, "dass für jeden der Ampelpartner etwas dabei ist", sagte Mathias Middelberg (CDU), Vize der Unionsfraktion im Bundestag. Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der Linken, bezeichnete die Pläne als "inkonsequent und sozial blind". Schlecht sei, dass es die 300 Euro Energiepreispauschale "auch für Millionäre" gebe, während Sozialleistungsbezieher nur 100 Euro erhielten.

Dass die Energiesteuer nur für drei Monate gesenkt werden soll, sei aus Sicht vieler Betriebe nur ein Tropfen auf den heißen Stein und könne der besonders stark betroffenen Industrie ohnehin nicht helfen, sagt Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Die historisch hohen Strom- und Energiepreise bedrohten viele deutsche Unternehmen in ihrer Existenz. "Teilweise war es bereits vor dem Krieg in der Ukraine aufgrund der hohen Energiepreise betriebswirtschaftlich sinnvoller, Maschinen und Anlagen abzustellen anstatt zu produzieren."

Erst am Morgen stand die Einigung

Die Einigung der Koalitionäre erfolgte nach einer langen Sitzung erst am Morgen. Eigentlich hätte es das unter der Ampelregierung nicht mehr geben sollen: SPD, Grüne und FDP versicherten zum Start ihres Bündnisses, sie würden - anders als die Vorgängerregierung - auf quälend lange Nachtsitzungen verzichten. Wenn zentrale Entscheidungen fürs Land anstünden, dann sei es besser, wenn solche ohne dunkle Ringe unter den Augen fallen.

Und so markiert die Nacht auf Donnerstag auch einen Einschnitt für das koalitionäre Miteinander: Um 21 Uhr hatten sich Spitzenvertreter von SPD, Grünen und FDP im Kanzleramt zusammengesetzt. Das Ziel: Die Bürgerinnen und Bürger von den rasant steigenden Energiekosten zu entlasten und wenigstens einen Teil der Härten, die damit verbunden sind, zu kompensieren. Bis fast acht Uhr am Morgen dauerte es, bis eine Einigung erzielt wurde. Das ist schon keine Nachtsitzung mehr, sondern eine Einigung in der Afterhour.

Vor dem Treffen der Koalitionsspitzen hatte eine Arbeitsgruppe aus Parteivertretern über Entlastungen verhandelt, aber keine Einigung erzielt. Ein mehrseitiges Entwurfspapier beschrieb Entlastungsansätze aus Sicht aller drei Parteien: Die FDP war die Senkung der Benzinpreise wichtig, SPD und Grüne wünschten sich ein zielgerichteteres Vorgehen, als alle Autofahrer - vor allem ungeachtet des Verbrauchs der Fahrzeuge - direkt an der Tankstelle zu entlasten.

Die Koalition hatte sich bereits Ende Februar auf Entlastungen verständigt. Der Strompreis soll durch die vorzeitige Abschaffung der sogenannten EEG-Umlage zur Ökostromförderung sinken, die Pendlerpauschale für weitere Fahrten zum Arbeitsort wurde rückwirkend angehoben, bestehende Unterstützungsleistungen vom Staat wurden ebenfalls angehoben beziehungsweise Einmalzahlungen in Aussicht gestellt. Jedoch kamen schnell Zweifel auf, ob die Vorhaben ausreichten, die Preissteigerungen auch nur annähernd abzufedern.

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