Am Ende fanden sogar die Generalsekretäre die Ergebnisse zu banal. Normalerweise stellen sich nach Sitzungen des Koalitionsausschusses Hermann Gröhe, Alexander Dobrindt und Patrick Döring vor die Kameras und preisen die Resultate. Doch diesmal verschwanden selbst diese drei ohne Statements in die Berliner Nacht.
Zu mager waren die Beschlüsse: Da hatte sich die Spitze der wichtigsten Regierung Europas getroffen - und das meldenswerteste Ergebnis war die Förderung eines kleinen Neonazi-Aussteiger-Programms. Ein paar Hunderttausend Euro soll die Initiative jetzt bekommen, mit solch kleinen Summen befasst sich normalerweise bestenfalls die dritte Ebene. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, hat ihn die Koalition am Donnerstagabend erbracht: Die Regierung hat aufgehört zu regieren.
Egal ob Rente, Mindestlohn, Klimaschutz, Ökostrom-Reform, Gleichstellung der Homo-Ehe oder Frauenquote - Union und FDP bringen nichts Wichtiges mehr zustande. Besonders deutlich zeigt sich das bei einem für Millionen Bürger existenziellen Thema: der Altersversorgung. Es ist keine fünf Monate her, dass die Koalition beschlossen hat, noch in dieser Legislatur eine Lebensleistungsrente einzuführen. Doch davon will jetzt keiner mehr etwas wissen. Und noch vor zwei Wochen hat Unionsfraktionschef Volker Kauder einen "signifikanten Einstieg" in die Erhöhung der Mütterrenten versprochen. Auch den wird es jetzt nicht mehr geben.
Ohne die alles übertünchende Euro-Krise könnten Union und FDP das morsche Gebälk der Koalition schon lange nicht mehr verstecken. Zu groß sind die Unterschiede zwischen den Partnern geworden. Im Rentenstreit haben es CDU und CSU noch nicht einmal geschafft, sich auf eine unionsinterne Position zu verständigen - von einem Kompromiss mit den Liberalen ganz zu schweigen. Stattdessen haben CDU und CSU in einem dreisten Akt der Vorwärtsverteidigung den Deutschen jetzt versprochen, sie nach der Wahl gleich mit beidem zu beglücken: der Lebensleistungsrente und höheren Mütterrenten. Die Angebote der zyprischen Regierung an die Europäer sind nur unwesentlich unseriöser.
Die Koalition hat ihre Kraft verloren. Union und FDP sind sich fremd geworden. Der Wahlkampf verschärft die Konflikte zusätzlich: Den Liberalen und der CSU ist die eigene Profilierung wichtiger als der Kompromiss. Schuld am Stillstand sind aber auch die neuen Machtverhältnisse im Bundesrat. Die Kammer ist eigentlich die Interessenvertretung der Länder. SPD, Grüne und Linke nutzen sie aber mit aller Macht zur parteipolitischen Profilierung. Dazu gehört auch das Ausbremsen von Gesetzentwürfen der Regierung. Mit Geschäftsordnungstricks blockieren sie sogar eigentlich nicht zustimmungspflichtige Entwürfe.
Die Regierung weiß, dass sie aus eigener Kraft kein Gesetz mehr durch die Länderkammer bringt. Bevor sie sich dort von der rot-rot-grünen Mehrheit vorführen lässt, gibt sie das Regieren lieber gleich auf. Die Koalition hat kapituliert.